Die Europa-Politik der CSU

Island soll draußen bleiben

Die CSU hat neue Forderungen zur Europa-Politik vorgebracht. Diese erfüllen vor allem einen populistischen Zweck.

Die Mission scheint geglückt zu sein: Anlässlich ihres Parteitags in Nürnberg beherrscht die CSU erneut die Titelseiten der Republik. Ihre europa-politischen Forderungen werden zwar einhellig abgelehnt, aber die kleine, süddeutsche Regionalpartei ist wieder das Tagesgespräch. Wie ist ihr das gelungen?
Ende Juni hat das Bundesverfassungsgericht über den Lissabon-Vertrag der Europäischen Union entschieden. Es hat gefordert, dass im derzeitigen europäischen Staatenbund die nationalen Parlamente größere Mitspracherechte erhalten, und sich also für das Motto »Deutschland zuerst« ausgesprochen. Im Fall wichtiger Gesetzesvorhaben der EU soll nicht nur die Exekutive, die Bundesregierung, sondern auch der Bundestag und – so weit er betroffen ist – der Bundesrat zustimmen. Schließlich sei, bei der gegenwärtigen Verfasstheit der EU, die BRD ein souveräner Staat, die demokratische Kontrolle könne nur vom Bundestag ausgeübt werden, zumindest solange das Europa-Parlament dieser Aufgabe nicht gewachsen sei.
Auf dieses Urteil hat nun zuerst die CSU-Landesgruppe im Bundestag Bezug genommen und einen 14-Punkte-Katalog verfasst: die »Leitlinien für die Stärkung der Rechte des Bundestags und des Bundesrats in EU-Angelegenheiten«. Üblicherweise gehen Schriftstücke mit solchen Titeln unbeachtet unter. Europa-Politik? Die interessiert doch weder Wähler noch Politiker, letztgenann­te zumindest so lange nicht, wie sie eine Rolle im Tagesgeschäft spielen wollen. Wenige Monate vor der Bundestagswahl gelang es dem bisher glücklosen CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt jedoch, die notwendige Aufmerksamkeit der Medien zu bekommen. Obwohl die 14 Punkte auf Widerspruch in der CDU und in der Öffentlichkeit stießen, wurden die wichtigsten Forderungen auf dem Nürnberger Parteitag einstimmig in einen eigenen Wahlaufruf der CSU übernommen, obwohl die beiden konservativen Parteien ja schon ein gerade vorgestelltes, gemeinsames Wahlprogramm besitzen.

Nach Vorstellung der CSU sollen zukünftig die deutschen Wähler »bei wichtigen Fragen zu Europas Zukunft« zur Volksabstimmung gerufen werden, etwa bei der Übertragung von Souveränitätsrechten auf die EU oder »wenn die europäische Familie um weitere Mitgliedsstaaten erweitert werden soll«. Und man sieht schon sehr schön an der Wahl des Bildes, dem Gegensatzpaar aus »Familie« und »weitere Mitgliedsstaaten«, dass hier die übliche, billige Propaganda gegen den Beitritt der Türkei bemüht werden soll. Christliches Abendland gegen kulturfremdes Anatolien – schon immer ein Lieblingsthema der CSU, mit dem man die Bierzelte prima bespielen kann. Neuerdings wird das Thema um Einwände gegen den möglichen Beitritt des fast bank­rotten Kleinstaates Island erweitert. Da es nur auf den populistischen Effekt der Forderung ankommt, ist es konsequent, dass Volksabstimmungen zu Fragen der deutschen Innenpolitik nicht vorgesehen sind.
Auch der Hauptforderung der CSU wird in der Öffentlichkeit Misstrauen entgegengebracht: Bundestag und Bundesrat sollen bindende Stellungnahmen abgeben können, gegen deren Inhalt die Bundesregierung in EU-Verhandlungen nur im begründeten Ausnahmefall verstoßen dürfen soll. Denn: »Wir wollen künftig mehr parlamentarische Kontrolle.« Das fordert ausgerechnet die Staatspartei, deren Fraktion im bayerischen Landtag in den vergangenen Jahrzehnten durch keine eigene Haltung gegenüber der Exekutive aufgefallen ist. Für ihre Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber waren die CSU-Abgeordneten stets dienstbare Erfüllungsgehilfen, die noch jedes Gesetz aus der bayerischen Staatskanzlei bejubelten und im Parlament eilig durchwinkten, wie beispielsweise die höchst umstrittene Schulzeitverkürzung und das mittlerweile schon wieder revidierte Nichtrauchergesetz.

Und selbst der amtierende Ministerpräsident Horst Seehofer, der zuvor mit dem Versprechen einer neuen »Diskussionskultur« angetreten war, hat sich nun zum »Durchregieren« via SMS entschlossen. Die neuen, so genannten europapolitischen Forderungen sollen also nichts anderes als Aufmerksamkeit auf den kleinen, konservativen Koalitionspartner lenken. Im – allerdings unwahrscheinlichen – Fall, dass man den Forderungen nachkommt, bekäme die CSU mit den Stellungnahmen des Bundesrats zu europapoli­tischen Fragen noch eine weitere politische Betätigungsmöglichkeit hinzu. Aber vielleicht war ja schon der Weg das Ziel.