Wir sind wieder wo

Alles geht. Den Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten mit dem Hinweis auf die deutsche Vergangenheit abzulehnen, ist zum Anachronismus geworden. von richard gebhardt

Merklich irritiert zeigten sich führende Politiker der Großen Koalition, als Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) im Laufe der Debatte um den Nahost-Einsatz der Bundeswehr in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit dem Reizwort »Kampfeinsatz« zitiert wurde. Für die politischen Repräsentanten eines Landes, das die »humanitären Einsätze« seiner Armee vornehmlich mit al­truistischen Motiven begründet, war Jungs realistische Einschätzung sichtlich unangenehm.

Zudem wirkten die Verschärfung der Situation im Kongo und die Berichte über Feuergefechte mit deutscher Beteiligung in Afghanistan wie eine Zäsur in der Ausrichtung der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte mit der Verschleierungsvokabel vom »robusten Mandat« zwar den offiziellen Sprachgebrauch für den Nahen Osten vorgegeben, konnte aber kaum vom zu erwartenden Konfliktpotenzial ablenken. »Früher hat Deutschland nur Waffen geliefert, künftig wird es auch Waffen einsetzen müssen«, kommentierte Die Zeit. Die Bundesrepublik Deutschland nimmt Abschied vom Selbstbild der deutschen Soldaten als Entwicklungshelfer in Uniform.

Der deutsche Beitrag zur Verstärkung der Unifil soll voraussichtlich aus 1 900 Soldaten der Marine und Luftwaffe nebst Fregatten, Schnell- und Minenräumbooten bestehen. Sollten Kabinett und Bundestag wie geplant in dieser Woche den Einsatz beschließen, wird das Bestreben, den Aktionsradius der Bundeswehr zu erweitern, einen weiteren, vorläufigen Höhepunkt erreichen. Die Vergrößerung des Einsatzgebietes kommt schon in den für den Militäretat 2007 veranschlagten Ausgaben von 28,4 Milliarden Euro zum Ausdruck.

Bereits frühzeitig hatten Politiker wie Verteidigungsminister Jung oder der SPD-Vorsitzende Kurt Beck über eine deutsche Beteiligung an den internationalen Truppen spekuliert und somit die angebliche Einladung angefordert. Bis zu den Äußerungen Ehud Olmerts in der Süddeutschen Zeitung über eine deutsche Unterstützung Israels wurden die Äußerungen von ihren Parteikollegen stets als verfrüht bezeichnet. Danach brachte Kurt Beck im Sommerinterview des ZDF sogar eine »Führungsrolle« der Bundeswehr ins Gespräch.

Eine führende Rolle beansprucht die deutsche Geheimdiplomatie gegenwärtig auf einem anderen Gebiet. Verschiedenen Berichten zufolge ist der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Ernst Uhrlau, derzeit als Vermittler im Libanon tätig. Liest man die Dementis des BND als Bestätigung, aktiviert Uhrlau dort im Jahr 2004 geknüpfte Kontakte für einen Gefangenenaustausch. Diese Form deutscher Außenpolitik wird traditionell von allen Seiten akzeptiert.

Jenseits dessen sind Differenzen in der Großen Koalition deutlich geworden, die sich gesellschaftspolitisch in der Ouvertüre des neuesten Antisemitismusstreits äußern. Einige Empörung rief der in einem Interview mit Spiegel online erhobene Vorwurf der Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, hervor, die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) unterstütze »die Anti-Stimmung gegen die Juden in Deutschland«. Auf die Forderung Wieczorek-Zeuls nach einer Untersuchung des israelischen Einsatzes von Streubomben entgegnete Knoblochs Stellvertreter Salomon Korn in der Frankfurter Rundschau, diese Forderung zeige »einmal mehr, dass die Ministerin in Bezug auf Israel reflexhaft reagiert«. Die Bundesregierung nahm Wieczorek-Zeul offiziell in Schutz, die Kanzlerin distanzierte sich jedoch von der führenden Vertreterin der SPD-Linken. Dieser Parteiflügel der Sozialdemokraten wirkt nach den parteiinternen Querelen im vergangenen Herbst handzahm bis zur Unkenntlichkeit und goutierte die Äußerungen der Ministerin dankbar als Lebenszeichen.

