Schulfach Frieden

Geschichte wird gemacht

Die Plattform zyprischer Lehrer und Lehrerinnen »Vereintes Zypern« wendet sich gegen Geschichtsfälschung, den Nationalismus auf beiden Seiten und die Religion.

In »Die Zeit der Schmetterlinge«, einem spanischen Film von José Luis Cuerda aus dem Jahr 1999, ist der Lehrer Don Gregorio im vorrevolutionären Spanien Anfang 1936 auf die libertäre Erziehung seiner Schüler bedacht: »Einer Sache bin ich mir sicher: Wenn wir erreichen, dass eine Generation, eine einzige Generation, in Spanien frei aufwächst, wird ihnen dann keiner diese Freiheit entreißen können.«
Ähnlich scheinen auch die Mitglieder der Plattform »Vereintes Zypern«, einer Gruppe von griechisch-zyprischen und türkisch-zyprischen Lehrerinnen und Lehrer zu denken, und sie versuchen, ihre Vorstellungen dem Nationalismus auf beiden Seiten entgegenzusetzen. Seit November 2004 haben sich die türkisch-zyprischen Gewerkschaften der Lehrer (KTÖS) und der Studienräte (KTOEÖS) mit einigen ihrer griechisch-zyprischen Kollegen und Kolleginnen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, die Vorurteile ihrer Schüler und Schülerinnen abzubauen. Diese Gewerkschaften hatten bereits in der Zeit von 2000 bis 2004 in der vordersten Reihe der Opposition gegen das nordzyprische Denktasch-Regime um die Wiederaufnahme der interkommunalen Verhandlungen gekämpft, um eine Lösung auf der Basis einer bizonalen friedlichen Koexistenz zu finden. 2004 konnten sie dann eine Änderung der Geschichtsbücher und die Einführung von zwei neuen Fächern im türkisch-zyprischen Bildungssystem begrüßen: Griechisch-Unterricht und »Friedensausbildung«. Die Geschichtsbücher enthalten eine kritischere Bearbeitung der neueren Geschichte. Die nationalistischen Exzesse der Vergangenheit präsentieren sich jetzt in milderer Form. Der Drohung des Ministerpräsidenten Derwis Eroglou, die Geschichtsbücher zurückzuziehen, wollen die Lehrer mit Aufrufen zum Protest entgegentreten. Cener Elgil, KTÖS-Vorsitzende, habe deswegen Drohanrufe bekommen, erzählt im Gespräch mit der Jungle World Gregoris, ein griechisch-zyprischer Lehrer von der Plattform.

Auf griechisch-zyprischer Seite beschränken sich die Versuche des Zusammenlebens auf meinungsstarke Lehrer- und Professorenkreise, die kaum auf die Unterstützung der offiziellen Gewerkschaften zählen können. Obwohl das griechisch-zypri­sche Bildungsministerium im September 2008 die »Förderung einer Kultur des Friedens und der Zusammenarbeit« mit dem Norden groß angekündigt hat, wird dieser Ansatz von den Gewerkschaften der Lehrer (POED) und der Studienräte (Oelmek) nicht sonderlich unterstützt. Die POED hat deutlich gemacht, dass sie mit Besuchen von türkisch-zyprischen LehrerInnen oder SchülerInnen nicht einverstanden ist, und betont, als Ausbildungsmotto müsse der Spaltungsspruch erhalten bleiben: »Ich kenne die Geschichte, vergesse nicht und kämpfe weiter« erhalten bleiben.
Die griechisch-zyprischen Mitglieder der Plattform versuchen, solchen Hasstendenzen entgegenzuwirken. In ihrer Zeitschrift To Kalemi analysieren sie die Ursprünge der Spaltung und sehen beide Seiten in der Verantwortung. Der Erzfeind sei nicht der jeweils Andere, sondern vielmehr jede Form von Nationalismus, die in den vergangenen Jahrzehnten zur Entstehung und Stärkung einer revanchistischen Mentalität beigetragen haben. An erster Stelle ist die Kirche zu nennen, die bis zum derzeitigen Bildungsminister Dimi­triou ununterbrochen bestimmt hat, wer die Geschichtsmanipulation auf Regierungsebene verwaltet. Andreas Dimitriou ist auch der erste Bildungsminister, der Wissenschaftler ist; seine Vorgänger waren etwa Broker, Architekt oder Zahnarzt. Sie hatten wenig mit der Bildung, aber dafür viel mit der Kirche zu tun, sagt Gregoris.

Die Kirche sei auch vorwiegend daran schuld, dass Anfang der neunziger Jahre eine hellenozentristische Geschichtsschreibung entstanden sei, die Zypern als urgriechisches Territorium und die anderen Einwohner als Eindringlinge betrachte. Kaum hatte der derzeitige Bildungsminister die Absicht geäußert, die Geschichtsbücher ändern zu wollen, wurde der Diskurs gleich von der Kirche bestimmt. Erzbischof Chrisostomos II. habe sogar angedroht, die Schüler zu Bücherverbrennungen aufzurufen, sollte die Geschichte »gefälscht« werden, erzählt Gregoris und verweist auf die reaktionäre Rolle der Kirche.
Entsprechend wurde bisher auf der türkisch-zyprischen Seite gelehrt, die zyprische Geschichte habe erst 1571 angefangen, als sich die Insel den Osmanen unterordnete, insofern sei sie zu vier Fünfteln ihrer Geschichte türkisch gewesen. Auf diese Geschichtsfälschung wollen die türkisch-­zyprischen Mitglieder der Plattform aufmerksam machen, wie ihre Kollegen im Süden fordern auch sie, das Unterrichtsfach Religion abzuschaffen. So haben sie sich im August gegen ihr Bildungsministerium gestellt, das in den Schulferien die Klassenzimmer für den Koran-Unterricht nutzen wollte.
»Los maestros son las luces de la republica« (»Die Lehrer sind die Lichter der Republik«), meinte Don Gregorio, und diese Auszeichnung haben die Mitglieder der Plattform verdient.