Sechs Eier für die Feier

Nordkorea will seine Nuklearanlagen deaktivieren und erhält dafür Öl. Doch ähnliche Vereinbarungen sind in der Vergangenheit gescheitert. von martin schwarz

Wenn Kim Jong-il Geburtstag hat, will er allen Nordkoreanern eine Freude machen. In diesem Jahr war der »geliebte Führer« besonders großzügig, denn er wurde 65 Jahre alt. Die Nordkoreaner erhalten zusätzliche Lebensmittelrationen, 500 Gramm Speiseöl, ein Kilogramm Zucker, sechs Eier und sogar eine Flasche Alkohol pro Haushalt, damit sie auf das Wohl Kim Jong-ils anstoßen können. Am Freitag feierten ihn die Nordkoreaner mit Massenparaden; Soldaten der Armee sangen Lieder wie: »Mein Glück liegt im Schoß des respektierten Generals.«

Nach Ansicht des Regimes hatten sie in diesem Jahr auch deshalb besonderen Grund zum Jubel, weil Kim Jong-il die USA in die Knie gezwungen hat. »David mit der nuklearen Schleuder« habe den US-Präsidenten dazu gebracht, »die weiße Flagge zu schwenken«, meint Kim Myong-chol, den Asia Times online als inoffiziellen Sprecher Kim-Jong-ils bezeichnet.

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die Delegation des »geliebten Führers« bei den Gesprächen in Peking über nukleare Abrüstung ein für Nordkorea günstiges Abkommen ausgehandelt hat. Für recht geringfügige Zugeständnisse erhält das Land beachtliche Gegenleistungen. Binnen 60 Tagen will Nordkorea seine Wiederaufbereitungsanlage in Yongbyon schließen, die der Plutoniumgewinnung dient, wieder Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde ins Land lassen und eine Liste der Nuklearanlagen vorlegen. Dafür soll das Regime dringend benötigte Energielieferungen erhalten, zunächst 50 000 Tonnen Schwer­öl und später eine weitere Million Tonnen.

Und obwohl auch bei den Geburtstagsfeierlichkeiten wieder einmal die ständige Alarmbereitschaft und Wachsamkeit gegenüber den USA betont wurde, ist Nordkorea sehr daran interessiert, die diplomatischen Beziehungen zu den USA wieder aufzunehmen und mittelfristig auch von jener Liste gestrichen zu werden, die Staaten ächtet, die den Terrorismus unterstützen.

Doch der Deal lässt einige Fragen offen. So ist in dem entsprechenden Dokument nur davon die Rede, dass Nordkorea seine Anlagen »deaktiviert«. Was das genau heißt, ist wohl eine Interpretationsfrage. Denn nicht eindeutig geregelt ist, ob unter »Deaktivierung« eine vorübergehende Einstellung der Plutoniumherstellung zu verstehen ist oder ein Abbau der Produktionsanlagen. Die nordkoreanische Regierung dürfte versuchen, sich die Möglichkeit zu erhalten, die Atomfabrik zu reaktivieren.

Nicht einmal erwähnt wird in dem Abkommen die Frage nach bereits vorhandenen Nuklearwaffen. Im Oktober vergangenen Jahres gab Nordkorea einen erfolgreichen Atombombentest bekannt. Möglicherweise hat der »geliebte Führer«, der Kim Myong-chol zufolge zwei US-Präsidenten »ausgetrickst« hat, geschummelt. Denn für einen nuklearen Sprengsatz war die Explosion erbärmlich schwach, wie seismologische Analysen ergaben. Eine große Menge konventionellen Sprengstoffs hätte ausgereicht, um die gemessene Erschütterung zu verursachen. Möglich ist es auch, dass nur ein Teil des spaltbaren Materials zündete. Die US-­Marine gibt an, vor der Küste Nordkoreas radioaktive Isotope gemessen zu haben, die bei einer Nuklearexplosion entstehen.