Die jüngsten Forderungen Wieczorek-Zeuls, ihre bereits im Juli vorgenommene Charakterisierung der israelischen Militäreinsätze als »völkerrechtlich völlig inakzeptabel«, ihre im Sommer 2004 vorgenommene Bezeichnung des Irak-Kriegs als »wirkliches Verbrechen« sind Reminiszenzen an den außenpolitischen Kurs Gerhard Schröders. Mit Schröders Amtszeit und dessen ablehnender Haltung zum Irak-Krieg verbinden viele Parteigenossen das Gefühl, zusammen mit Frankreich Avantgarde der europäischen Zivilmacht gewesen zu sein. In der Großen Koalition kursiert der Vorwurf, Wieczorek-Zeul betreibe eine Ersatz-Außenpolitik, die sich gegen ihren Kabinettskollegen Frank-Walter Steinmeier (SPD) und den Konsens der Koalition richte. Die Kritik des Zentralrats wurde vom Fraktionsvorsitzenden der SPD, Peter Struck, und dem Außenpolitiker Niels Annen zurückgewiesen. Annen bezeichnete die Reaktionen von Knobloch und Korn als »ungerechtfertigt und nicht nachvollziehbar«.

Doch kaum ein Kritiker der Interventionen des Zentralrats wies auf die frappierende Inkonsequenz der Äußerungen Wieczorek-Zeuls hin. Der Beifall für ihre Empörung über den israelischen Einsatz der in ihrer Langzeitwirkung mit Landminen vergleichbaren, völkerrechtlich jedoch nicht verbotenen Streubomben zeugt vom kurzen Gedächtnis der Öffentlichkeit.

Im Jugoslawien-Krieg, den die rot-grüne Koalition nur ein Jahr nach ihrem Amtsantritt unterstützte und an dem die Bundeswehr teilnahm, wurden cluster bombs ebenso eingesetzt wie im Krieg gegen Afghanistan im Herbst 2001. Wer Streubomben nicht generell als heimtückische und in ihren Folgewirkungen verheerende Waffengattung deklariert, argumentiert lediglich taktisch und hat kein Patent auf zivilgesellschaftliche Verantwortung, die in der SPD so hoch im Kurs steht. Eingedenk der fehlenden Klage über den Einsatz von Streubomben in den von ihrer Partei unterstützten Kriegen und der umso lauter geäußerten Empörung über das Vorgehen der israelischen Armee kann von einer »Reflexhaftigkeit« der Ministerin keine Rede sein.

Der Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten ist ein Novum in der Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen, dem in Israel weitaus weniger Bedeutung zugemessen wird als hierzulande. Antifaschistische Appelle gegen einen militärischen Einsatz in dem Gebiet wurden von der politischen Realität zum wohlklingenden Anachronismus degradiert. Endgültig durchgesetzt hat sich das längst wirksame Prinzip des anything goes – mit dem Rekurs auf den Nationalsozialismus konnte schon Belgrad bombardiert werden.

Eine skurrile Pointe der gegenwärtigen Debatte ist, dass zu den prominentesten Mahnern vor einem solchen Bundeswehreinsatz führende Politiker der CSU und FDP zählen. Guido Westerwelle (FDP) und Edmund Stoiber (CSU) äußerten sich skeptisch im Hinblick auf die Tauglichkeit der Bundeswehr und die neuen Dimensionen der Mission. Dagegen gilt inzwischen die Maxime des historisch begründeten Fernbleibens deutscher Soldaten vom Nahen Osten auch manchem Linken bloß noch als Flucht vor einer imaginierten weltpolitischen Verantwortung.