Die Gotteskrieger zahlen schneller

Bei der Organisation des Wiederaufbaus im Libanon läuft die Hizbollah der Regierung von Premierminister Siniora den Rang ab. von markus bickel, beirut

In Zweierreihen stehen die über 200 Lastwagen vor der Einfahrt zur Müllhalde am Rande des Beiruter Flughafens. Gegenüber dem großen Gelände, direkt an der Mittelmeerküste, türmen sich die Berge aus Schutt, die in den Tagen seit dem Beginn des Waffenstillstands Mitte August hier abgeladen wurden. Die lange LKW-Kolonne bringt Tonnen zusätzlichen Bauschutts, und ein Ende der Aufräumarbeiten ist vorerst nicht in Sicht. Schließlich müssen die zertrümmerten Reste von mehr als 130 000 durch den 34tägigen israelischen Beschuss komplett zerstörter oder beschädigter Wohnungen abgeräumt werden.

Premierminister Fouad Siniora warb am Donnerstag der vergangenen Woche auf der internationalen Geberkonferenz in Stockholm für eine breite Unterstützung beim Wiederaufbau. »Der Libanon, der vor nur sieben Wochen noch voller Hoffnung und Versprechen war, ist in Stücke zerrissen worden durch Zerstörung, Vertreibung, Enteignung, Verzweiflung und Tod«, sagte der 63jährige Sunnit aus der südlibanesischen Stadt Saida. »Der Libanon ist um 15 Jahre zurückgeworfen worden.«

Während sich Siniora über mehr als 940 Millionen US-Dollar freuen durfte, die die 60 in Stockholm anwesenden Regierungsvertreter und zahlreiche internationale Organisationen bereitstellen wollen, läuft ihm im eigenen Land die schiitische Hizbollah den Rang ab beim Wiederaufbau. Wesentlich unbürokratischer, effizienter und schlicht schneller als die schwachen staatlichen Einrichtungen machen sich die Angehörigen der bereits im Jahr 1984 gegründeten Bauorganisation der Partei, Jihad al-Binaa (»Baukampf«), an die Regis­trierung der Schäden. Die islamistische Organisation kann die Erfahrungen nutzen, die ihre Mitglieder im Südlibanon nach den israelischen Großoffensiven in den Jahren 1993 und 1996 gesammelt haben.

Über 500 Freiwillige hätten in den ersten beiden Wochen nach der Waffenruhe in 115 Dörfern die Schäden begutachtet, berichtete der Chef der Jihad al-Binaa, Adnan Samuri, vorige Woche. 3 000 Familien, deren Haushalte nicht mehr bewohnbar seien, seien bereits entschädigt worden. Bis zu 12 000 US-Dollar für die Miete und den Kauf neuer Möbel zahlt die von Generalsekretär Hassan Nasrallah geführte »Partei Gottes« an Hilfsbedürftige aus. Allein im schiitisch dominierten Südbeiruter Stadtteil Dahye, der bis zum Beginn des Kriegs das Hauptquartier der Hizbollah beherbergte, seien 182 Gebäude komplett zerstört und 192 weitere beschädigt worden.

»Von der nächsten Woche an werden Teams der Jihad al-Binaa, unterstützt von Vorarbeiten, Zimmermännern und Steinmetzen, in den Dörfern mit den Wiederaufbauarbeiten beginnen«, kündigte Samuri an. Experten gehen davon aus, dass der Iran der Hizbollah bis zu 150 Millionen US-Dollar für die Entschädigungszahlungen zur Verfügung stellt. Allerdings verfügt die Partei auch über nicht unerhebliche eigene finanzielle Reserven. In Geschäften und öffentlichen Einrichtungen stehen Sammeldosen, die Hizbollah erhält aber auch Großspenden von reichen Schiiten.

Trotz der Aufbruchsstimmung nach gut 20 Tagen Waffenruhe ist die Situation im Grenzgebiet zu Israel weiter angespannt. Der Sprecher der Übergangsstreitkräfte der Vereinten Nationen für den Libanon (Unifil) beschuldigte Israel, gegen die Waffenruhe zu verstoßen. »Allein in den letzten 24 Stunden kam es zu vier Verletzungen der Blue Line durch Einheiten der IDF«, sagte Alexander Ivanko Mitte vergangener Woche der Jungle World. »Zu derartigen Verletzungen kam es in den vergangenen Wochen regelmäßig auf täglicher Basis.« Die Blue Line ist die 1978 von den Vereinten Nationen markierte Grenze zwischen Israel und dem Libanon. Verstöße von Milizionären der Hizbollah gegen die seit Mitte August geltende Waffenruhe habe die Unifil nicht regis­triert, sagt Ivanko.