Wenn es sich tatsächlich um einen erfolgreichen Atombombentest handelte, hat Kim Jong-il sicher nicht seinen einzigen Sprengsatz geopfert. Was mit den anderen geschehen soll, wird in der Einigung nicht erläutert. Damit hätten die USA »anerkannt, das die Demokratische Volksrepublik Korea ein Atomwaffenstaat ist«, meint Kim Myong-chol. Bush sieht das anders. Es ist jedoch mög­lich, dass Kim Jong-il glaubt, mit Atomwaffen eine Dauersubventionierung seines Regimes erzwingen zu können. Und selbst wenn er zur nuklearen Abrüstung bereit sein sollte, dürfte er in den Schweröllieferungen nur eine kleine Anzahlung sehen.

Herauszufinden, worauf Kim Jong-il hi­nauswill, ist nicht einfach. Eines der Hauptprobleme für die US-Unterhändler ist die Dürftigkeit der Informationen aus dem hermetisch abgeriegelten Land. Die Geheimdienste haben keine gesicherten Erkenntnisse über die Nuklearanlagen und rätseln darüber, wie weit die Raketen Atomsprengköpfe tragen könnten. Seit Jahren versuchen sie vergeblich herauszufinden, ob das Regime neben der Plutoniumfabrik in Yongbyon noch eine Anlage betreibt, in der Uran angereichert wird. Das nötige technische Know-how dazu soll angeblich der pakistanische Nukleartechnologe Abdul Qadeer Khan geliefert haben. Bislang hat es das nordkoreanische Regime gut verstanden, durch Tarnung und Täuschung die Verhandlungspartner im Unklaren zu lassen.

Für eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel wird das Abkommen gewiss nicht sorgen. Bush, der Zugeständnisse an Nordkorea noch vor kurzem abgelehnt hat, ist nun bemüht, seinen überraschenden Sinneswandel den republikanischen Hardlinern schmackhaft zu machen. John Bolton, ehemaliger UN-Botschafter und enger Vertrauter des Vizepräsidenten Dick Cheney, bezeichnete das Abkommen als »schlechten Vertrag«. Schließlich sei es eine »Abkehr von den politischen Prinzipien des Präsidenten«. Diese Prinzipien wurden in den vergangenen sechs Jahren recht konsequent durchgesetzt und liefen im Grunde auf kalkulierte Eskalation hinaus. Die US-Regierung versuchte, Nordkorea durch Sanktionen und die Sperrung von Auslandskonten unter Druck zu setzen, und wollte nur überprüfte Abrüstungsschritte mit Zugeständnissen honorieren.

Davon kann nun keine Rede mehr sein. Versprechungen sind es, auf denen der Vertrag basiert, und noch dazu solche, deren Einhaltung trotz der Entsendung von IAEA-Experten schwer überprüfbar sein wird. Bereits 1994 und noch einmal elf Jahre später erklärten die Nordkoreaner sich zur nuklearen Abrüstung im Austausch gegen Wirtschaftshilfe bereit, doch die Vereinbarungen scheiterten an der unterschiedlichen Interpretation der Vertragsklauseln.

»Ich habe die Dynamik der Nordkorea-Frage verändert, indem ich andere dazu brachte, sich mit uns an einen Tisch zu setzen«, rechtfertigte Bush, ungewohnt multilateral argumentierend, seine neue Politik. Doch China, Südkorea, Russland und Japan sind bereits seit dem Jahr 2003 an den Verhandlungen mit Nordkorea beteiligt. Die Vermutung liegt nahe, dass es der Atombombentest war, der die Kompromissbereitschaft Bushs erhöhte. Nordkoreanische Raketen können zwar wahrscheinlich nicht das Territorium der USA erreichen, wohl aber Südkorea, Japan und zahlreiche amerikanische Militärbasen in der Region.

Der Vertrag mit Nordkorea »sendet genau das falsche Signal«, kritisierte Bolton. Der Deal könnte bei den Iranern den Eindruck erwecken, sie würden zuvorkommender behandelt, wenn sie erst einmal über Atomwaffen verfügen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sieht den Vertrag dagegen als Modell für Verhandlungen mit dem Iran. Die Lage im Mittleren Osten ist jedoch eine gänzlich andere, und es ist unwahrscheinlich, dass Bush seine Politik gegenüber dem Iran, dem nunmehr einzigen verbliebenen Mitglied der »Achse des Bösen«, grundsätzlich ändert.