Sparmaßnahmen und Proteste in Griechenland

Das Laboratorium

In Griechenland wird getestet, wie weit sich die Ansprüche einer revoltierenden Arbeitskraft senken lassen.

Volle Kraft voraus in den Crash! Das scheint das Motto zu sein, an dem sich der griechische Staat, aber auch die Mitgliedsländer der Eurozone orientieren. Die Austeritätsmaßnahmen, die der griechische Staat durchsetzen will, sind hart. Die EU-Kommission erwartet, dass der griechische Staat sein Haushaltsdefizit von zuletzt 12,7 Prozent in diesem Jahr um mindestens vier Prozentpunkte verringert – ein irrer Plan angesichts der generellen Krisenerscheinungen. 4,8 Milliarden Euro will die griechische Regierung einsparen, das bedeutet einen Frontalangriff auf die Löhne und Gehälter der Beschäftigten. Im öffentlichen Dienst sollen etwa das 13. und 14. Monatsgehalt um 30 Prozent gekürzt werden. Alle Renten sollen eingefroren werden, dafür wird die Mehrwertsteuer angehoben – das trifft vor allem die Geringverdienenden. Die sozialdemokratische Regierung wollte die Zustimmung der Gewerkschaften zu den Sparmaßnahmen erreichen, aber die sperren sich unter dem Druck ihrer Basis. Und so kam es seit Februar zu mehreren gewerkschaftlich kontrollierten Generalstreiks. Nachdem bei einem solchen Event Anfang März ein sozialdemokratischer Gewerkschaftsboss von wütenden Arbeitern von der Kundgebung verscheucht worden war, kam es am Donnerstag voriger Woche zu einem Generalstreik im öffentlichen und Privatsektor mit großer Beteiligung und zu Straßenkämpfen in Athen.
Im Dezember 2008 hatte der griechische Staat die offene Revolte von Schülern, Studenten, Migranten, das heißt jener, die prekär beschäftigt sind oder dies zu erwarten haben, zu verdauen. Nun hat er auch noch die offizielle Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung am Hals.
Jenseits der Straßenschlachten und der fast alltäglichen Anschläge, die die Erinnerung an das bewegte Italien von 1977 wachrufen und überwiegend dem Mikrokosmos der libertären Bewegung entstammen, macht sich auch in anderen Kreisen Griechenlands eine gewisse Radikalisierung breit. So hat eine Gruppe von Arbeitern Anfang März die nationale Druckerei besetzt – um den Druck des neuen Gesetzes, mit dem ihre Löhne eingeschränkt werden sollen, zu verhindern. Sie hatten beim Lesen des Textes festgestellt, dass die Lohnkürzungen noch höher ausfallen sollten als offiziell angekündigt. Alle Tage Sabotage an der Staatsräson?
Während die regierende sozialdemokratische Pasok die »ausländische Spekulation« gegen Griechenland zum Sündenbock zu machen sucht, um vom ganz normalen krisenhaften Gang der Warengesellschaft abzulenken, spielen die restlichen Regierungen der Eurozone, die einen Bankrott des griechischen Staats fürchten, weil er dem Euro schaden würde, auf Zeit. Werden sie Unterstützungskredite geben, wenn ja, wann, in welchem Umfang, zu welchen Bedingungen? Sie warten einfach ab und hoffen, die griechische Regierung werde stark genug sein, um ihr brachiales Sparprogramm durchzusetzen. Griechenland dient der restlichen Eurozone als Laboratorium: Wie weit lassen sich die Ansprüche des variablen Kapitals – und das heißt in Griechenland: einer kämpferischen Arbeitskraft – senken? Das ist angesichts befürchteter weiterer Staatsbankrotte in der Eurozone für die Verwalter der alten Welt von höchstem Interesse.
Aber auch für ihre Reservetruppen. Weder die Stalinisten der griechischen kommunistischen Partei mitsamt ihren Gewerkschaften noch ihre linksbewegten Abspaltungen haben ein Interesse an einem generalisierten Aufstand. Sollte sich die Situation angesichts der neuen, furchtbaren Bedingungen weiter zuspitzen, ist die entscheidende Frage: Wissen sie auch, wie eine soziale Insurrektion zu verhindern ist?