Unterschätze nie die dunkle Seite der Energie

Die Beobachtung einer Supernova könnte die Lebensdauer des Universums verkürzt haben, glauben zwei Kosmologen. Grundlage ihrer Theorie ist die Quantenmechanik. von ferdinand muggenthaler

Dunkle Energie, falsches Vakuum, Weltuntergang. Das klingt nach unterhaltsamem Grusel oder mäßig origineller Science Fiction. Doch es sind die Stichworte, mit denen der New Scientist die jüngste Arbeit der Quantenkosmologen Lawrence Krauss und James Dent der Öffentlichkeit vorstellte.

Tatsächlich beschäftigen sich Krauss und Dent vor allem mit der Frage, warum unser Universum nicht längst in sich zusammengefallen ist. Erst am Ende ihrer Arbeit stellen sie vorsichtig die Frage, ob die Beobachtung »dunkler Energie« den Verfall beschleunigt haben könnte. »So unglaublich es erscheinen mag, unsere Messung von dunkler Energie könnte die Lebenserwartung des Universums verkürzt haben«, fasst Krauss die Überlegung zusammen.

Ein absurder Gedanke? Nicht ganz. Die Überlegung verweist auf die nach wie vor umstrittene Interpretation der Quantenmechanik. Die Grund­lagen der Quantenmechanik haben in den zwanziger Jahren Erwin Schrödinger, Max Born, Niels Bohr, Werner Heisenberg und andere gelegt. Die Voraussagen, die sich mit ihren mathematischen Werkzeugen treffen lassen, haben sich seither in Experimenten tausendfach bestätigt. Die Physiker gehen inzwischen ganz selbstverständlich mit ihren Formalismen um. Aber die Interpretation dieser physikalischen Theorie ist bis heute auch unter Experten umstritten.

Die Quantenphysik arbeitet gleich mit mehreren für den Alltagsverstand schwer zu akzeptierenden Konzepten. So führte sie den Zufall in die Naturgesetze ein. Vorher stellten sich die Physiker Natur­gesetze als deterministische Regeln vor. Entsprechend müsste die Welt funktionieren wie eine Spieluhr, die, einmal aufgezogen, unerschütterlich die vorgegebene Melodie von sich gibt.

Die Quantenmechanik sagt, dass es anders läuft. Die Natur improvisiert. Die Dinge haben den Zufall eingebaut. Das Verhalten der kleinsten Bausteine des Kosmos lässt sich nicht immer vorhersagen. Die Wahrheit ist statistisch. Erst in der Zusammenballung von unvorstellbar vielen Quarks zu Neutronen und Protonen, die sich wiederum mit Elektronen zu den Atomen zusammensetzen, aus denen unsere Welt gebaut ist, sieht vieles sehr berechenbar aus.

Für uns könnte das eine gute Nachricht sein. Wie wäre so etwas wie Freiheit denkbar, wenn alles vorherbestimmt ist? Zwar macht uns die Quantenphysik noch nicht frei. Sie erklärt auch nicht, wie das menschliche Gehirn Bewusstsein entwickelt, auch wenn einige Quantenphysiker das inzwischen versuchen. Aber ein eingebauter Zufall macht erst einen evolutionären Prozess möglich, in dem sich Leben entwickelt. Und erst in diesem Prozess sind Menschen entstanden, die sich über Freiheit und Quanten Gedanken machen können.

Obwohl die Quantenphysik in einigen Bereichen den Zufall einführt, liefert ihre mathematische Formulierung in anderen Bereichen extrem genau bestätigte Vorhersagen. Aber außer dem Zufall bringt sie noch andere schwer fassbare Phänomene mit sich wie die Unschärferelation oder die Verschränkung von Teilchen. Zwei verschränkte Teilchen lassen sich nur als zusammenhängendes Gesamtsystem begreifen. Das führt beispielsweise dazu, dass zwei verschränkte Photonen (Lichtteilchen), selbst wenn sie schon Lichtjahre voneinander entfernt sind, sich nicht unabhängig voneinander beschreiben lassen. Wird der Zustand eines Photons durch eine Messung festgelegt, ist auch der Zustand des anderen Photons festgelegt.

