Schwarz-grüne Harmonie in Hamburg

Ein Traum in Schwarz-Grün

In Hamburg regiert die reine Harmonie. Die Gal erklärt allen, die es wissen wollen, geduldig, warum sie tut, was die CDU will.

In dem gediegen vertäfelten Raum des Hamburger Rathauses, wohin der Justizsenator Till Steffen von der Grün-Alternativen Liste (Gal) und die innenpolitische Sprecherin der Partei, Antje Möller, an diesem Abend eingeladen haben, gehen der Basis bald die Sitzgelegenheiten aus. Dafür erhalten die Leute, die hier sind, weil sie von der Gal per E-Mail benachrichtigt wurden, aber nicht nur Auskünfte zur aktuellen Innen- und Flüchtlingspolitik. Darüber hinaus gibt es – offenbar tut das derzeit in Hamburg Not – eine kleine Lektion im Fach »Politiker verstehen«. Antje Möller vermittelt den Lernstoff anschaulich am Beispiel des neuen Hamburger Innensenators, Christoph Ahlhaus (CDU).
Als die Flüchtlingsinitiative »Jugendliche ohne Grenzen« Ahlhaus kürzlich zum »Abschiebeminister 2008« kürte, weil er die strengste Ausländerbehörde der Republik leite und Sammelabschiebungen aus ganz Europa organisiere, war die erste Reaktion des solchermaßen Geehrten, sich zu bedanken: »Wenn die Wahl deutlich macht, dass die Hamburger Ausländerbehörde Recht und Gesetz konsequent durchsetzt, werte ich dies durch­aus als Kompliment.« Der Senator, der Mitglied der ersten schwarz-grünen Landesregierung Deutschlands ist, fügte hinzu: »Wer sich hier illegal aufhält und kein Bleiberecht hat, muss unser Land verlassen.«

Harte Rhetorik, weicher Inhalt, erläutert Antje Möller der grünen Basis bei Saft und Schnittchen im Rathaus, Ahlhaus müsse so reden, um seine Klientel zufriedenzustellen. In Wirklichkeit sinke die Zahl der aus Hamburg abgeschobenen Aus­länder von Jahr zu Jahr. Dass diese Tatsache haupt­sächlich von den verstärkten Kontrollen an den EU-Außengrenzen herrührt und immer weniger Flüchtlinge überhaupt Deutschland erreichen, hätte die Gal zu Oppositionszeiten vielleicht noch hinzugefügt. So allerdings, das ist das Schöne, kann auch Möller an diesem Abend ihre Klientel zufrieden stellen.
Was jetzt aus Horst werde, will einer von der Basis wissen. Vor zwei Jahren, als die CDU noch al­lein regierte, hatte sie die Hamburger Flüchtlingsunterkunft in eine ehemalige NVA-Kaserne in der Nähe des vorpommerschen Örtchens Horst ausgelagert, unter Protest der Gal. Am Ziel der Gal, die Flüchtlinge wieder in die Stadt zurückzuholen, habe sich nichts geändert, sagt Möller. Aber der Vertrag mit dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern laufe leider bis 2012. »Bis dahin sind wir erst mal gebunden.«
Gebunden, gebunden – war da nicht was? Vor wenigen Wochen erklärte die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk auf einer ganz ähnlichen Veranstaltung ihren Parteimitgliedern, dass die Genehmigung des neuen Kohlekraftwerks in Moorburg nicht zu verhindern sei, weil man an die Zu­sagen der Vorgängerregierung gebunden sei. Gerade die Verhinderung dieses »inakzeptablen Klimamonsters« (Gal) hatte bei den Koalitionsverhandlungen mit der CDU noch als Begründung dafür herhalten müssen, dass die Gal etwa bei der umstrittenen Elbvertiefung rasch nachgab. Vor der Moorburg-Veranstaltung kritisierten deshalb einige Grüne, die Partei breche ihre Versprechen. Doch nachdem Hajduk ihnen wortreich die Notwendigkeit der Genehmigung des Kraftwerks erklärt hatte, an der die CDU von vornherein keinen Zweifel gelassen hatte, stimm­te die große Mehr­heit der Gal-Mitglieder dann doch für die Fort­setzung der Koalition.

