Die französischen Sozialdemokraten rücken nach rechts

Dritte Wahl

Die Wirtschaftskrise bescherte der französischen Sozialdemokratie eine unerwartete Parteivorsitzende. Zu ihren Unterstützern gehören vor allem die rechten Strömungen der Partei.

Einige Vordenker der französischen Sozialdemokratie hatten sich erhofft, dass ein offenes Bekenntnis zu Marktwirtschaft und Wirtschaftslibe­ralismus des Parti socialiste (PS) endlich helfen würde, aus einem alten Dilemma herauszukommen. Nach wie vor hält die Partei nämlich in ihren Sonntagsreden an einer antikapitalistischen Rhetorik fest, ein Erbe aus jener Zeit, als die Kom­munistische Partei des Landes so stark war wie der PS, wenn nicht stärker, und das ist gerade einmal 30 Jahre her.
Im realpolitischen Tagesgeschäft ist von diesen kapitalismuskritischen Tönen allerdings nichts mehr zu hören. Und so kam es dazu, dass vor dem Parteikongress Mitte November in Reims diverse miteinander rivalisierende rechte Parteiströmun­gen forderten, den Widerspruch zwischen Rhetorik und Realität endlich aufzulösen und Reden und Realpolitik aneinander anzugleichen.

Die Repräsentanten des rechten Flügels dominier­ten mit ihrer Programmatik in den vergangenen Monaten den PS, und lange sah es so aus, als würde der Parteivorsitz an einen von ihnen gehen. Es handelte sich einerseits um die frühere Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, deren Programmatik mit der »New Labour«-Politik von Tony Blair verglichen werden kann: volle Akzeptanz der freien Marktwirtschaft, einige staatliche Korrekturen im sozialen Bereich, law and order und Patriotismus.
Auf der anderen Seite stand der Pariser Bürger­meister Bertrand Delanoë. Im Frühsommer griff Delanoë seine wichtigste Konkurrentin an, indem er sie auf wirtschaftspolitischem Gebiet rechts zu überholen versuchte. Er forderte, die Partei solle sich rundheraus zum Liberalismus bekennen. Die Positionen seiner innerparteilichen Mitbewer­ber um den Vorsitz versuchte er ins Lächerliche zu ziehen: »Demnächst rufen sie die Sowjets aus.« – »Ich bin Sozialdemokrat, ich stehe zu allem. Mit mir wird es keine Rückkehr zu den Sowjets und zum Bolschewismus geben.«
Doch im Laufe des Spätsommers traf die Finanz- und Wirtschaftskrise auch Frankreich, und die wichtigsten programmatischen Leitanträge zum Parteitag waren plötzlich nicht mehr aktuell. Der sozialistische Nachwuchspolitiker Malek Boutih sprach sich sogar dafür aus, den Parteikongress einfach zu verschieben: »Alle Anträge wurden vor der Krise verfasst, sie wirken heute neben der Spur.« Die wichtigsten Kandidaten wollten sich da­rauf jedoch nicht einlassen. Ex-Arbeitsministerin Martine Aubry rechtfertigte ihre Weigerung, den Parteitag zu verschieben, mit den Worten: »Gerade heute brauchen uns die Französinnen und Franzosen stärker denn je.«

Die Finanzkrise verschaffte Aubry einen enormen Aufschwung als Kandidatin für den Parteivorsitz, den sie letztlich auch gewann. Den Erfolg hat sie allerdings auch der Koalition aus unterschied­lichen Fraktionen im Parteiapparat zu verdanken, die einen Triumph der früheren Präsidentschafts­kandidatin Royal verhindern wollten. Diese trat und tritt als populistische Herausforderin »gegen den Apparat« auf und zögerte nicht, durchsich­tige Versprechungen zu machen. So verhieß sie etwa den Mitgliedern der Partei, ihnen im Falle ihrer Wahl Schulden bei den Mitgliedsbeiträgen zu erlassen und diese insgesamt auf einen symbolischen Preis von »zehn, 20, höchstens 50 Euro« pro Jahr zu reduzieren.
Die derzeit 200 000 eingeschriebenen Mitglieder des PS sind nach Meinung von Kritikern eher »Fans« als von einer Sache überzeugte Parteiaktivisten. Das könnte ein Grund sein, warum Royal von einem Parteiwachstum träumte und im vergangenen Jahr die Utopie von einer Partei mit »drei Millionen Mitgliedern«, die sie überwiegend im Internet rekrutieren würde, entwarf. Zudem bemühte sich Royal darum, das Bild einer sich sor­genden Mutter zu vermitteln, und setzte in ihren Reden mehr und mehr auf Emotionen.
Obwohl Royal sich bei der Wahl der Partei­vorsit­zenden im ersten Durchgang mit 42 Prozent als stärk­ste Einzelkandidatin profilieren konnte, wur­de ihr Sieg von einer heterogenen Koalition verhindert.

