Müll trennen und Krach machen

Detroit-Techno, der urbane klassische Maschinensound aus der Stadt im Norden der USA, hat ausgerechnet im niedlichen Amsterdam ein neues Zuhause gefunden. von andreas hartmann

Die Stadt, in der eine Musikrichtung entsteht, spielt oft eine große Rolle, um der Popmusik eine bestimmte Identität zu verleihen. Stadt und Musik treten in ein Spannungsverhältnis, bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Unzählige Geschichten über urbane Subkulturen und Szenenetzwerke wurden auf diese Weise bereits erzählt, über Punk in London, Grunge in Seattle, genialen Dilettantismus in Berlin; man spricht von Chicago-House, Detroit-Techno, und wer es besonders differenziert mag, redet von einem bestimmten Köln-, Frankfurt- oder Berlin-Sound, insbesondere wenn es um elektronische Musik geht.

Keine andere Stadt wird bei diesen urbanen Grundlagenforschungen im Kontext internatio­naler Techno-Studies so mystifiziert wie Detroit. Hier wurde Techno Anfang der achtziger Jahre erfunden, von hier aus verbreitete sich eine völlig neue tanzbare Maschinenmusik um die ganze Welt.

Warum ausgerechnet Detroit? Unzählige Male wurde bereits diese Frage gestellt. Aktuell bekommt man den ganzen Detroit-Techno-Komplex nochmals auf der DVD »High Tech Soul – The Creation of Techno Music« von dem Dokumentarfilmer Gary Bredow aufbereitet. Die wichtigsten Protagonisten des Detroit-Techno kommen in dieser Oral History zu Wort. Man erfährt nichts grundlegend Neues, doch auch von Altbekanntem lässt man sich in diesem Fall immer wieder gerne berichten.

Kein Buch über Techno kommt ohne die Geschichte aus, wie damals ein paar afroamerikanische Kids aus ihrer Begeisterung für Kraftwerk, P-Funk, Soul und Synthie-Pop einen nie gehörten Sound kreierten. Immer wieder wurde versucht, den Zusammenhang von Detroit, seinen Problemen, seiner sozialen Struktur und diesem eigenartigen futuristischen Sound zu erklären. Leute wie der Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke zeigen sich ungemein fasziniert von speziell dieser Sound/Stadt-Verbindung, und Meinecke begibt sich auch in seinen Büchern auf Detroit-Techno-Forschungs­reisen.

Insbesondere für Europäer scheint Detroit interessant zu sein, die Stadt schrumpft, wer Geld hat, meist sind das die Weißen, zieht an den Stadtrand, das Zentrum verslumt. Die Arbeitslosigkeitsquote ist hoch, die Kriminalitätsrate ebenso. Fußgänger sieht man so gut wie keine, überall stehen Industrieruinen, die Autohersteller Ford, GM und Chrysler produzieren hier kaum noch etwas. Von besseren Zeiten wagt man höchstens zu träumen.

Detroit-Techno erzählt vom Leben in dieser Stadt. Detroit war in den Sechzigern die amerikanische Soul-Stadt schlechthin, das Label Motown war hier beheimatet. In den Achtzigern galt Techno als future sound, die Maschine als Ausdruck von Fortschritt wurde fetischisiert.

Detroit-Techno war von Beginn an auf Expansion ausgerichtet, hätte er sich nicht überall verbreiten können, wäre er wohl bald wieder verkümmert. Denn in Detroit selbst – inzwischen hat sich das geändert – interessierte sich jahrelang kein Mensch für den Sound der eigenen Metropole. Es waren Städte wie Berlin oder Sheffield, in denen Detroit-Techno Exil fand und wo er im besten Fall sogar fortgeführt wurde. In Berlin waren es vor allem der Club und das Label Tresor, wo Detroit-Techno als Ursprung von all dem, was später an elektronischer Musik noch entwickelt werden sollte, gehegt und gepflegt wurde. Begründern des Techno wie Juan Atkins, Derrick May und Kevin Saunderson wurde dabei derselbe Status zugesprochen wie in anderen Kreisen Mozart, Bach und Beethoven.

