Drill für Dumpfbacken!

Wann immer Einwanderer bei einer Debatte in Deutschland eine Rolle spielen, setzt sich der rassistische Konsens durch. Das zeigt die gegenwärtige Diskussion um gewalttätige Jugendliche. Ein Kommentar. von burkhard schröder

Roland Koch ist ein genialer Rechtspopulist und benutzt die Medien noch besser als der verstorbene Neonazi-Anführer Michael Kühnen für seine Zwecke. Aber er könnte deutlicher sein, damit die Menschen draußen im Lande nicht intellektuell überfordert werden. »Erziehungscamps« – das klingt noch zu kuschelig und nach Gutmenschentum und Pfadfindern. Koch hätte fordern müssen, Jugendliche, die Rentner krankenhausreif prügeln, in »Lager« zu stecken. Das brächte die Sache auf den Punkt und brutalstmögliche Aufmerksamkeit.

Schwierig wäre es lediglich mit jungen Juden. Juden in deutschen Lagern – was würde das Ausland dazu sagen? Die könnte man aber, falls sie in Deutschland verhaltensauffällig werden, nach Israel abschieben und dort in die Armee schicken. Oder warum nicht gleich ab zum Flughafen nach Gaza? Bei Afrikanern nimmt man es auch nicht immer so genau, in welches Land sie abgeschoben werden.

Was eigentlich ist das Thema des Diskurses, dessen verbale Brocken vom PR-Wahlkampftisch des hessischen Ministerpräsidenten fallen und vom Mainstream begeistert aufgenommen und wieder­gekäut werden? Der »Gewalt«-Diskurs, der in konjunkturellen Schüben kommt und immer wieder geführt wird, ist bekanntlich reine Moraltheologie und hat mit der Realität nicht viel zu tun. Wer Jugendgewalt medial inszeniert, wie Roland Koch, bedient sich der voyeuristischen Angstlust für eigene politische Zwecke: Gewalt ist geil, wenn man selbst nicht das Opfer ist. Nichts finden Medien attraktiver als die Randale.

In Deutschland setzt sich aber bei jedem Thema, bei dem Einwanderer eine Rolle spielen, der rassistische Konsens durch. Alle sozialen und gesellschaftlichen Probleme, insbesondere Kriminalität, werden ethnisiert. Kriminalität und Gewalt bekommen so eine »kulturelle« Konnotation.

Rational lässt sich darüber nicht diskutieren. Der Filmemacher Rosa von Praunheim hat Anfang der siebziger Jahre den legendären Filmtitel erfunden: »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.« Das kann man derzeit leicht verändert übernehmen: Nicht der »ausländische« Jugendliche ist kriminell, sondern die Situation, in der er lebt – und dementsprechend verhält er sich.

Koch macht auf seine bekannte Art mediale Bambule – ein Wort aus der Gaunersprache, das Wikipedia zufolge »Trommeln mit allen möglichen Gegenständen innerhalb und außerhalb von Gefängniszellen als eine von Häftlingen praktizierte Form des Protestes bezeichnet«. Kriminelle Jugendliche machen auch Bambule, mit ihren Mitteln, genau wie Koch auf Kosten anderer. Dass geschlossene Heime für schwer Erziehbare gerade das Gegenteil dessen bewirken, was sie wollen und sollen, weiß man spätestens seit Ulrike Meinhofs Film und Drehbuch »Bambule« aus dem Jahr 1970. Neuere Thesen sind seitdem nicht bekannt geworden.

Schneller abschieben, härter bestrafen, Ausländer raus – zwischen die CDU und die NPD passt kein Blatt Papier mehr, und Unterschiede in der Wortwahl zwischen rechten Demokraten und braunen Kameraden finden nur noch intellektuelle Wortklauber. Die CSU forderte auf ihrer Klausurtagung in Kreuth, EU-Bürger auszuweisen, auch wenn diese minderjährig seien. Das ist selbstredend reiner Wahlkampf und bloßer Populismus, weil das europäische Recht das gar nicht erlaubt.

