Pimped by Pim Pernel

Willem Johan Herman Mulier, genannt Pim, ist der große Sportpionier der Niederlande. Und ziemlich vergessen dazu. von elke wittich

Was haben der erste niederländische Fußballverein und der erste niederländische Tennis-Club gemeinsam? Das, was sie auch mit dem Fußball- und dem Leichtathletikverband des Landes und der Zeitung Het Sportblad verbindet: Sie wurden vom gleichen Mann gegründet, Willem Johan Herman Mulier.

Mulier, der unter dem Vornamen Pim bekannt wurde, gilt heute als der Sportpionier, der den Sport in den Niederlanden maßgeblich beeinflusst hat.

Willem Johan Herman Mulier war am 10. März 1865 als jüngster Sohn eines der letzten Grietmans geboren worden – Grietmannen waren in Friesland als eine Mischung zwischen Graf und Bürgermeister für alle Belange der einzelnen Städte und der sie umgebenden Dörfer zuständig. Und Mulier machte früh erste Bekanntschaft mit dem, was später seine Hauptleidenschaft werden sollte, dem Sport. Vater Tjepke, gelernter Rechtsanwalt und Begründer des »Ijsclub voor Haarlem en omstreken«, stellte ihn schon als Vierjährigen auf Schlittschuhe.

Ein Jahr später wurde der kleine Pim zusammen mit seinem älteren Bruder Pieter erst in ein belgisches und später in ein englisches Internat gesteckt. Während die Eltern auf ausgedehnten Reisen die durch den gerade beendeten deutsch-französischen Krieg hervorgerufenen Landschaftsschäden begutachteten, brachten Mitschüler dem Jungen Cricket und eine sehr frühe Version von Fußball bei.

Und die Begeisterung für Leichtathletik: Als 13jähriger organisierte Pim 1878 auf dem heimischen Gut Rooswijck den ersten Leichtathletik-Wettkampf der Niederlande. Der bestand aus exakt zwei Laufwettbewerben, einem 100-Meter-Rennen und einem Quer­feldein-Wettstreit über zwei Kilometer, die beide von Pim gewonnen wurden.

Muliers große Liebe aber gehörte dem Fußball, einer Sportart, die in den Niederlanden, wie in Deutsch­land auch, von den oberen Schichten mit großer Skepsis betrachtet wurde, auch weil der anarchischen, sich als international verstehenden »Fußlümmelei« zum Beispiel die militärische Präzision des Turnens und der entsprechende Standesdünkel fehlte. 1879 gründete er gemeinsam mit einigen gleichaltrigen Freunden den Fußballverein »Haarlemse Football Club«, der noch heute existiert.

Gespielt wurde auf einem von der Gemeindeverwaltung zur Verfügung gestellten, »nicht sehr ebenen« Grundstück, auf dem zudem einige Pappeln standen. Aber das störte die damaligen Kicker nicht, die sowieso zunächst nach Rugby-Regeln spielten und den Vereinsbetrieb erst nach einiger Zeit vollständig auf Fußball umstellten. Zehn Jahre später, in anderen Städten, waren von anderen Fußballfans weitere Vereine ins Leben gerufen worden, folgte die Gründung des »Nederlandse Atletiek en Voetbal Bond« (NVB), der im Laufe der Zeit zu einem reinen Fußballverband und damit zum Vorläufer des heutigen KNVB, des »Koninklijke Nederlandse Voetbal Bond«, wurde.

Sehr lange konnte Mulier das neue Spiel bei seinem neuen Verein jedoch nicht ausprobieren und weiterentwickeln, denn nach dem Abitur wurde er zum Studium nach England geschickt. Wie später bei einem Studienjahr in Lübeck sollte er dort wohl kaufmännische Fächer studieren, welche es waren, ist nicht bekannt. Womit er sich abseits der Vorlesungen beschäftigte, dagegen sehr wohl: Pim probierte alle Sportarten aus, die in England damals en vogue waren. Hauptsächlich waren dies Hockey, Bandy – eine Art Eishockey mit Hockeyschläger und Ball – und Tennis. Kam er zurück in die Niederlande, machte er sich umgehend daran, das Gelernte an seine Landsleute weiterzugeben und gründete 1884 mit dem »Haarlemse Lawn-Tennis-Club« den ersten Tennisclub des Königsreichs.

