Das braune Bit

Entgegen ihren eigenen Wünschen und entgegen den Vorhersagen und Analysen ihrer Gegner sind Neonazis nicht im­stande, das Internet für ihre Zwecke zu nutzen. Sie kommen nicht über ihre ­kleine Nische hinaus. von burkhard schröder

»Die Rechtsextremen haben die moderne Technik entdeckt.« Sie möchten »Kontakte zwischen ›na­tionalen Gruppen‹ stabilisieren, Informationen aus dem ›rechten Getto‹ verbreiten, die linken und staatlichen Gegner mit ›hervorragenden Ver­schlüsselungsprogrammen‹ überlisten«. Das ­berichtete der Focus schon 1993, damals ging es um den Mailboxverbund »Thule-Netz«. Die Fragen sind dieselben geblieben: Nazis im Internet – muss man das nicht der Obrigkeit melden, verbieten und hart durchgreifen? Nazis raus aus dem Usenet, World Wide Web, Internet Relay Chat und aus Second Life, wie es die Linke moralisch wertvoll, aber inhaltlich sinnfrei fordert?

Das Internet schadet den Neonazis. Diese These muss deshalb betont werden, weil das Publikum durch zahllose, gegenteilige Pressemeldungen abgestumpft ist. »Neonazis verschärfen Ton im Internet«, vermeldete die Welt 1998. Die PDS forderte im Jahr 2000: »Nazis raus aus dem Internet!« Der Verfassungsschutz Thüringen urteilte 2002: »Mit der Etablierung von Rechtsex­tremisten im Internet wächst die Gefahr, dass im­mer mehr Menschen mit rechts­extre­mistischem Gedankengut in Berührung kommen.« Die Tages­schau berichtete 2005: »Nach Angaben des Verfassungsschutzes nutzen Rechtsextreme zunehmend den Internet-Dienst des so genannten ­Internet Relay Chat.« Die Zeit wusste 2007: »Neonazis nutzen das Internet, um sich weltweit mit Geistesverwandten zu vernetzen.« Auf Heise online durfte 2007 ein Politologe feststellen: »Rechts­extremisten nutzen das Internet alarmie­rend effektiv.«

Zunehmend, immer häufiger, immer mehr, es wird alles immer schlimmer im Internet – stimmt das? Das rechtsextreme Milieu nutzt die verschie­denen Dienste im Internet genau wie alle anderen User auch, zum Teil schneller und früher als der Mainstream, zum Teil langsamer und mit großer Mühe. Die Zahl aktiver rechtsextremer Nutzer ist überschaubar geblieben, auch die Zahl der­jenigen, die sich in Foren und Web-2.0-Applikatio­nen herumtreiben. Anfang und Mitte der neun­ziger Jahre waren private Homepages eher die Aus­nahme. Die deutsche Neonazi-Szene kommunizierte mehr oder weniger klandestin über etwa ein Dutzend Mailboxen, entschied sich also, wie die damalige Antifa, für die falsche Methode: Die archaische Technik eines Bulletin Board System ist derzeit fast ausgestorben. Propaganda betreibt man vorwiegend in den Newsgroups des Usenet, dem ältesten Dienst des Internet.

1995 publizierte der US-amerikanische Neonazi Milton Klein »On Tactics and Strategy for Usenet« – ein Traktat, das einige wenige, primitive Weisheiten wiederholt. Man dürfe nicht gleich verraten, was man politisch wolle: »Avoid the race issue!« Man müsse die potenziellen Sympathisanten persönlich ansprechen. Man müsse Thesen so oft wie möglich wiederholen: »Repeat powerful themes over and over and over.« Man solle sich mit dem politischen Gegner nicht unnötig herumstreiten: »Electronic ›guerilla war­fare‹, ›hit and run‹ style, using short, ›self-contained‹ posts is a major component of our struggle.«