Mit Verve verteidigt die Gal derzeit die Fortführung der bisherigen Regierungspolitik des Bürgermeisters Ole von Beust (CDU), entweder weil sie angeblich unvermeidlich sei oder, wie das Wirken des »Abschiebeministers 2008«, gar nicht so schlecht. Die rhetorische Arbeitsteilung zwischen den Koalitionären, die Springers Hamburger Abend­blatt kürzlich zu der schelmischen Frage nach dem »Geheimnis der Harmonie« zwischen den bei­den Parteien hinriss, scheint bislang gut zu gelingen – ohne dass sich an der Politik der CDU viel ändern musste.
Dass die Gal die Politik des Hamburger Senats für linksliberale Zeitungsleser ein wenig verträglicher ausformuliert, dankt die Zielgruppe der Partei ihr bereits überraschend deutlich: Glaubt man einer Ende November veröffentlichten Wählerbefragung des Hamburger Abendblatts, so schneidet die Gal inzwischen sogar noch besser ab als bei der Wahl im Februar. Anstatt auf 9,6 käme sie derzeit auf elf Prozent. Auch die CDU erfreut sich demnach gestiegener Umfragewerte.
»Die Art und Weise, wie wir diese Koalition ver­handelt und die Partei dabei mitgenommen haben, war bisher der größte Erfolg in meiner politischen Laufbahn«, sinnierte Anja Hajduk kürzlich. In der Stadt mit der höchsten Millionärsdichte Deutschlands muss die grüne Parteibasis jedoch längst nicht mehr irgendwohin »mitgenommen« werden. Nicht nur die Parteiführung in Berlin gibt derzeit zu verstehen, dass sie sowohl für Koalitionen mit der SPD als auch mit der CDU offen sei, auch die Wählerschaft sieht sich inzwischen in der »bürgerlichen Mitte« angekommen. Nur legt sie noch ein wenig mehr Wert auf Debatten, weshalb die Gal regelmäßig solche Veranstaltungen abhält, bei denen sie die Regierungspolitik der CDU erläutert.

So erklärt sich, dass die CDU in Hamburg derzeit mehr oder weniger ungestört und widerspruchslos »durchregieren« kann. Nirgends wird dies so deutlich wie an der Innenpolitik. Der Hamburger Senat setzt weiter auf verstärkte Videoüberwachung. Zwar betont die Gal, dass man sich auf eine kriminologische »Evaluation« dieser Maßnahmen geeinigt habe – was aber bedeutet, dass eine politische Entscheidung noch um ein paar Jahre hinausgeschoben ist.
Nur aus der Presse erfuhr die Gal, dass der Hamburger Verfassungsschutz Anfang Oktober damit begann, alle Anmelderinnen und Anmelder von öffentlichen Infotischen zu erfassen. Dass 350 Polizistinnen und Polizisten nach einer Auseinandersetzung vor der Roten Flora das Gebäude durchsuchten, darf als Machtdemonstration des neuen Innensenators verstanden werden, welche den Bemühungen der Gal, dessen Image als Hardliner dauerhaft ein wenig zu entschärfen, eher geringe Erfolgsaussichten verheißt.
Die willkürliche Auflösung von angemeldeten Demonstrationen und die zahlreichen Übergriffe während des Klima- und des Antirassismuscamps im August (Jungle World, 37/08) blieben bislang ohne nennenswertes Nachspiel. In der vergangenen Woche klagten Hamburger Strafverteidiger öffentlich darüber, dass Polizeibeamte nach Über­griffen so oft juristisch unbehelligt blieben. »Mein Eindruck ist, dass die zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft regelmäßig alles daran setzt, entsprechende Ermittlungsverfahren einseitig und parteiisch zugunsten der beschuldigten Polizisten niederzuschlagen«, sagte der Rechtsanwalt Andreas Beuth. Politisch verantwortlich für dieses Vorgehen ist Justizsenator Till Steffen von der Gal.
Steffen ist ebenfalls dafür verantwortlich, dass die Abschiebehaft in Hamburg vorerst in ihrer bisherigen Form fortgeführt wird. Für die im berüchtigten Gefängnis Fuhlsbüttel (»Santa Fu«) inhaftierten Flüchtlinge gelten dieselben Beschränkungen wie für reguläre Strafgefangene, so können sie etwa nicht frei mit ihren Anwälten telefonieren. Zwar sieht Antje Möller von der Gal verschiedene Möglichkeiten, wie man diesen Zustand ändern könnte. Die Justizbehörde selbst betreibt aber nach Auskunft ihres Sprechers »keine konkreten Planungen«.