Das neue Webportal netz-gegen-nazis.com

Nutzlos gegen Rechts

Die Wochenzeitung Die Zeit hat eine neue Website »gegen Rechts«. Mitinitiatoren von netz-gegen-nazis.com sind der Deutsche Fußballbund, die Deutsche Fußball-Liga und der Deutsche Feuerwehrverband. Das Projekt zeigt pädagogisch wertvoll, wie man alles gut meinen, aber falsch machen kann.

Das neue Internetportal will darüber aufklären, »wie sich rechtsextremistische Tendenzen in unseren Alltag einschleichen«. Zielgruppe sind Feuerwehrleute, Lehrer und Schüler, Fans und Trainer, Eltern und Kinder. »Kurz: Wir alle!« Die verbale Zwangskollektivierung legt den Verdacht nahe, dass es sich nicht um eine journalistische, sondern um eine moralische Angelegenheit handelt – frei nach dem Kinderlied: »Zeigt her eure Flagge, zeigt her das Gesicht, und unterstützt die bösen Nazis nicht.«

Warum muss das jetzt sein? Weil bekanntlich immer alles schlimmer wird: »Rechtsextremismus gewinnt in Teilen der Gesellschaft, in Parlamenten und Organisationen, auf der Straße, in der Jugendkultur, aber auch im Internet an Einfluss.« So ist es auf der neuen Website zu lesen. Doch ist das so? Dieser oft gehörte Satz ist so wahr oder falsch wie ein Horoskop und klingt nach dem üblichen Verfassungsschutz-Sermon: Nazis nutzen immer öfter das Internet oder irgendetwas anderes. In der Tat gehört auch die Schlapphut-Skandaltruppe zu den Unterstützern des Zeit-Portals, zusammen mit Junge Karriere, YouTube, Scholz und vielen anderen Friends sowie der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin. Das gab es noch nie: Journalisten, Fußballer, Christdemokraten, Werbeagenturen, Geheimdienste und die Antifa in einem Boot.
Man erinnert sich dunkel an den Beginn des re­gierungsamtlichen antifaschistischen Kampfes »gegen Rechts« nach dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Jahr 2000. Die Molotow-Cocktails wurden damals von zwei Jugendlichen geworfen. Einer der Täter war Palästinenser, der andere Deutscher und stammte aus Marokko. Das Klischee von der Dorfglatze aus dem Beitritts­gebiet traf nicht zu, der Vorfall löste aber einen gewaltigen Medienhype »gegen Rechts« aus, einen »Aufstand der Anständigen«, wie ihn sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder wünsch­te. Zahllose Kerzen- und Fackelzüge erleuchteten die deutsche Nacht und erwärmten die Herzen.
Acht Jahre später. Das alles hat nichts geholfen. Die Website netzgegenrechts.de – ebenfalls 2000 mit großem Mediengetöse und zahlreichen Unterstützern gestartet – wurde mittlerweile sang- und klanglos eingefroren. Auch »Mut gegen rechte Gewalt«, eine Website »gegen Rechts« des Stern und der Amadeu-Antonio-Stiftung, unterscheidet sich, obwohl sie schon sieben Jahre alt ist, kaum von der neuen Zeit-Version. Man sollte also meinen, dass es nicht dringend erforderlich war, im Kampf gegen das braune Böse das Rad noch einmal zu erfinden.
Dennoch muss man das gegenwärtige Projekt der Zeit begrüßen. Denn einerseits zeigt es, warum der »Kampf gegen Rechts« – wird er mit den seit zwei Jahrzehnten sattsam bekannten Textbausteinen geführt – wirkungslos bleiben wird. Andererseits wirft es ein bezeichnendes Licht auf das Selbstverständnis deutscher Medien, die offenbar den Lehrsatz verdrängt haben, dass Journalisten sich auch mit dem Guten nicht gemein machen sollten.