Dass er nicht auch den ersten Skiverein ins Leben rief, lag dagegen sicher nicht an mangelnden Kenntnissen auf dem Gebiet der Wintersportarten, sondern wohl eher am notorischen Mangel an geeigneten Abfahrten in den Niederlanden, denn einen Studienaufenthalt in Schweden hatte Mulier vor allem dazu genutzt, sich von den Ureinwohnern die richtige Skitechnik und das Jagen beibringen zu lassen.

1890 zog Mulier zurück in seine friesische Heimat, wo er sich zunächst hauptsächlich mit Schlittschuhlaufen vergnügte. Am 21. Dezember 1890 nahm er an einem Ereignis teil, das später als »Elf­steden­tocht« bekannt werden sollte, dem nur in besonders strengen Wintern stattfindenden Schlittschuhrennen, das über die zugefrorenen nordfriesischen Grachten durch elf Städte führt. Muliers damalige Siegerzeit, zwölf Stunden und 55 Minuten, sollte 19 Jahre lang Bestand haben.

Bloß Sport zu treiben, war Pim jedoch auch hier zu langweilig, rasch stellte er fest, dass das Traditionsrennen eine ordentliche Organisation brauchte, um noch mehr Sportler und Zuschauer anzuziehen. Denn Mulier war nicht nur daran interessiert, seine Lieblingssportarten zu promoten, er erkannte auch früh, dass Sportvereine und -veranstaltungen gut organisiert und strukturiert sein müssen, um langfristig überleben zu können. Dabei kam ihm zugute, dass er nicht nur wohlhabend genug war, um nicht arbeiten zu müssen, sondern während seiner Studien im Ausland auch den großbürgerlichen Lebensstil der britischen Adligen kennen und schätzen gelernt hatte. In den zutiefst protestantischen Niederlanden der damaligen Zeit waren reiche Müßiggänger zwar nicht sonderlich hoch angesehen, Mulier setzte sein Vermögen jedoch gezielt zur Förderung seiner Liebhabereien ein, was ihm allgemeine Anerkennung einbrachte.

Und er hatte nicht nur damit eine Menge mit dem bekanntesten Sportförderer seiner Zeit gemein, Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit. Ähnlich wie sein französischer Kollege sah auch Mulier den Sport nicht nur als Mittel zur körperlichen Ertüchtigung – dem damaligen Zeitgeist entsprechend allerdings hauptsächlich für die Männer –, sondern auch als wichtigen gesellschaftlichen Impulsgeber, der Werte wie Fairness vermitteln sollte.

In einem Punkt allerdings stimmte Mulier nicht mit Coubertin überein: Olympische Spiele fand er unsinnig; heute geht man davon aus, dass seine ablehnende Haltung maßgeblich dafür verantwortlich war, dass 1896 in Athen kein einziger niederländischer Athlet am Start war.

Später gab Pim seinen Widerstand auf und beteiligte sich 1912 am Aufbau des Niederländischen Olympischen Komitees.

Eindimensional und nur auf den Sport fixiert war Mulier bei alledem nicht: Er war ein begeisterter Kunstsammler, malte und galt als Sprachgenie. Außerdem betätigte er sich unter dem Pseudonym Pim Pernel regelmäßig als Journalist, natürlich vorrangig in der von ihm mitbegründeten Zeitung Sportblad, aber auch in Het Vaderland, wo er Erzählungen und Gedichte veröffentlichte. 1899 ging er zudem für ein Jahr als Redakteur nach Niederländisch-Indien, wo er den Umbau der Gazette Deli-Courant zur Tageszeitung verantwortete. Hauptthema seiner Reportagen damals waren die Arbeitsbedingungen auf Sumatra.

1954 starb Pim Mulier im Alter von 86 Jahren. Seine Beerdigung geriet zu einer Massenveranstaltung, bei der sowohl Sportler, Funktionäre als auch Journalisten, Künstler und Politiker anwesend waren. Danach aber geriet der Pionier in Vergessenheit. Erst im Jahr 1995, kurz vor seinem 130. Geburtstag, erschien die erste Biographie des Mannes, der heute als einer der Väter des modernen Sports in den Niederlanden gilt.