Die Arbeitsgruppe des österreichischen Physikers Anton Zeilinger benutzt diesen Effekt, um Photonen zu teleportieren. Bis zum Beamen ganzer Menschen à la Raumschiff Enterprise ist es zwar noch ein weiter Weg. Aber eine absolut abhörsichere Datenübertragung ließe sich so konstruieren. »Spukhafte Fernwirkung« nannte Albert Einstein dieses Phänomen. Einstein konnte sich nie mit den Implikationen der Quantenmechanik anfreunden, obwohl er wichtige Beiträge zur Entwicklung der Theorie geliefert hat.

Kein Wunder, dass erst recht die Vertreter des vermeintlich gesunden Menschenverstands ihre liebe Not mit der Quantenphysik hatten und haben. So schlugen die Vertreter der »deutschen Physik« die Quantenmechanik der »jüdischen Physik« zu und wetterten gegen deren theoretischen Formalismus. 1937 startete das SS-Wochenblatt Das schwarze Korps einen Angriff auf Werner Heisenberg, den Mitbegründer der Quantenmechanik. Heisenberg, der ab 1939 erfolglos an der Entwicklung einer deutschen Atombombe arbeitete, wurde als »weißer Jude« beschimpft. Bis heute halten einige Stalinisten die Quantenmechanik für eine bürgerliche Erfindung, die wie Religion eine Wissensschranke errichten will. Dass eine nicht deterministische Theorie sowohl den Vertretern einer natürlichen Überlegenheit der Rasse als auch den Anhängern der unaufhaltsamen Entwicklung zum Kommunismus suspekt ist, verwundert nicht. Daraus eine Art physikalische Totalitarismustheorie zu basteln, geht aber zu weit. Die erkenntnistheoretischen Probleme, die die Quantenmechanik mit sich bringt, machen auch den Experten bis heute zu schaffen.

Eine nicht schlüssig gelöste Frage ist dabei: Was ist eine Messung? Die Quantentheorie sagt vorher, dass wir mit einer Messung bzw. einer Beobachtung immer auch die Wirklichkeit verändern. Diese Feststellung mag in den Sozialwissenschaften banal erscheinen. Es wird kaum jemand abstreiten, dass z.B. eine Umfrage nicht einfach nur vorhandene Meinungen feststellt. Die Tatsache, dass sie gefragt werden, und die Art der Fragestellung beeinflussen die Befragten. Einen Beobachter, der sich vollkommen außerhalb des Geschehens stellen kann, gibt es nicht.

In der Physik geriet mit dieser Erkenntnis ein Weltbild ins Wanken, und es wankt noch. So kommt die anschauliche Vorstellung abhanden, ein Teilchen, das bei Punkt A startet und bei Punkt B ankommt, lege immer einen definierten Weg von A nach B zurück. Vielmehr scheint das Teilchen zwischen den Messungen in einer Überlagerung aus allen möglichen Wegen zu existieren.

Ohne Messung scheinen sich die Elementarteilchen nicht einmal darauf festzulegen, dass sie überhaupt Teilchen sind. Ein Elektron beispielsweise verhält sich anders, nämlich wie eine Welle, wenn zwei mögliche Wege zum Ziel offen sind, als wenn es nur einen Weg nehmen kann. Was soll es aber bedeuten, dass ein Elektron sich je nach Versuchsaufbau als Teilchen oder als Welle verhält? Eine positivistische Interpretation sagt, es sei sinnlos, von einem Weg zu sprechen, die einzige Tatsache, an die wir uns halten können, ist der Ausschlag der Messgeräte. Mit dem mathematischen Formalismus, der das Verhalten der physikalischen Objekte zwischen den Messungen beschreibt, dürfe man keinerlei Realität verbinden. Doch dieser Standpunkt befriedigt auch viele Physiker nicht.

