»Ich glaube nicht an Utopien«

Ein Gespräch mit dem niederländischen Schriftsteller hafid bouazza

Hafid Bouazza wurde 1970 im marokkanischen Oujda geboren und kam im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern in die Niederlande. Im vorigen Jahr erschien bei Klett-Cotta die deutsche Übersetzung seines Romans »Paravion«. Darin erzählt Bouazza in einer märchenhaften und humorvollen Form die Geschichte einiger Auswanderer aus einem fiktiven nord­afrikanischen Land. Sie sind dazu gezwungen, in ein rätselhaftes Land zu ziehen, das sie nur aus den Umschlägen der Briefe kennen, die die ersten Auswanderer an sie schickten: »Par avion«.

Können wir anfangen?

Klar. Aber Sie zahlen die Drinks.

Einverstanden.

Gut. Karin, noch ein Bier! Und eins für den Herrn!

Wie oft haben Sie den folgenden Satz schon gehört: »Oh, du sprichst aber gut Niederländisch«?

Manchmal. Sie sprechen wie ein Deutscher.

Weil ich Ihnen diese Frage stelle?

Nein, nein. Sie sprechen wie ein Türke, der mit französischem Akzent Englisch redet.

Ich bin Deutsch-Türke.

Ich bin Hafid. Angenehm, dich kennen zu lernen.

Ich bin Deniz.

Ich dachte, du wärst eine Frau.

Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.

Mir tut das auch leid. Möchtest du rauchen?

Lieber nicht.

Du kannst nicht nach Amsterdam kommen und nicht rauchen. Probier mal! Guter Stoff aus Holland. Autochthon.

Darf ich zu meiner Frage zurückkehren? Wie ist das mit solchen Bemerkungen?

Welche Bemerkungen?

Diesen gönnerhaft gemeinten, in Wirklichkeit aber selbstgefälligen.

Die kenne ich. Aber das letzte Mal, dass ich so was gehört habe, ist lange her. Da war ich mit einem Freund zusammen, ebenfalls ein Schriftsteller. Wir saßen mit seiner Tante in einem Auto. Plötzlich sagte sie zu mir: »Du sprichst sehr gut Niederländisch!« Dabei hatte ich kein Wort gesagt. Du hörst oft solche Sachen?

Ja. Und ich halte diesen Satz für einen verlässlichen Indikator dafür, ob eine Gesellschaft die Einwanderung als Normalität anerkennt. Warum kriegen hierzulande die Kinder von Einwanderern so etwas nicht oft zu hören?

Ich sage nicht, dass die Leute hier so etwas nicht sagen. Sie sagen noch viel Schlimmeres. Trotzdem sind die Niederlande anders als Deutschland.

Wo liegen die Unterschiede?

Sie haben verschiedene Traumata. Weißt du, dass dein Aufnahmegerät wie eine Butterdose aussieht? Wo führt dieses Gespräch überhaupt hin? Karin, noch zwei Bier bitte! Gefällt dir diese Bar?

Ist nett. Du bist oft hier?

Immer. Oder in »De Zwart« ganz in der Nähe.

Erinnerst du dich, wie hier die Stimmung an dem Tag war, an dem Theo van Gogh ermordet wurde?

Ich wusste, dass das Gespräch in diese Richtung führen würde. Aber ich erinnere mich. Die Stimmung war niedergeschlagen; in ganz Holland war sie niedergeschlagen. Es regnete, alles war grau. Die Traurigkeit, in die diese Stadt immer gehüllt ist, konnte man an jenem Tag viel stärker spüren. Aber das ist Geschichte.

Hat sich denn nichts seit dem Mord geändert?

Doch.

Was?

Theo van Gogh wurde von einem sexuell frus­trierten Mann ermordet. Das war eine Tragödie. Aber daraus wird ein Melodram gemacht. Es ist erschreckend, welche Bedeutung die Religion gewinnt. Ich spreche nicht nur vom politischen Islam, der eine totalitäre Bewegung ist und darum so viele Anhänger findet. Wir haben in Holland religiöse Parteien und eine religiöse Regierung.

Gibt es stärkere Abneigungen gegen die Einwanderer?

Nicht wirklich. Oder nicht mehr, als es sie vorher gab. Und ein Teil der Einwanderer hat die niederländische Gesellschaft stets mit derselben Verachtung betrachtet wie ein Teil der Niederländer die Einwanderer.

Du redest nicht gerne über diese Themen?

Diese Frage stellt sich so nicht. Aber letztlich geht es dabei immer um Religion, und das mag ich nicht. Religion interessiert sich für Symbolisches, nicht für Lebendiges. Religion ist eine Imagination, die jede andere Form von Imagination, alles Freie und Fantasievolle, auslöscht. Ich bin dagegen. Ich glaube nicht an Utopien, natürlich nicht. Das ist Bullshit. Außerdem: Ich bin Schriftsteller, nicht der Sprecher von irgendwem oder irgendwas. Wo seid ihr Jungs untergebracht?

Bei Alkmaar.

Ihr seid nicht in Amsterdam?

Nein. Weißt du, wir kommen aus einer Stadt ohne Meer.

Du magst das Meer?

Sehr. Und du?

Das Meer ist wunderbar. Ich sehe es nur selten.

Warum?

Am Meer ist es mir zu voll, zu viele Menschen.

Amsterdam ist auch voller Menschen.

Ja. Aber es liegt nicht am Meer.

interview: deniz yücel