Geo-Engineering

Schatten über der Erde

Überlegungen zum Geo-Engineering, also der direkten Manipulation des Erdklimas, galten lange als Spinnerei oder billige Ausrede fürs Nichtstun. Inzwischen wird ernsthaft danach geforscht, wie der Mensch mit technischen Mitteln die Erd­erwärmung stoppen könnte.

China wird von einer Dürre heimgesucht, einer Jahrhundertdürre. Dürren gab es schon immer. Aber zu dieser haben die Ingenieure dieser Welt beigetragen. Auch und gerade die Ingenieure an der Spitze der kommunistischen Partei Chinas. Kurzsichtig kalkulierte Staudammprojekte und der Klimawandel gehören vermutlich zu den Auslösern der gegenwärtigen Trockenheit. Doch die Ursachen zu bekämpfen, nützt jetzt nichts. Kurzfristige Hilfe ist gefragt. Hunderttausendfach bringen Tanklastwagen Wasser in die Dürreprovinzen, und das Militär beschießt die Wolken mit Zehntausenden Artilleriegranaten, gefüllt mit Silberjodid, um es endlich regnen zu lassen.
Was gerade in China passiert, wirkt wie eine harmlose Parodie auf das, was der Chemienobelpreisträger Paul J. Crutzen im globalen Maßstab vorgeschlagen hat: Mit jährlich einer Million Tonnen Schwefel, die von Ballons in der Strato­sphäre verteilt werden, könnte man die Klimaerwärmung stoppen. Crutzens Modellrechnung war mehr eine Warnung als ein praktischer Vorschlag. Er wollte vor allem »die Politiker aufrütteln. Wenn sie nicht viel mehr unternehmen als in der Vergangenheit, dann müssen wir am Ende solche Experimente durchführen.« Das war 2006.

Inzwischen haben sich die Prognosen noch einmal verschlechtert. Vergangene Woche veröffentlichte Christopher Field, einer der führenden Mitarbeiter des Weltklimarats der Uno, neue Daten. Demnach ist der Ausstoß von CO2 viel stärker angestiegen als angenommen. Seit dem Jahr 2000 sind demnach die Kohlendioxid-Emissionen durchschnittlich um 3,5 Prozent pro Jahr gestiegen – dreimal so schnell wie zwischen 1990 und 1999. Hauptgrund war der rasant wachsende Energiebedarf in China und Indien, der vor allem durch die Verbrennung von Kohle gedeckt wird.
Aber es sind nicht nur die Emissionen von Klimagasen schneller gestiegen als zuvor kalkuliert. Auch die Natur scheint empfindlicher zu reagieren, als noch im vorigen Bericht des Uno-Klimarats IPCC von 2007 angenommen. Nicht nur um den Nordpol schmilzt das Eis schneller, auch in der Antarktis kann man inzwischen die Folgen des Treibhauseffekts beobachten. Gemessen wird inzwischen auch, dass Wälder aufgrund der Erwärmung weniger CO2 speichern.
Alles Anzeichen dafür, dass das Erdklima schneller so genannte tipping points erreichen könnte. Kipppunkte, an denen sich selbst verstärkende Prozesse in Gang kommen und einen extremen Klimawandel auslösen, den auch ein sofortiger Stopp aller von Menschen ausgestoßenen Emissionen nicht mehr aufhalten könnte. Wenn sich beispielsweise die Eisfläche am Nordpol verkleinert, dann wird auch weniger Sonnenlicht ins All reflektiert und damit die Aufheizung angetrieben. Oder wenn die Premafrostböden der Tundra auftauen, wird Methan, ein sehr wirksames Klimagas, frei und heizt das Klima zusätzlich auf.

Im Jahr 2006 war Crutzens Vorschlag noch ein kleiner Tabubruch. Überlegungen zum Geo-Engineering, also der direkten Manipulation des Erdklimas, galten als billige Ausrede fürs Nichtstun. Nach dem Motto: Wenn es zu warm wird, werden unsere Ingenieure schon irgendein globales Kühlaggregat erfinden. Das Argument zieht immer noch, aber immer mehr Klimaforscher schließen sich der pessimistischen Einschätzung Crutzens an, dass die internationale Politik keinen wirksamen Klimaschutz durchsetzen wird und deshalb Notfalloptionen erforscht werden müssen. Tim Lenton von der Universität East Anglia in Norwich in England spricht von einem sozialen tipping point. »Es breitet sich das beängstigende Gefühl aus, dass wir es nicht schaffen, schnell genug zu handeln.« Deshalb begännen immer mehr Klimaforscher sich zu überlegen, mit welchen Techniken man die Reduktion der Emissionen ergänzen könnte.
Dieses Gefühl hat auch die britische »Royal Society« erfasst. Sie hat im vergangenen Jahr eine umfassende Studie über die verschiedenen Geo-Engineering-Optionen in Auftrag gegeben. »Wir wollen Wissenschaft von Science Fiction scheiden und Empfehlungen abgeben, welche Optionen ein ernsthaftes Nachdenken lohnen«, so der Leiter der Studie, John Shepherd. Ergebnisse sollen im Sommer vorliegen.
An mehr oder weniger abenteuerlichen Ideen mangelt es nicht. Die Vorschläge gehen in zwei Richtungen. Einerseits soll mehr Sonnenlicht ins All reflektiert werden oder die Erde gar nicht erst erreichen. Die zweite Möglichkeit ist, die Treib­hausgase wieder aus der Atmo­sphäre zu nehmen.
Einen besonders futuristisch anmutenden Vorschlag der ersten Kategorie hat der Nasa-Astronom Roger Angel durchgespielt: eine Art Vorhang zwischen Sonne und Erde. Es sei möglich, so Angel, an einem 1,5 Millionen Kilometer entfernten Punkt einen Schattenspender aus 16 000 Milliarden Silikonscheiben mit solar getriebener Steuerung aufzuspannen. Allerdings müssten 20 spezielle Abschussrampen zehn Jahre lang alle fünf Minuten einen Behälter mit je einer Million dieser Minisatelliten ausspucken, um eine Verdoppelung des CO2-Anstiegs auszugleichen. 50 Jahre lang könnte ein solcher Sonnenschirm halten.
Fast banal klingt dagegen die Idee, Wüstengebiete mit weißer Folie auszulegen. Der Effekt wäre wohl auch nur begrenzt und die Wirkung auf das Klima schwer vorherzusagen, weil die Abkühlung lokal begrenzt stattfindet. Vorgeschlagen wurden auch Roboterschiffe, die Meerwasser in die Luft blasen, um so Wolken zu erzeugen, speziell gezüchtete Getreidepflanzen, die mehr Sonnenlicht reflektieren, außerdem gibt es die Idee, Städte weiß anzustreichen.
In die zweite Kategorie fallen Vorschläge zur Meeresdüngung, wie sie gerade das deutsche Forschungsschiff »Polarstern« erforscht. Die Hoffnung ist, durch Düngung große Mengen Algen wachsen zu lassen, die CO2 aus der Luft holen. Die abgestorbenen Algen, so das Kalkül, sinken zum Meeresgrund. Der in ihnen gespeicherte Kohlenstoff ist so dauerhaft der Atmosphäre entzogen. Bisherige Forschungsergebnisse zeigen aber, dass nur ein kleiner Teil der toten Algen tatsächlich am Meeresgrund ankommt. Außerdem sind die Folgen für die Ökosysteme im Ozean unberechenbar.