Bei allen begrifflichen Problemen lässt sich der Einfluss der Messung mit relativ einfachen Experimenten nachweisen. Besonders erstaunlich ist es, dass sich der radioaktive Zerfall eines Atoms tatsächlich verzögern lässt, indem man »nachschaut«, ob es schon zerfallen ist. Weist die Apparatur das noch nicht zerfallene Atom nach, so wird die Uhr sozusagen wieder auf Null gesetzt und die Wahrscheinlichkeit, dass das Atom in nächster Zeit zerfällt, sinkt. Beobachtet man ein Atom ständig, so wird es extrem langlebig. Man nennt dieses Phänomen Quanten-Zenon-Effekt.

Damit kommen wir zurück zu Krauss und Dent. Auch in ihrer Arbeit spielt dieser Effekt eine wichtige Rolle. Die beiden Wissenschaftler versuchen, die Methoden der Quantenphysik, wie andere Quantenkosmologen auch, auf das Universum als ganzes anzuwenden.

Krauss und Dent gehen davon aus, dass unser Universum von dunkler Energie auseinandergetrieben wird. »Dunkle« Energie deshalb, weil sie keine elektromagnetische Strahlung aussendet und deshalb nicht direkt beobachtet werden kann. Diese dunkle Energie wird mit einem »falschen Vakuum« erklärt – wiederum ein quantenmechanisches Phänomen. Dieses falsche Vakuum zerfällt ähnlich wie radioaktive Elemente. Krauss und Dent spekulieren nun, die Beobachtung einer Supernova 1998, von der auf die Existenz des falschen Vakuums geschlossen wurde, könnte einen Quanten-Zenon-Effekt wahrhaft universeller Dimension ausgelöst haben. Die Folge wäre nach ihren Berechnungen aber entgegengesetzt zum Ergebnis des oben beschriebenen Experiments. Die Halbwertszeit des Universums wäre durch die Beobachtung des falschen Vakuums stark verkürzt worden, und unsere bekannte Welt würde einem neuen Urknall entgegensteuern.

Grund zur Panik besteht aber nicht. Erstens könnten wir eh nichts mehr ändern. Zweitens ist unklar, ob sich die Gesetze der Quantenmechanik so einfach von der Mikrowelt auf den Kosmos übertragen lassen. Zwar liefern die Berechnungen der Quantenkosmologen interessante Ergebnisse. Sie sind aber vor allem eine Art durch Mathematik gestützte Philosophie. Eine direkte experimentelle Überprüfung ihrer Thesen ist schon wegen der schieren Größe des Untersuchungsgegenstands schwer. Drittens bleibt die Frage ungeklärt, was eigentlich eine Messung ist. Schon in der Quantenphysik der kleinen Dimensionen ist umstritten, ob die Messung erst abgeschlossen ist, wenn ein Mensch die Messgeräte abliest. Diese Annahme scheint dem Homo sapiens eine unbegründete Sonderstellung einzuräumen. Aber wo ist dann die Grenze zwischen Mess­appara­tur und gemessenem Gegenstand? Bei dem Universum als beobachtetem Gegenstand stellt sich die Frage noch in ganz anderer Dimension: Kann es überhaupt eine Messung geben, wenn es keinen Standpunkt außerhalb gibt? Jeder mögliche Beobachter ist ja selbst Teil des Messobjekts.

Könnten wir einfach in ein Paralleluniversum verschwinden, dann wäre zumindest das letzte Problem gelöst. Tatsächlich gibt es Physiker, die glauben, die Quantenphysik mit einer Theorie der Paralleluniversen schlüssig interpretieren zu können. Aber das ist eine andere Geschichte.