Die geplante »Roma-Kartei« in Italien

Lasset die Kindlein zu mir kommen

Viele der Roma, die vor zwei Monaten pogromartig aus ihren Siedlungen in Neapel vertrieben wurden, kommen langsam zurück. Die italienische Polizei hat im Juli mit der Erfassung der persönlichen Daten der Menschen begonnen, unter anderem nimmt sie auch Minderjährigen die Finger­abdrücke ab. Die Maßnahme soll dazu dienen, »kriminelle Ausländer« schneller und effektiver auszuweisen.

Der italienische Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord mag es nicht hören, wenn seine Vorschläge für die Lösung der »Roma-Frage« in Italien als rassistische Maßnahme kritisiert werden. Er betrachtet sich selbst als einen »Pragmatiker«, der für ein ganz konkretes Problem, nämlich die Anwesenheit von »kriminellen Ausländern«, insbesondere von Roma, auf italienischem Boden eine effektive Lösung hat. Nicht nur versteht er die ganze Aufregung über seine Pläne der »Rassenkatalogisierung« nicht, er verteidigt sie auch noch mit großer Überzeugung gegenüber der italienischen und internationalen Öffentlichkeit. Nach den antiziganistischen Pogromen in Neapel vor zwei Monaten (Jungle World 22/08) verabschiedete die Mitte-Rechts-Koalition von Silvio Berlusconi Gesetze, die in vielen Punkten das Vorgehen des rassistischen Mobs de facto legitimieren.
Nicht alle in diesen Gesetzen vorgesehenen Maßnahmen traten sofort in Kraft nach den Pogromen, im Laufe dieses Monats soll jedoch ein Großteil davon realisiert werden. Auch die so genannte Volkszählung aller in Barackensiedlungen lebenden Roma soll beginnen. Was genau unter dem Begriff »Volkszählung« zu verstehen ist, lässt der Text des Dekrets relativ offen, eins ist aller­dings klar: Das wichtigste Kriterium für diese Erfassung soll die ethnische Herkunft sein. Geplant ist die »erkennungsdienstliche Registrierung« aller sich auf italienischem Boden befindenden Roma, unter anderem durch das Abnehmen von Fingerabdrücken – auch bei Menschen, die keine Vorstrafe haben, Kindern inklusive.

Kein Wunder, dass dieser Plan, der an finstere Zeiten der europäischen Geschichte erinnert, für große Empörung sorgte. Sogar die katholische Kirche, die sich bisher mit dem Rechtskonservatismus der Berlusconi-Regierung relativ zufrieden gab, kritisierte Maronis Pläne scharf. Die katholische Zeitschrift Famiglia Cristiana schrieb über eine »besorgniserregende Verletzung der Men­schenwürde«. Die von der italienischen Bischofskonferenz herausgegebene Zeitung Avvenire konfrontierte den Innenminister in einem Interview mit dem Vorwurf, eine rassistische Politik zu betreiben. Auch der frühere Präsident der jüdischen Gemeinde in Italien, Amos Luzzatto, kritisierte den Plan als »ethnische Diskriminierung«. »Das Land scheint sein Gedächtnis verloren zu ha­ben«, sagte er. Ähnlich äußerte sich der Generalsekretär des Europarats, Terry Davis: »Dieser Vor­schlag erinnert an ähnliche Geschehnisse in der Geschichte, die so offensichtlich sind, dass sie nicht ausgesprochen werden müssen. Obwohl ich glaube, dass die Demokratie in Italien und seinen Behörden weit genug entwickelt ist, um zu verhindern, dass solche Ideen in Gesetze umgewandelt werden, bin ich trotzdem besorgt, dass ein hochrangiges Mitglied der Regierung eines Mitgliedsstaats des Europarats solch einen Vorschlag gemacht haben soll.«
Roberto Maroni versteht die ganze Empörung nicht. Schließlich war es ihm und seiner Regierung gelungen, die rassistischen Pogrome in Neapel als »Rebellion« von »verunsicherten Bürgern« ge­gen »kriminelle Ausländer« zu verkaufen, unterstützt von einem Großteil der italienischen Medien, die, mit den üblichen antiziganistischen Stereotypen arbeitend, ein gewisses Verständnis für die »Wut« der »anständigen Bevölkerung« zeigten.

Der Innenminister hätte also eher Begeisterung erwartet für seine Vorschläge, die er als not­wendige Maßnahme zur »Bekämpfung von Kriminalität« und vor allem zum Schutz der Roma-Kinder beschreibt. Die Zukunft dieser Kinder scheint der italienischen Regierung besonders am Herzen zu liegen: Die Erfassung ihrer Fingerabdrücke diene nämlich dazu, sie vor Ausnutzung und Missbrauch zu schützen, angestrebt sei sogar die Durchsetzung der Schulpflicht. Dass gerade seine Partei, die Lega Nord, seit Jahren gegen »kleine Zigeuner« hetzt, die »neu geborene Kinder klauen«, scheint Maroni bei der rosigen Schilderung seiner Zukunftspläne nicht zu beach­ten. Er werde keinen Millimeter von seinem Vorhaben abweichen, ließ er verkünden. Die Zäh­lung sei wichtig, »denn wir wollen wissen, wer das Recht hat zu bleiben und wer nicht«.
Vorerst soll in den drei großen italienischen Me­tropolen mit der »Registrierung« begonnen werden. Doch das Verfahren gestaltet sich in Mai­land, Neapel und Rom als schwierig. In Neapel wurden in den vergangenen Wochen die Fingerabdrücke von rund 600 Bewohnern der Roma-Siedlungen ab dem Alter von 14 Jahren erfasst. In Mailand und Rom haben sich die Präfekten geweigert, diese Maßnahme zu ergreifen, und »re­­gistrieren« die Bewohner der Siedlungen durch Fotos und persönliche Daten.
Wie lange es der italienischen Rechten gelingen wird, den Sicherheitsdiskurs vom Rassismus zu trennen, bleibt eine offene Frage, vor allem für Linke und Antirassisten. Doch von einer Linken, die angesichts rassistischer Angriffe mit der »Angst« der Bevölkerung vor Ausländern und mit dem Verlust der »Gemeinschaft« argumentiert (Jungle World 24/08), ist nicht viel zu erwarten. Der Zusammenhang zwischen institutionellem Rassismus und Rassismus, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt, wird nicht ana­lysiert. Alles, was sich derzeit bewegt, ist auf der symbolischen Ebene angesiedelt. In der vergangenen Woche begannen mehrere Organisationen eine Kampagne gegen das Vorhaben der Regierung. Unter dem nicht gerade originellen Motto »Wir alle sind Roma« sollen in verschiedenen italienischen Städten die Fingerabdrücke von italienischen Bürgern erfasst und dann, mit Namen, direkt ans Innenministerium geschickt werden, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Eine gute Gelegenheit für Innenminister Maroni, eine weitere Datei von potenziellen Störenfrieden anzulegen.