Am Ende des vergangenen Jahrtausends begann die rechtsextreme Szene, das Internet kommerziell zu nutzen. Die ersten virtuellen Communities entstanden um die Versandhäuser, die Musik und Devotionalien verkauften. Der Höhepunkt der rechtsextremen www-basierten Foren mit ihren zum Teil mehreren hundert Nutzern ist mittlerweile aber überschritten: Wollen sie erfolgreich sein, müssen sie Ein Sammelsurium aus kontinuierlichen Informationen anbieten, garniert mit dem »Kuschelfaktor« der virtuellen Gemeinschaft. Neonazis verbreiten aber – mit wenigen Ausnahmen – keine Informationen, son­dern Propaganda, die nur die anspricht, die ohne­hin Rassisten und Antisemiten sind. Politische Meinungen lassen sich durch Medien nur sehr schwer beeinflussen, darin sind sich die meis­ten Medienwissenschaftler einig. Außerdem ist der Versuch der größten Neonazi-Foren der strafrechtlichen Verfolgung in Deutschland dadurch zu entgehen, dass sie zu ihren Gesinnungsgenossen in den USA auswichen, kläglich gescheitert. Bei skadi.net, dem größten »nationalen« Web-Forum weltweit, wird immer noch vorwiegend englisch gesprochen. Der oft pseudo-reli­giös verbrämte Antisemitismus der US-Neonazis entspricht nicht der eher neuheidnischen Ausrichtung in Europa, und der Diskurs über die szenetypische Musik, der in Deutschland vor allem regional verankert ist, hat in großen, internationalen Foren eine geringe Bedeutung.

Die Entwicklung in Deutschland ist seit etwa zwei Jahren klar abzusehen: Die Neonazi-Szene im Internet diversifiziert sich – die »Großen« gewinnen. Private Homepages oder solche von Kameradschaften verlieren an Bedeutung, obwohl die Technik privater Blogs die Hemmschwel­le, selbst etwas zu publizieren, herabgesetzt hat. Es gibt aber kaum jemanden im braunen Milieu, der in der Lage ist, ein »Tagebuch« im »Weltnetz« zu schrei­ben oder dort aktiv zu werden, wo sich der Massenverkehr im Internet abspielt. Die wenigen Versuche, etwa Videos bei Youtube zu verbreiten, endeten als propagandistische Desaster: Die meisten Nutzer verstanden die Machwerke als Realsatire und kommentierten sie dementsprechend. Wer bei Youtube den Suchbegriff »NPD« ein­gibt, findet fast nur Comedy.

Die relevanten Websites kann man an einer Hand abzählen, nicht alle haben etwas mit der NPD zu tun. »Relevant« bedeutet, dass sie ansatzweise verifizierbar und kontinuierlich Informationen bieten und nicht nur Agitprop. On­lineverweise.de von Marco Kreischer und seiner Zeitzer Firma Enos-Shop bietet die zurzeit größte Linksammlung rechtsextremer »Heimseiten«, kom­biniert mit einem Online-Shop und mehreren Blogs, die aber über das Stadium des Versuchs noch nicht weit hinausgekommen sind. Das »na­tionale Netztagebuch« der NPD entspricht als eine der wenigen Websites dem derzeit möglichen Standard. Altermedia.info, die wichtigste Informationsquelle für die europäische Szene, ist schon lange eine eingeführte Marke. Das gilt auch für das »Störtebeker-Netz«, ein Ein-Mann-Unternehmen des Stralsunder Neonazis Axel Möller, der sich aber nicht nur mit allen politischen Gegnern anlegt, sondern auch mit den eigenen Gesinnungsgenossen.

Die Neonazis scheitern im Internet immer wieder an den kapitalistischen Grundregeln. Informa­tionen und Attribute eines Lebensgefühls sind Waren, die sich auf dem Markt gegen andere behaupten müssen. Wenn die Konkurrenz nur ei­nige Mausklicks weiter lauert, muss man sich anpassen. Die eigene »corporate identity« verliert dann aber an Schärfe. Der verkrampfte Versuch, englische Lehnwörter wie »Internet« einzudeutschen, lässt sich im Detail ohnehin nicht durchhalten. Die Deutschtümelei scheitert vollends an Begriffen wie »Usenet«, »Internet Relay Chat« und »Open Source«. Je mehr virtuelle Communities im Internet entstehen, in 3D-Welten wie Second Life, in Computerspielen wie »World of Warcraft« oder dem älteren »Age of Empires«, des­to häufiger werden offen neonazistische Gruppen in kleine Nischen verbannt, weil sie nur für politische Sektierer interessant sind.

Im Netz werden Neonazis nur dann gefährlich, wenn sie regional agieren und keine Konkurrenz haben. Dann füllen sie eine Marktlücke – mit Angeboten, die Freizeit zu gestalten, mit Musik, die das Lebensgefühl der potenziellen Sympathisanten ausdrückt, oder mit der Attitüde der Underdogs. Verbote verstärken die Attraktivität. Es ist von Vorteil für Neonazis, wenn sie behaupten können: »Wir würden gern unsere Meinung im Internet sagen, aber das ist uns verboten worden.«