Aber darauf kommt es nicht an. Roland Koch und seine weltanschaulichen Genossen in Bayern stehen für das einzig mögliche politische Allein­stellungsmerkmal, das der bürgerlichen Rechten noch bleibt: in der Tradition des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß den Rechtsextremen die Stimmen abzujagen. In der Mitte drängeln sich alle, dort lassen sich keine potenziellen Wähler fangen. Mit der Inszenierung des Themas, »Jugendliche werden immer öfter gewalttätig, und die Ausländer werden immer öfter kriminell«, nutzt die CDU das Gefühl ihrer Klientel, von finster blickenden Südländern umzingelt zu sein, für sich.

Befremdlich wirkt, dass die naheliegende Frage bis jetzt nicht gestellt wurde: Warum fordert niemand »Erziehungscamps« für Neonazis? Bootcamps in Brandenburg, Drill für braune Dumpfbacken, staatlicher Schliff für saudumme Skinheads? Dass man Mitglieder der sächsischen NPD nicht nach Sibirien abschieben kann, ist zwar bedauerlich, aber wenn man minderjährige griechische EU-Bürger auf den Peloponnes verfrachten will, wenn sie sich in Deutschland nicht benehmen, dann sollte man auch die juristischen Voraussetzungen dafür schaffen können, ein Gesetz zur Beschränkung des Aufenthalts von Rassisten und Antisemiten beschließen zu können.

Der von den Medien inszenierte Diskurs über Jugendgewalt ist nur ein Mittel, um über das Thema Einwanderung und das, was »deutsch« sei, indirekt diskutieren zu können. Der vermutlich kurzlebige Wahlkampfstreit um die Integration junger Migranten verdeckt, dass weder Roland Koch noch die CDU insgesamt irgendeine Vorstellung haben, wie eine moderne Gesellschaft ohne nationalistisches und völkisches Brimborium aussehen könnte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist fein raus. Sie kann abwarten, ob Koch bei den Wahlen erfolglos sein wird, und folgenlos ankündigen, man wolle härtere Gesetze prüfen. Das Thema wird schnell abgehakt werden, sollte Koch scheitern. Der hessische Rechtspopulist muss, weil es um sein politisches Überleben geht, testen, inwiefern rassistische Parolen noch von den Wählern honoriert werden. Da es in der Politik um Macht, nicht aber um Inhalte geht, wird Merkel, falls Koch mit seiner Strategie aus der weltanschaulichen Mottenkiste durchkommt, ohne zu zögern auf seine Linie umschwenken.

Für eines muss man Koch dankbar sein. Der Unterhaltungswert der Debatte ist hoch, obwohl alle Argumente schon seit mindestens 30 Jahren bekannt sind. Die CDU demaskiert sich derzeit selbst. Jürgen Gehb (CDU) forderte ein »Fahrverbot für junge Kriminelle«, Jürgen Banzer (CDU) die zwangsweise Auflösung von Jugendcliquen und ein »Handyverbot für Straftäter«. In der polizeilichen Kriminalstatistik wollen die Innenminister der CDU und der CSU künftig auch den Migrations­hintergrund von Straftätern erfassen. Es fehlt nur noch, dass dazu der »Ariernachweis« wieder aus der Schublade hervorgekramt wird.

Kein Vorschlag ist zu verrückt, als dass ihn nicht irgendein Hinterbänkler machen würde, um in die Medien zu kommen. Hier eine Prophezeiung, mit welchen Forderungen demnächst gerechnet werden muss: Internetverbot für alle Einwanderer unter 30 Jahren! (Kinderpornografie! Rechtsex­tremismus!) Computer- und Videospiele für jugendliche Ausländer und Einwanderer nur nach Vorlage eines Erlaubnisscheins des zuständigen Jugendschutzwartes! Wiedereinführung der Sippenhaft aus humanitären Gründen – abgeschobenen ausländischen jugendlichen Straftätern kann man nicht zumuten, ohne ihre Familie zu leben!