In Deutschland und England, wo das Detroit-Erbe viele Jahre begeistert verwaltet wurde, gibt man sich jedoch zunehmend geschichtsvergessen. Speziell in Deutschland ist man unheimlich stolz auf das, was man selbst geschaffen hat, und darauf, dass man inzwischen die weltweit führende Techno-Nation ist. Detroit ist wieder fern, eine eigene Welt, die man nicht so recht versteht. Der Tresor in Berlin ist geschlossen und wird auch nach der geplanten baldigen Wiedereröffnung nicht mehr die große Rolle in der Berlin-Detroiter Städtefreund­schaft spielen.

Detroit-Techno ist klassisch geworden, etwas für Liebhaber, man kann auch sagen: Er klingt schon etwas angestaubt. Er ist ein Sound unter vielen geworden, der nicht mehr an einen bestimmten Ort gebunden ist. Was nicht nur schlecht ist. Als Detroit-Techno in Berlin groß wurde, sind dessen Epigonen noch devot nach Detroit gepilgert, um besser zu verstehen, worum es bei dieser Musik geht.

Das ist heute nicht mehr notwendig. Detroit-Techno findet heute vor allem ausgerechnet in Amsterdam statt, der pittoresken Grachten-Stadt, wo alle Fahrrad fahren und der Müll getrennt wird. Delsin und Rush Hour aus Amsterdam gelten derzeit als die Detroit-Erbverwalterlabels schlechthin, und das, obwohl es nur lose Kontakte mit Detroit und dessen Szene selbst gibt. An Reisen in die heilige Stadt denkt hier auch kaum jemand.

Es ist der Geist, der Spirit, der nun in Amsterdam fortlebt, es gibt keine Direktverbindung in die USA, die Zeitschrift De:Bug spricht von der »imaginären Achse Detroit-Amsterdam«. Dazu gehört, dass man speziell bei Rush Hour – nicht nur ein Label, sondern auch ein Plattenladen – den Kern des Detroit-Techno ernst nimmt: Soul, afroamerikanische Musik.

Dass wirklich etwas dran ist, wenn die De:Bug auch noch von der »Neo-Detroit-Szene in Amsterdam« spricht, belegt, dass diesem Statement selbst der Detroiter Autor Dan Sicko zustimmt, der mit »Techno Rebels« ein Standardwerk über Techno verfasst hat. In einem Begleittext für eine Compilation des Labels Delsin bescheinigt er der kleinen Plattenfirma, »die Verbindung mit Detroits Seele nicht verloren« zu haben.

Der Erfolg von Aardvarcks kürzlich auf Rush Hour erschienener Platte »Cult Copy Pt.1« beweist, dass auch hierzulande die Sehnsucht nach typischem Detroit-Techno noch nicht ganz verblichen ist. Der Holländer macht kein Geheimnis daraus, den Detroiter Kult vor allem kopieren zu wollen – daher auch der Titel seiner Platte. »Ich habe die frühen Neunziger in meinem Herzen«, sagt er, womit er die frühen Neunziger des Detroit-Sound meint, mit dem er aufgewachsen ist, auch ohne in Michigan gelebt zu haben.

Selbst die Absage an den Popstarkult und das Verschleiern der eigenen Identität, wie es früher in der Detroiter Szene so beliebt war, dieser ganze herrliche Underground-Gestus, kommt nun wieder aus Amsterdam. Auf Delsin ist eben eine Platte von Redshape erschienen, einem Typen, der eine rote Maske trägt und nicht will, dass mehr von ihm zu sehen ist. Das klassische Detroit kommt hier zu sich selbst. Man munkelt allerdings, Redshape komme aus Berlin.

Gary Bredow: High Tech Soul – The Creation of Techno Music – (Plexi) DVD, 64 Minuten