Der Geowissenschaftler Lenton hat zusammen mit seiner Kollegin Naomi Vaughan untersucht, welche der Methoden überhaupt einen spürbaren Effekt versprechen. Die Anfang Februar veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass vor allem der Vorschlag von Crutzen, Schwefeldioxid in die Stratosphäre zu blasen, relativ schnell die Erwärmung aufhalten könnte. »Schnell« heißt in dem Zusammenhang, innerhalb von 50 bis 100 Jahren. Dass die Methode funktionieren könnte, zeigt der Ausbruch des Pinatubo 1991. Der philippinische Vulkan schleuderte etwa 20 Millionen Tonnen Schwefel in die Luft. Schwefelhaltiger Nebel umhüllte den ganzen Globus. Im folgenden Jahr sank die mittlere Erdtemperatur um ein halbes Grad. Denn Schwefeldioxid wandelt sich in der Atmosphäre in Sulfat-Partikel um, und diese wiederum werfen einen Teil der Sonnenstrahlung zurück ins All.
Die gezielte Verschmutzung bringt aber nicht nur eine Abkühlung und farbenfrohe Sonnenuntergänge. Sie birgt auch eine Reihe von Risiken. Sie droht nicht nur neue Löcher in die Ozonschicht zu reißen, sondern müsste auch ständig erneuert werden. Die künstliche Verschattung baut sich innerhalb von zwei Jahren ab. Es muss also ständig Schwefel mit Ballons oder Raketen nachgeliefert werden. Wenn die absichtliche Verschmutzung plötzlich gestoppt wird, könnten die Temperaturen innerhalb von Jahrzehnten um fünf Grad ansteigen.
Effektiv könnte es nach Lentons Studie auch sein, CO2 mit chemischen Methoden aus der Luft zu holen. In Versuchsanlagen wird das zur »Reinigung« der Abgase von Kohlekraftwerken bereits versucht. Um aber große Mengen CO2 der Atmosphäre zu entziehen, wäre ein so großer technischer Aufwand nötig, dass man sich fragt, warum das einfacher durchzusetzen sein soll als eine komplette Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Quellen. Auf den ersten Blick scheint diese Methode zumindest weniger unkalkulierbare Risiken zu bergen. Unklar ist allerdings, wie lange das CO2 unter der Erde bleibt, wenn es wie geplant in ausgediente Ölquellen oder Kohleflöze gepumpt wird.
Am meisten verspricht sich Lenton noch von der Verkohlung von Landwirtschaftsabfällen. Dabei werden Mist, Stroh und andere Abfälle unter Luftabschluss erhitzt und so zu Kohle verarbeitet. Die wird vergraben, und der gespeicherte Kohlenstoff ist dauerhaft der Atmosphäre entzogen. Außerdem kann man mit dieser Methode sogar den Boden düngen. Außerdem ist sie billig und wenig aufwendig.
Wo ist der Haken? Die Produktion von Biokohle hat nur als Ergänzung zur Reduktion von Klimagasen Sinn. Der mögliche kühlende Effekt ist nur ein Zehntel so groß wie bei Crutzens Schwefel-Experiment. Außerdem erfordert der Vorschlag genauso wie die Vermeidung von Emissionen eine Umstellung der Produktionsmethoden. In diesem Fall in der Landwirtschaft statt in der Energieerzeugung. Eine Enttäuschung für alle, die auf eine einfache technische Lösung gehofft hatten. Einen praktischen, gefahrlosen Geo­thermos­taten wird es wohl nie geben.
Auch in China konnten die Ingenieure als Wettermacher noch keine überzeugende Vorstellung abliefern. Die »Wolkenimpfung« durch die Artillerie ließ zwar tatsächlich Regen über der Getreide­region Henan fallen, aber nur knapp zehn Millimeter. Die Zeitung China Daily, nicht gerade für Kritikfreudigkeit bekannt, zitierte einen Henaner Dorfvorsteher: So lassen sich, meinte dieser, die Böden »gerade mal anfeuchten«.