Das Internet und die Finanzkrise

Krise.de

Auch im Internet ist der Finanzcrash ein Thema. Eine Krisensuche auf nahe liegenden und abgelegenen Seiten der virtuellen Welt.

When the shit hits the fan
Über 1 000 Mitarbeiter hat Yahoo bereits entlassen und kürzlich angekündigt, dass weitere zehn Prozent, also noch mal mindestens 1 400 Stellen, abgebaut werden, und das in den nächsten zwei Monaten. Doch Yahoo ist nicht das einzige Unternehmen der Netzbranche, das in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Das Cnet-Blog Webware listet auf seiner Scorecard (http://news.cnet.com/ 8301-17939_109-10069195-2.html) 46 Firmen der High-Tech-Industrie auf, die ebenfalls Tausen­de Arbeitsplätze gestrichen haben, darunter der Speicherchiphersteller Qimonda, ein Toch­ter­unternehmen von Infineon, der IT-Dienstleister Softchoice Inc., das New Yorker Blognetzwerk Gawker und Wikia, ein Ableger von Wiki­pedia.
Und Ebay. Während der Hauptkonkurrent Ama­zon sich von der Krise unbeeindruckt zeigt, befürchtet Ebay-Chef John Donahoe sinkende Einnahmen fürs Weihnachtsgeschäft. Deswegen hat er Anfang Oktober angekündigt, zehn Prozent der Stellen zu streichen, das sind ungefähr 1 000 Mitarbeiter und zahlreiche Zeitarbeiter. Da half es auch nichts, dass der Handel mit Baseballmützen und Kugelschreibern der bankrotten Investmentbank Lehman Brothers florierte und selbst beinahe insolvente Länder zum Verkauf angeboten wurden. Als ein Brite am sechsten Oktober Island für 99 Pence Mindestgebot verstei­gern wollte, ging der Preis innerhalb von vier Tagen auf zehn Millionen Pfund hoch.
Zu den Gewinnern der Finanzkrise gehört Google: 1,35 Milliarden Euro Gewinn im dritten Quartal, 5,54 Milliarden Euro Umsatz, das sind 31 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des ver­gangenen Jahres. Gründer Sergey Brin verstieg sich zu der Behauptung, seine Lieblingszeiten als Manager seien Pleitezeiten. Brins Enthusiasmus wird nur unmerklich von der Tatsache geschmälert, dass die Aktie von Google im vergangenen Jahr die Hälfte an Wert eingebüßt hat. Aber der Konkurrenz scheint es noch schlechter zu gehen.

Bilder
Die Krise ließ nicht nur Investmentbanker und Konzerngründer stöhnen, sondern auch die Bildredaktionen in den Verlagshäusern auf der ganzen Welt. Wie illustriert man ein aus den Fugen geratenes Bankensystem? Oder die Pleite einer Bank? Mit einem Badehosenmodel, das Geldscheine im Hosenbund trägt? Oder – wie auf einem der Titelblätter des Economist – mit einer Raupe, die den Dollar frisst?
Nein, dann lieber ganz anders: Sadguysontradingfloors.tumblr.com reanimiert das Genre des Porträts und zeigt traurige Typen auf dem Börsenparkett. Apokalyptische Verzweiflung in Nadel­streifenanzügen, ein schönes Stück Crash-Dokumentation.
Traditionellerweise lädt pro wichtigem Ereignis mindestens ein Blog zu Photoshop-Wettbewerben, dieses Mal war es unter anderem zenzizenzizenzic.de. Angela Merkel schaut hocherfreut, sie grinst. In den Händen hält sie eine Trainingsjacke der Fußballnationalmannschaft, auf deren Rücken steht: »I paid 500 billion Euros and all I got was this lousy T-Shirt.« Ja ja, der Witz ist alt. Aber gut!
Fast so gut wie die Illustrationen von Ahoi Polloi (http://ahoipolloi.blogger.de/) zum Thema. Der beste Cartoon geht so: Steht ein dicker Mann vor einem Haufen Geldscheinen und schaut grinsend dabei zu, wie er brennt. Kommt ein Feuerwehrauto vorbei und löscht das Ganze mit einer Flut von Geldscheinen.

