»Ich bin einfach Ebru«

Ein Gespräch mit der Kolumnistin Ebru Umar über fehlende Integration und fehlgeleitete staatliche Zuwendungen, über die Sicht auf allochthone Autoren und über das bisweilen ungute Gefühl, das Haus zu verlassen

Ebru Umar wurde 1970 in Den Haag geboren und arbeitet als Essayistin und Kolumnistin, unter anderem für das Algemeen Dagblad und die Frauenzeitschrift Libelle. Sie schrieb für De Gezonde Roker, die Website von Theo van Gogh, und übernahm nach dessen Ermordung seinen Kolumnenplatz in der Gratiszeitung Metro. Im vorigen Jahr erschien ihr zweiter Essayband »Kein Talent zum Lieben«.

Was hat sich in den Niederlanden seit der Ermordung von Theo van Gogh geändert?

Mit dem Mord brach die Gewalt, die wir zuvor sonstwo in der Welt wähnten, plötzlich über unsere Communities herein. Das war ein großer Schock. Aber mit einem Abstand von fast zwei Jahren muss ich sagen, dass wir wieder taub und blind geworden sind. Allerdings muss man sagen, dass sich die Dinge nicht zum Schlechteren gewandt haben, immerhin gab es danach keinen vergleichbaren Mord. Kurz: Seit dem Mord hat sich alles verändert. Und zugleich hat sich nichts verändert.

Was hätte sich ändern sollen?

Ich hätte mir gewünscht, dass die verantwortlichen Politiker zurückgetreten wären. Schließlich tragen sie eine große Verantwortung dafür, wie das politische, soziale und ökonomische Klima in dem Land ist, das sie regieren. Und ich hätte mir gewünscht, dass sich an ihrer Stelle neue Politiker gefunden hätten; Leute mit Kraft und Visionen, die die Dinge angehen und die nicht einfach darauf vertrauen, dass alles von selbst vorbeigehen wird.

Wie stellt sich diese Frage für die Einwanderer? Sind sie einem stärken Druck ausgesetzt?

Eine Sache ist vielleicht, dass es ein Ausländer viel schwieriger hat, zu einem Holländer zu werden. Er kann zwar den niederländischen Pass bekommen, aber er wird »allochthon« bleiben. Zugleich werden die Einwanderer dazu angehalten, Niederländisch zu lernen und sich zu integrieren. In Wirklichkeit passiert nichts von alledem. Und daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern.

Warum nicht?

Vor allem, weil die Regierung weiterhin islamisch-fundamentalistische Einrichtungen finanziert und unterstützt, Schulen und Moscheen zum Beispiel oder Kulturvereine und Frauenorganisationen. Sie schreckt nicht davor zurück, noch die hirnlosesten Muslime zu unterstützen, die Frauen unterdrücken und drangsalieren, wo sie nur können.

Immerhin gibt es ein neues Einwanderungsgesetz, das sowohl die, die bereits im Land leben, als auch jene, die einwandern wollen, dazu verpflichtet, an Sprach- und Integrationskursen teilzunehmen.

Ich verspreche mir nicht viel von diesem Gesetz. Auch wenn es die Einwanderer zur Teilnahme an Kursen verpflichtet, sieht es, außer vielleicht einigen finanziellen Sanktionen, keinerlei Maßnahmen gegen diejenigen vor, die die Prüfungen nicht bestehen. Außerdem werden diese Kurse de facto kostenlos angeboten. Welches Land bietet unentgeltliche Kurse an, die die Einwanderer über die Sprache und die Kultur unterrichten sollen?

Wir brauchen Gesetze, die zwischen denen, die bereits hier sind, und denen, die noch kommen wollen, differenzieren. Wir sollten unsere Grenzen nicht höher ziehen. Aber wir sollten den Leuten rechtzeitig klarmachen, dass sie bestimmte Verpflichtungen zu erfüllen haben. Und wenn sie hier sind, sollen sie die Sprache lernen – nicht, weil wir dies verlangen und die Kurse bezahlen, sondern weil es völlig selbstverständlich ist. Wenn die Leute hier auf dieselbe Weise leben wollen wie in ihrer Heimat, frage ich mich, was sie hier überhaupt wollen.