Das neue Portal der Zeit besteht oft nur aus Binsenweisheiten: »In fast allen Sportarten versuchen Neonazis verstärkt, an Einfluss zu gewinnen.« – »Für die Neonazi-Szene gilt rechtsextreme Musik als das einfachste Mittel, Jugendliche anzuwerben.« – »Es gilt also einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht von den Droh­ge­bärden der Szene beeindrucken zu lassen.« – »Man wird an der Jungen Freiheit (JF) nichts Rechts­ex­tremes erkennen. Denn sie vermeidet seit Jahren alles, was ihr nach den Rechtsextremismus-Kriterien des Verfassungsschutzes vorgeworfen werden könnte.«
Netz-gegen-nazis.com verbreitet zum Teil absurde und in der Praxis untaugliche Thesen. Auf die Frage, wie man eine »Veranstaltung zum Thema Rechtsextremismus« organisiere, heißt es: »Wichtig ist, dass schon die Veranstaltungseinladung eine entsprechende Formulierung enthält, die extreme Rechte ausschließt.« Antisemiten, völkisch und rassistisch denkende Menschen fühlen sich nur selten als »extrem« – ganz im Gegenteil. Wer sich in einer Diskussion nicht durchsetzen kann, hat nicht nur ein Glaubwürdigkeitsproblem. Mit den Mitteln des Hausrechts lässt sich das nicht lösen. Der Verfassungsschutz ist zudem nicht automatisch eine seriöse Quelle. Nicht nur die NPD ist unstrittig mit dessen zahlreichen Spitzeln durchsetzt, sondern auch die so genannten Freien Kameradschaften. Das Bun­des­verfassungsgericht hat sich deshalb mit einem Verbot der NPD nicht inhaltlich befassen wollen. Wer, wie netz-gegen-nazis.com, bei fast jedem Thema – ohne ein kritisches Wort – den Verfassungsschutz zitiert und dessen zahllose Skandale verschweigt, macht sich lächerlich. Für ein journalistisches Leitmedium wie die Zeit ist das peinlich.
Wer über Neonazis, Rassisten und Antisemiten »aufklären« will, sich aber nicht traut, deren Web­sites zu verlinken, nimmt die User und deren Fähigkeit, mit Medien umzugehen, nicht ernst. Dahinter verbirgt sich sowohl Paternalismus, die Meinung, dem Publikum das sittlich Gefährdende nur in kleinen und vorgekauten Häppchen zumuten zu können, als auch die strit­tige Theorie, dass Me­dien politische Meinungen verändern könnten. Medien – wie auch das Internet – werden von den meisten Menschen dazu benutzt, die schon vorhandenen Vorurteile und Ideen zu bestärken, jeweils in ihrem Sinn.
Wer über und »gegen Rechts« etwas publiziert, kann nicht einfach alle vorhandenen Meinungen unkommentiert aneinanderreihen und wie einen Gemischtwarenladen aufbereiten. Das genau macht netz-gegen-nazis.com. Fragen, die den politischen Mainstream irritieren könnten, werden weggelassen: Sind die deutsche Einwanderungspolitik, die Abschottung der »Festung Europa« und das über Jahrzehnte völkische Staats­bürgerschaftsrecht die Basis für rassistische Vorurteile und den unsäglichen Diskurs über »Ausländer« und »Ausländerfeindlichkeit«? Ist die Praxis der Asylgesetzgebung menschenverachtend, und hat sie ähnlich viele Menschenleben gekostet wie rassistische Angriffe von Neonazis? Wie viele anerkannte nationale Minderheiten gibt es in Deutschland – und was ist eine Nation? Warum haben die bisherigen Internet-Projekte »gegen Rechts« keinen messbaren politischen Erfolg, sind sie gar gescheitert?
Rassismus und Antisemitismus lassen sich durch »Aufklärung« und rationale Argumente kaum ändern. Wenn der Fußball-Nationalspieler Michael Ballack per Video erklärt, er sei »gegen Nazis«, wirkt das ungefähr so, als behaupte der Papst, er sei katholisch und glaube an ein höheres Wesen. Vorurteile fußen fast immer auf falsch interpretierten Erfahrungen, werden aber nur offen ausgesprochen, wenn man glaubt, sich davon einen Vorteil verschaffen zu können.

Neonazis sind ein Symptom für den Zustand der gesellschaftlichen Mitte, mehr nicht. Die in­ter­essanteste und strittigste Frage zum Thema »Neonazis« wird von netz-gegen-nazis.com ausgeklammert: Die deutsche Gesetzgebung verklammert Geschichtspolitik und das staatliche Ge­waltmonopol. Der Hamburger Publizist und Jurist Horst Meier – und nicht nur er – hält das für ein »Armutszeugnis für die Demokratie«. Schon Hendrik George van Dam, der erste Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland nach der Shoah, sprach sich gegen einen »strafrechtlichen Naturschutzpark« für Juden aus. Verbote politischer Meinungen sind immer fragwürdig und im Zeitalter des Internet ohnehin obsolet und nur noch symbolischer Natur. Deutschland hat die schärfsten Gesetze gegen »Rechtsextremismus« – und doch werden angeblich die Neonazis immer mehr. Was sagt uns das?
Netz-gegen-nazis.com funktioniert, man möchte aber gern netz-gegen-nazis.de heißen. »Commercial« ist konsequenter: Das neue Projekt der Zeit und des DFB dient der moralischen Eigenwerbung. »Gegen Rechts« wird es nichts nützen.

www.netz-gegen-nazis.com