Was passiert?
Er habe »wirklich keine Ahnung«, was da vor sich gehe mit dieser Finanz- und Hypothekenkrise in den USA, meinte René Walther Mitte September auf spreeblick.com und bat die Leser, ihm interessante und informative Links zu schicken. Doch wie sich herausstellte, gibt es nur sehr wenige deutschsprachige Blogs, die sich mit Wirtschaft befassen und dabei etwas Substanzielles zu sagen haben. Die meisten von den Lesern empfohlenen Links verwiesen auf traditionelle Medien.
Eine der Ausnahmen heißt weissgarnix.de. Weissgarnix weiß eine ganze Menge, und zwar über »Wirtschaft und Politik aus allerletzter Hand«. Erfrischend respektlos hat er unter anderem die Geschichte der »kleinen Anfrage« von Angela Merkel und Michael Glos vom Mai 2005 ausgegraben, als beide darüber Aufklärung verlangten, wie es mit den True-Sale-Verbriefungen weitergehe, die in Zusammenarbeit mit der TSI GmbH durchgesetzt werden sollten. True-Sale-Verbriefungen? »Yep, das sind genau die Dinger, von denen wir in den letzten Monaten so dermaßen viel in den Medien zu hören und zu lesen bekamen, dass selbst mein sechsjähriger Sohn mich fragte: ›Du Papa, was ist denn eigentlich eine Collaterized Debt Obligation?‹«
Die meisten deutschsprachigen Blogs halten es aber eher mit Serdar Somuncu, der in seiner 19. Hatenight-Folge (hatenight.com) zur Bankenkrise meint: »Die Banken haben eine Krise. Was geht mir das am Arsch vorbei. (…) Tag und Nacht wird die Börse bemüht, Tag und Nacht. Als ob mich interessiert, wann sich die Börsianer freuen und wann nicht.«
Ganz anders sieht es mit englischsprachigen Seiten aus. Da bloggt sogar der Wirtschaftsnobelpreisträger 2008, Paul Krugman, für die New York Times (http://krugman.blogs.nytimes.com/), eben jener Paul Krugman, der 1979 die Währungskrise erfunden hat. Na ja, nicht ganz erfunden, aber fast. Er hat sich den Begriff ausgedacht. Und jetzt, da der Berg zum Propheten gekommen ist, schaut Krugman recht düster: »Momentan fühle ich mich wie der Typ, dem gesagt wird: ›Lass den Kopf nicht hängen – es könnte alles noch viel schlimmer sein.‹ Also ließ er den Kopf nicht hängen, und es wurde alles viel schlimmer.«
Wer sich eine Idee davon machen will, was Paul Krugman genau meint, ist bei www.the­moneymeltdown.com gut aufgehoben. Matt Thompson hat so ziemlich alles gesammelt, was man über die Krise wissen muss, Hintergründe, Schlüsseldaten, Zukunftsprognosen und Ratgeber. In der Sidebar verlinkt er lesenswerte Berichte auf anderen Seiten. Wie auf einem Wühltisch findet man dort einen Haufen interessanter Links für apokalyptische Winterabende.
Viel Zynismus also, viel Skepsis und viel Häme in den Blogs, aber nicht nur da. Derzeit kursiert eine satirische Massenmail, gezeichnet vom ame­rikanischen Finanzminister Henry Paulson. Er wendet sich an seine »lieben Amerikaner« mit der Bitte, ihm zu helfen, 800 Milliarden Doller zu transferieren. »Ich arbeite mit Mr. Phil Gram, einem UBS-Lobbyisten, der mich im Januar als ­Finanzminister ablösen wird. Er ist Senator. Sie kennen ihn vielleicht als den Führer der ameri­kanischen Bankenderegulierungsbewegung in den Neunzigern. Die Transaktion ist hundert Pro­zent sicher. (…) Bitte antworten Sie mit allen Ihren Bank-, den Renten- und den Collegekontennummern und denen ihrer Kinder und Enkel an wallstreetbailout@treasury.gov, damit wir Ihnen Ihre Kommission für diese Transaktion überweisen können. Nachdem ich diese Information erhalten habe, werde ich mit detaillierteren Informationen über Absicherungen zum Schutz der Fonds antworten.«

Erklärungen
Es fehlt nicht an absurden Deutungen, mit denen versucht wird, die Bankenkrise zu erklären. Seit der US-amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe die These aufgestellt hat, an der Bankenkrise seien die CRT-Monitore schuld, blühen und gedeihen die Verschwörungstheorien. Wolfe macht den Kulturpessimisten und schiebt alles auf Computer. Vor 20 Jahren hätten Investmentbanker jede einzelne Hypothek geprüft – auf ­Papier – und alles rausgeschmissen, was absurd klingt. Jetzt kommen die Informationen auf Bildschirmen, und statt sauber zu prüfen, sagen sie jetzt: »Oh, to hell with it« und übernehmen das komplette Hypothekenpaket. »Das, was geschah, ist der Rückschritt der Technologie«, ana­lysiert Wolfe.
Schon mal nicht schlecht, es geht aber bestimmt auch besser. Und die Bankenkrise wird wohl noch lange genug anhalten, um weitere Verschwörungstheorien im Netz hervorzubringen. Irgendwas mit Google oder Microsoft als Teufel geht immer.