Diese Koalition, die die Kandidatur von Aubry unterstützte, bestand zum einen aus den Anhängern von Dominique Strauss-Kahn, zum anderen aus den Gefolgsleuten von Laurent Fabius. Fabius, der zeitweise Wirtschaftsminister war, hatte während seiner Amtszeit ebenfalls auf dem wirtschaftspolitisch rechten Flügel der Partei gestanden. Danach hatte er sich weiter links orientiert, wohl um eine Kandidatur bei der Präsidentschafts­wahl 2007 vorzubereiten.
Weitere Fürsprecher Aubrys sind die Freunde des smarten Rechtsanwalts und Abgeordneten Ar­naud Montebourg sowie jene des Parteilinken Benoît Hamon, der am Samstag von Aubry zum Sprecher des PS ernannt wurde. Der junge Parlamentarier Montebourg ist allerdings so intelligent wie opportunistisch. Noch im Sommer 2006 hatte er Royal mit ihren politischen Vorstellungen zur »inneren Sicherheit« in die Nähe des damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy, aber auch des Marschalls Pétain gerückt. Kurz darauf, im Herbst 2006, war er einer der größten Unterstützer der Kandidatur Royals.

Die Anhänger Strauss-Kahns stehen in der Wirtschaftspolitik rechts, während der Fabius-Flügel heute ähnlich wie Attac argumentiert. Damit hat Aubry zwei weit auseinanderstrebende Gruppierungen ihrer Partei hinter sich und wird also Mühe haben, ihre Koalition zusammenzuhalten. Zumal die unterschiedlichen Strömungen im Establishment der Partei sich hauptsächlich deswegen auf Aubry einigen konnten, weil sie sie für eine schwache Figur halten, die als Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen 2012 wohl nicht in Frage kommt. Mit Aubry als Parteivorsitzender wollen sich die Anführer der unterschiedlichen Strömungen die Option für eine eigene Kan­didatur in drei Jahren offen halten. Eine Kandidatur hat aber auch Royal bereits unmittelbar nach ihrer Niederlage verkündet: »2012 ist bald, 2012 ist schon morgen.«
Eine Zusammenarbeit mit Aubry hat Royal abgelehnt. Sie nahm auch nicht am Nationalrat teil, in dem am Samstag über das künftige Programm der Partei abgestimmt wurde
Die Konflikte und Machtkämpfe innerhalb des PS sind also längst nicht beendet. Vorige Woche kündigte Aubry den regierenden Rechtskonserva­tiven noch an: »Lacht, ihr habt noch eine Woche Zeit zum Lachen. Aber dann werden die Sozialisten als Opposition zurück auf der Bühne sein.«
Der bisherige Parteilinke Jean-Luc Mélenchon, Senator und Repräsentant einer eher etatistischen und traditionellen Richtung, hat sich unterdessen selbständig gemacht. Er vertritt die Auffassung, der vorige Parteitag in Reims habe be­wiesen, dass es für die Linke aussichtslos sei, im PS zu bleiben. Er orientiert sich am Vorbild des deutschen Politikers Oskar Lafontaine. In dessen Anwesenheit rief Mélenchon am vorvergangenen Samstag im Pariser Vorort Saint-Ouen die neue »Partei der Linken« (Parti de gauche) aus, die sich am Modell der fast gleichnamigen politischen Kraft in Deutschland orientieren soll.