Sind Integrationskurse ein geeignetes Mittel, um den hausgemachten islamistischen Terrorismus zu bekämpfen? Die verhinderten Attentäter in Großbritannien und Deutschland sind doch nicht deshalb zu militanten Islamisten geworden, weil sie zu wenig über Land und Leute wussten.

Das Problem beim hausgemachten Terrorismus ist, dass wir so erstaunt darüber sind, dass es ihn überhaupt gibt, dass es Menschen gibt, die hier aufgewachsen sind und die trotzdem diese Gesellschaft hassen und bekämpfen. Weil wir in den Niederlanden oder auch in Großbritannien oder Deutschland glauben, dass wir im besten Land der Welt leben, fällt es uns schwer, uns mit dem Gedanken anzufreunden, dass andere Menschen, die im selben Land geboren und aufgewachsen sind, die Dinge vollkommen anders sehen. Diese Kinder (es sind ja Kinder) sind in einer Umgebung groß geworden, die wir nicht als Gesellschaft anerkennen wollen: schlechte Häuser, schlechte Schulen, niemand in ihrer Umgebung, der Niederländisch spricht. Dass Kinder, denen der Zugang zu einem »normalen Leben« derart verwehrt wird, sich von der Gesellschaft abgrenzen, verwundert nicht. Es ist ähnlich wie bei pubertierenden Jugendlichen, die sich von ihren Eltern abwenden. Nur grenzen sich diese Kids nicht von ihren Eltern ab, sondern vom Rest der Gesellschaft.

Ist es fair, wenn eine Gesellschaft, die sich lange nur für die Arbeitskraft der Einwanderer interessiert hat, aber nicht dafür, ob und wie sie die Sprache lernen, dieselben Leute dafür maßregeln will, dass sie die Sprache nicht können?

Ein Teil von ihnen ist eine verlorene Generation. Wer 50 Jahre und älter ist, wird seinen Lebensstil nicht mehr ändern können. Viele aus dieser Generation verbringen schon jetzt viel Zeit in ihren Heimatländern. Wenn man ihnen ermöglichen würde, dauerhaft zurückzukehren, würden, davon bin ich überzeugt, viele von ihnen das Angebot annehmen. Die Bedingung müsste lauten: Ihr behaltet eure sozialen Rechte, bekommt eure Renten oder Sozialhilfe oder was auch immer weiterhin überwiesen, müsst aber eure niederländischen Pässe gegen einen Schengen-Pass eintauschen. Das wäre für den niederländischen Staat nicht nur billiger, sondern würde auch die Emanzipation der Immigrantenkinder fördern, weil sie nicht länger der Gängelung durch ihre Eltern ausgesetzt wären. Gerade weil man den ersten Einwanderern lange Zeit nicht die Möglichkeit gab, sich zu integrieren, sollte man ihnen jetzt die Möglichkeit geben zurückzukehren.

Mir scheint, als seien Einwandererkinder in den Niederlanden besser in der Kultur, der Politik, der Wirtschaft oder den Medien repräsentiert, als dies in Deutschland der Fall ist.

Meinen Sie? Wie viele Türken leben bei Ihnen?

Etwa 2,5 Millionen.

Das ist ein prozentual höherer Anteil als in den Niederlanden. Ich bin mir sicher, dass es bei Ihnen türkischstämmige Schriftsteller, Journalisten oder Künstler geben muss. »Gegen die Wand« war doch ein deutscher Film, oder?

