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Fünf Jahre nach den Anschlägen von New York und Washington von jörn schulz

Ussama bin Laden raucht sein Marihuana aus einer goldenen Wasserpfeife. Wenn er bekifft ist, hört er gerne »Rock Lobster« von den B-52s und schwärmt von Whitney Houston, deren Ehemann er beseitigen möchte, um die Dame seines Herzens in seinen Harem einreihen zu können. Das behauptet die derzeit in den USA lebende Sudanesin Kola Boof im Jahr 1996 in Marrakesch erlebt zu haben. Außer ihr gibt es niemanden, der bin Laden in Marokko gesehen haben will. Demütigender als der Vorwurf unislamischen Verhaltens dürfte für ihn jedoch sein, dass er in der Septemberausgabe des US-Magazins Harper’s unter der Rubrik »Lifestyle« abgehandelt wird.

Bereits Anfang Juli war bin Laden durch die Auflösung der zehn Jahre lang allein seiner Ergreifung gewidmeten CIA-Sondereinheit Alec Station entehrt worden. Fünf Jahre nach seinem großen Coup, den er nicht zu wiederholen vermochte, wird er von Freund und Feind eher als eine mythologische Figur denn als eine reale Gefahr betrachtet. Möglicherweise wird er sogar eines natürlichen Todes sterben.

Bin Laden, dessen Nierenleiden sich den Informationen von Asia Times Online zufolge trotz regelmäßiger Dialyse verschlimmert, kann sich jedoch mit der Begründung trösten, die die CIA für die Auflösung der Alec Station angab: Es sei wichtiger, sich auf die »von al-Qaida inspirierten Gruppen« zu konzentrieren. Fünf Jahre nach dem Zusammenbruch der beiden Türme des World Trade Center hat sich eine globale jihadistische Szene etabliert. Den Islamisten ist der Aufbau eines internationalen Netzwerks unabhängig voneinander agierender Gruppen gelungen, die von Polizei und Geheimdiensten nur in Einzelfällen aufgespürt werden können, die jedoch konsequent ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Die jihadistische Internationale hat die erste globale rechtsextreme Subkultur geschaffen. Ihr wichtigstes Kommunikationsmittel ist das Internet. Die Szene produziert dokumentarische Actionfilme, am beliebtesten sind Angriffe auf die US-Truppen im Irak, und Splatter­videos, die die Opfer amerikanischer und israelischer Militäraktionen zeigen. Es gibt sogar Musik zu hören, allerdings nicht die B-52s, sondern martialische Kampfgesänge.

Dieses doppelte Identifikationsangebot, die Verknüpfung von militaristischem Männlichkeitswahn mit einer moralischen Rechtfertigung, ihn ungehemmt auszuleben, scheint große Anziehungskraft auf junge muslimische Männer verschiedener sozialer Schichten zu haben. Theoretische Debatten, zu denen Islamisten durchaus fähig sind, spielen in dieser Szene keine Rolle. Die Aktivisten treffen sich häufiger in Fitnessstudios als in Moscheen.

Es handelt sich nicht um eine »antimoderne« Bewegung, vielmehr wollen die Jihadisten, wie es der französische Islamwissenschaftler Bruno Etienne bereits für die klassische islamistische Bewegung feststellte, »die Moderne islamisieren«. Jede Religion hat eine vergleichbare Strömung hervorgebracht, doch vom Christentum, Hinduismus oder Buddhismus inspirierte Gruppen haben nur auf nationaler Ebene Bedeutung.

Dass allein die Jihadisten in aller Welt handlungsfähig sind, ist nicht auf die kriegerischen Verse des Korans zurückzuführen. Vielmehr ist es ihnen als ersten gelungen, den Terrorismus zu einer populären Eventkultur, zu einem neuen Lifestyle zu machen. Die Jihadisten bedürfen der Führung bin Ladens nicht mehr, sie werden ihn aber weiterhin als den Urheber des spektakulärsten Events verehren, auch wenn er es versäumt hat, einen angemessenen Abgang zu inszenieren.