Stalins Programm

Mit der Journalistin Anna Politkovskaja wurde eine der engagiertesten Kritikerinnen der Politik Wladimir Putins ermordet. Dessen Umgang mit Medien ist symptomatisch für sein Politikverständnis. von martin schwarz

Anna Politkovskajas letzter Artikel – er wurde wenige Tage nach ihrem Tod veröffentlicht – beschreibt in wenigen Worten, woran Russland dahinsiecht: »Kämpfen wir mit legalen Mitteln gegen die Gesetzlosigkeit? Oder zerschlagen wir sie mit unserer eigenen Gesetzlosigkeit?« schreibt sie. Und gibt damit eine prägnante Zustandsanalyse russischer Verhältnisse und wohl auch einen Hinweis auf das Skript ihrer eigenen Ermordung. Denn dass es sich beim Mord an der Journalistin um einen politischen Auftragsmord handelt, scheint klar. Vor einigen Jahren schon wurde eine Nachbarin Politkovskajas ermordet, die nicht nur das Pech hatte, im selben Haus zu wohnen, sondern der Feindin des Systems Putin auch noch verdammt ähnlich zu sehen.

Das Fatale an der Ermordung Politkovskajas ist, dass wohl weder Präsident Wladimir Putin noch sein kaukasischer Vasall, der tschetschenische Premierminister Ramsan Kadyrow, tatsächlich einen Auftrag zum Mord an der Journalistin haben geben müssen. Dazu war – erstaunlich für westliche Beobachter – Politkovskaja in Russland zu unwichtig. Ihre Zeitung, die Novaya Gazeta, war zwar eine publizistische Fackel der Putin-Gegner, aber im Vergleich zu anderen Medien zu klein, um in Russland selbst meinungsbildend zu wirken. Im Biotop der von Putin gleichgeschalteten Medien ist das Blatt höchstens eine kleine Rückenstärkung für jene, die Putins Politik – zumal jene in Tschetschenien – nicht gutheißen. Wirklich gefährlich werden kann sie aber dem Machtapparat nicht.

Insofern dürfte die Ermordung Politkovskajas auch das Werk des mittleren Managements in der Putinschen Machtfabrik gewesen sein. Es hat wohl gereicht, dass Kadyrow oder Putin des öfteren über die nervende, die unangenehme und die noch dazu im Westen verehrte Politkovskaja gestöhnt haben, um den Auftragsmord zu befehlen. Genau das ist es aber, was der Meinungsfreiheit in Russland auch in den nächsten Jahren schwer zu schaffen machen wird: Es braucht keinen offen ausgesprochenen Auftrag zum Mord, um eben diesen erledigen zu lassen. Für Putin, den kalten Machtpragmatiker, ist das ein Triumph, denn es beweist, dass sein System der politischen Intrige, sein System der politischen Fatwa auf russische Art, bestens funktioniert. Putin hat seinen Apparat im Griff und braucht nicht einmal mehr Befehle zu erteilen, damit sie ausgeführt werden. Gelernt hat er das Spiel der Intrige und des sich selbst regulierenden absolutistischen Systems wahrscheinlich während seiner Zeit beim KGB.

Zum Todesurteil für Politkovskaja dürfte auch geführt haben, dass sie zwar in Russland eher unwichtig war, dafür aber enge Kontakte mit dem Westen geknüpft hatte. In Wien hielt sie sich mehrere Monate auf, um hier ein Buch zu schreiben. In Wien gab sie Interviews über den Apparat der russischen Generäle, die Tschetschenien zum Testgelände ihrer militärischen Eitelkeiten gemacht hatten. Und dem Autor dieser Zeilen sagte sie bei einem Treffen in Wien, dass Putin wahrscheinlich nicht einmal den Krieg in Tschetschenien beenden könnte, wenn er wollte. Ihre Ermordung, die unter westlichen Journalisten, Schriftstellern, aber auch Politikern, heftigste Reaktionen hervorrief, war also auch ein Signal an den Westen: Russisches Leben hat in Russland keinen Wert, wenn es russische Interessen im Westen zu konterkarieren versucht. Der Westen wird Putins Lektion verstanden haben.

Die russischen Medien haben sich in den Tagen nach dem Mord mit der Bluttat arrangiert. Im russischen Fernsehen kam die Nachricht von Politkovskajas Tod in den Nachrichtensendungen eher in der Meldungsübersicht. Ein Mord eben unter vielen in Moskau – ein Mord immerhin an einer Journalistin. Mehr aber auch nicht. Die russischen Medien haben gelernt: Wenn der Präsident zu einem Ereignis schweigt, dann haben auch sie zu schweigen. Die Themen werden im Kreml diktiert – indirekt natürlich und mit sanftem, auch kommerziell ausgeübtem Druck.

Wenn Putin Vertreter westlicher Medien empfängt, kann der Mann mit den toten Augen ein charmanter Gastgeber sein. Ausgerechnet in Moskau tagte in diesem Jahr der Weltkongress der Zeitungsverleger. In seiner Eröffnungsrede sagte Putin: »Der Pressefreiheit verdankt Russland unglaublich viel. Ich versichere, dass ich als Präsident alles dafür tun werde, dieses Gut zu schützen.« Anna Politkovskaja wollte über den Kongress berichten. Sie konnte nicht: Man verweigerte ihr die Akkreditierung. Darüber berichtete niemand.

Offensichtlich waren die Mächtigen der Medien dieser Erde geblendet vom Staatsmann Putin, der vor ihnen ein Potemkinsches Dorf eines Russland aufbaute, das es so nicht gibt. Vielmehr geht Russland auch in seinem Verhältnis zu den eigenen Medien einen seltsamen Weg: Kommerziell erfolgreich ist, wer sich mit der Staatsmacht arrangiert. In der Sowjetunion nannte man das wahrscheinlich noch Korruption, heute heißt es Marktwirtschaft.

Verstörend wirkt wenige Tage nach dem Mord höchstens die Verwunderung, die im Westen ob des tragischen Todes Anna Politkovskajas herrscht. Selbst Angela Merkel war demonstrativ entsetzt und kündigte an, Putin mit dem Thema zu konfrontieren, als der in Dresden, seiner alten KGB-Wirkungsstätte, zu Besuch war. Aber wirklich erstaunt müssen nur diejenigen sein, die sich von Putin in den letzten Jahren haben blenden lassen – und das sind vor allem die deutschen Eliten: Putin spricht perfekt Deutsch, seine Frau spricht perfekt Deutsch, seine beiden Töchter besuchen die deutsche Schule in Moskau. Das macht sympathisch. Und dass er sich in schickes Tuch hüllt und im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jelzin niemals besoffen durch die Weltgeschichte wankt, scheint deutschen Managern und deutschen Politikern auch sehr zu gefallen. Ein Autokrat eben, der Manieren hat. Und in Wirklichkeit im Umgang mit Medien nichts weniger als Stalinsche Rezepte verfolgt.