Darüber, ob es ein deutscher oder türkischer Film sei, haben viele Rezensenten in Deutschland gestritten, sehr zum Ärger des Regisseurs Fatih Akin. Kennen Sie diese Erfahrung, dass die Arbeit von Ihnen oder, wenn ich das so sagen darf, Ihresgleichen, nicht als Teil der niederländischen Kultur betrachtet wird und Sie weiterhin als Ausländerin wahrgenommen werden?

Ja. Aber es kommt auch darauf an, wie Sie sich selbst verhalten. Meine Eltern stammen zwar aus der Türkei, ich selbst aber bin hier geboren und aufgewachsen und habe mich immer als Niederländerin gefühlt. Was anderes hätte ich tun sollen? Mein Türkisch ist lausig, selbst wenn es, wenn ich mich mal in der Türkei aufhalte, nach einigen Tagen besser wird. Aber es bleibt für mich schwierig, auf Türkisch zurechtzukommen.

Und keine der Publikationen, für die ich arbeite, hat mich je als Türkin oder als Allochthone präsentiert. Ich bin einfach Ebru. Gegen den Ausdruck »türkischstämmig« habe ich nichts einzuwenden, den Ausdruck »allochthon« aber akzeptiere ich für mich nicht. Wenn bestimmte Leute mich dennoch als Ausländerin betrachten, ist das ihr Problem.

Sie zählen sich nicht zu den Autoren ausländischer Herkunft, über die beispielsweise der Schriftsteller Cees Nooteboom sagt, sie bekämen zurecht Preise für ihre Bücher und bereicherten die niederländische Literatur?

Ich habe den Eindruck, dass es einen großen Hype um viele dieser Autoren gab, insbesondere um die marokkanischen. Es hieß, sie seien wunderbare Schriftsteller, die die Sprache in einer solch spielerischen Weise benutzten, wie dies nur Ausländer vermochten. Ich wurde niemals als türkische Autorin gehypet. Ich kenne zwei verschiedene Teile der Welt, kenne sowohl den türkischen als auch den niederländischen Lebensstil, was natürlich in meine Arbeit einfließt. Aber ich spiele nicht mit der Sprache, sondern schreibe mit einer kosmopolitischen Sicht über die niederländische Gesellschaft. Ich sehe mich in der Tradition kritisch-polemischer niederländischer Autoren. Wenn ich auf einen Preis scharf wäre, müsste ich wohl als Ausländerin schreiben.

Im April wurden Sie von zwei jungen Marokkanern angegriffen. War dies eine Reaktion auf Ihre Kritik am Islam und an den muslimischen Gesellschaften?

Ich wünschte, der Angriff wäre ein Racheakt für meine Arbeit gewesen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass diese hirnverbrannten Idioten, die mich angegriffen haben, jemals einen Text von mir gelesen haben. Falls Sie mich deswegen attackiert haben sollten, dann nur, weil sie eine bestimmte Vorstellung darüber haben, wer ich bin. Vielleicht haben sie mich wegen meiner Kritik am Islam angegriffen, vielleicht wegen meiner Freundschaft zu Theo van Gogh, vielleicht weil ich eine Frau bin, vielleicht weil ich nicht muslimisch bin. Ich weiß es nicht, ich habe nicht mit ihnen gesprochen. Aber sie sind hirnverbrannt. Ein Mann, der eine Frau schlägt, ist hirnverbrannt.

Haben Sie Angst?

In den ersten Wochen nach dem Angriff vermied ich es, das Haus zu verlassen. Ich achtete auf jeden Schritt hinter mir. Wenn ich an einer Gruppe junger Marokkaner vorbeikam, versuchte ich, mich möglichst furchtlos zu geben. Dieses Gefühl hat zwar ein bisschen nachgelassen, aber es ist immer doch da. Doch ich habe meine Konsequenzen aus dieser Erfahrung gezogen. Ich habe einen Selbstverteidigungskurs besucht, ich bin wachsam, sehr wachsam. Wenn mir noch mal jemand zu nahe treten sollte, weiß ich, wie ich mich zu wehren habe.

interview: deniz yücel