Ab aufs Weltparkett

Wenn im November in den Niederlanden das neue Parlament gewählt wird, wird Ayaan Hirsi Ali nicht mehr dabei sein. von elke wittich

Eine wird fehlen: Wenn im Herbst in den Niederlanden der Wahlkampf beginnt, wird die Debatte über die Zukunft des Landes ohne die wohl streitbarste Politikerin auskommen müssen. Ayaan Hirsi Ali hat sich in der vergangenen Woche ganz offiziell aus den Niederlanden verabschiedet und ist in die USA gegangen.

Es hatte wie eine Immigranten-Karriere aus dem Bilderbuch begonnen. Die aus Somalia geflohene Hirsi Ali studierte Politologie und war anschließend für die renommierte Wiardi-Beckmann-Stiftung der sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PvdA) tätig. Sie profilierte sich als Kritikerin des Islam und warf vor allem den sozialdemokratischen Parteigenossen vor, Koranschulen, Zwangsehen und Frauenunterdrückung aus falsch verstandener Toleranz zu dulden und damit den Integrationsgedanken ad absurdum zu führen.

Ali trat aus diesem Grund aus der Partei der Arbeit aus und in die rechtsliberale VVD ein, für die sie dann im Parlament saß. Nach dem Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh, mit dem sie eng zusammengearbeitet hatte, musste sie zum eigenen Schutz zunächst außer Landes gebracht und später unter Polizeischutz gestellt werden.

Ihre Gegner, so sollte sich zeigen, waren jedoch nicht nur fanatische Muslime, sondern auch ehemalige und aktuelle Parteifreunde. Der sozialdemokratische Fernsehsender Vara strahlte am 11. Mai eine polemischen Reportage unter dem Titel »Die heilige Ayaan« aus, die mit der Meldung aufwartete, Ali habe sich ihren niederländischen Pass erschlichen. Die Fakten, die in dieser Reportage skandalisiert wurden, waren zwar längst bekannt, doch der Beitrag zeigte Wirkung. Ausgerechnet die Justizministerin und Alis Parteifreundin Rita Verdonk sah sich fünf Tage nach der Enthüllungsgeschichte dazu gezwungen, die Ausbürgerung von Ali bekannt zu geben.

Ali war zum Mittelpunkt einer klassischen politischen Intrige voller Winkelzüge geworden, die Theo van Goghs Mutter in einem Interview mit den Worten beschrieb: »Die Partei der Arbeit hat für Rita Verdonk eine Mausefalle aufgestellt mit Ayaan Hirsi Ali als Köder.«

Nicht nur sie vermutet, dass die Partei der Arbeit, die in den Meinungsumfragen dramatisch gegenüber der rechten VVD zurückgefallen war, die Story über die erschlichene Einbürgerung Alis lanciert hat, um die VVD zu diskreditieren – insbesondere Rita Verdonk, die die strengen Migrationsgesetze schließlich durchgesetzt hatte. Die Geschichte, dass Verdonk in ihren eigenen Reihen »Asylmissbrauch« dulde, werde sie in jedem Fall ihre Glaubwürdigkeit kosten. Zum anderen konnten die Sozialdemokraten darauf hoffen, dass die muslimischen Wähler die Skandalisierung des Falls Hirsi Ali bei den Wahlen honorieren würden. Schließlich ist die unbequeme Islamkritikerin vielen Muslimen verhasst. Den Umstand, dass der sozialdemokratische Sender den Gesetzesbruch der missliebigen Prominenten aufgedeckt hat, würden – so lautete die Überlegung – die niederländischen Muslime mit Stimmen für die Sozialdemokraten belohnen.

Es folgte eine Parlamentskrise, die am 29. Juni mit dem Rücktritt von Ministerpräsident Balkenende endete. Hirsi Ali kündigte daraufhin an, bereits ein Jahr früher als geplant ihre Arbeit beim American Enterprise Institute, einem bekannten konservativen US-amerikanischen Thinktank, aufzunehmen.

Im bevorstehenden Wahlkampf müssen die Parteien nun ohne die Symbolfigur für die harten Asylgesetze auskommen. Aber Migration wird ohnehin kein Thema sein. Die Parteien setzten vor allem auf soziale Themen. Die PvdA, die mit dem Motto »Zusammen stärker arbeiten an besseren Niederlanden« antreten, wünschen sich höhere Pensionsbesteuerungen für Bezieher hoher Renten und eine Verringerung der Krankenkassenkosten. Die linke SP will unter dem Motto »Bessere Niederlande fürs selbe Geld« den Sozialhilfesatz um zehn Prozent sowie die Mietzuschüsse erhöhen, die Höhe der Krankenkassenbeiträge lohnabhängig gestalten und am Verteidigungshaushalt Einsparungen vornehmen. Die christdemokratischen CDA setzen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auf ein Modell, nach dem Betriebe Beschäftigten unter 21 Jahren zwei Jahre lang den Mindestlohn bezahlen können, während der Staat den Rest des Entgelts übernimmt. Für diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, wird die 40-Stunden-Woche eingeführt. Die VVD will eine Verringerung der Bezugszeit für Arbeitslosengeld auf 19 Wochen. Lehrer sollen künftig leistungsabhängig bezahlt werden, Menschen unter 27 Jahren sollen keine Sozialhilfe mehr beziehen können.

Eine Änderung des Asylgesetzes kommt in den Programmen der großen Parteien, soweit bisher bekannt, nicht vor.

Hirsi Ali wurde am 1. September während eines Symposiums mit dem Titel »Was ein Volks­vertreter im 21. Jahrhundert können muss« verabschiedet. »Sie war den Niederlanden entwachsen und ist jetzt bereit für das Weltparkett«, stellte die Europakommissarin Neelie Kroes fest. Und Gerrit Zalm von der VVD sagte in seiner Rede: »Diese Versammlung könnte man als ein trauriges Ende ihrer Anwesenheit in der Kammer interpretieren.« Aber für Traurigkeit bestehe eigentlich kein Anlass, denn Ali werde ihre Arbeit in den USA sicherlich »mit dem gleichen Einsatz fortführen«.