Reto Mantz im Gespräch über nicht-kommerzielle Funknetzwerke

»Es wird immer enger«

Der Jurist Reto Mantz promovierte über die juristischen Aspekte von offenen Netzwerken und ist Mitglied in der Freifunk-Community, die sich für nicht-kommerzielle Funknetzwerke einsetzt. Zur Herstellung solcher Netzwerke stellen Nutzer ihren W-Lan-Router für den Datentransfer anderer Teilnehmer zur Verfügung. Fremden den Zugriff auf den eigenen Internetzugang zu erlauben, ist jedoch nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshof riskant. Wer zulässt, dass andere über den eigenen Anschluss etwa illegal Musik herunterladen, macht sich unter Umständen strafbar.

Ist Ihr eigenes W-Lan abgesichert?
Mein W-Lan zu Hause ist mit WPA2 verschlüsselt.
Dazu gab es jetzt eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) – was ist denn das Neue daran?
Zum einen ist dies die allererste Entscheidung des Bundesgerichtshofs überhaupt zu einem Fall, der mit einem W-Lan zu tun hat. Der zugrundeliegende Fall war, dass der Beklagte zu Hause einen Internetanschluss mit W-Lan hatte, das W-Lan war auch abgesichert – allerdings nur mit dem Standardpasswort des Router-Herstellers. Er ist dann in Urlaub gefahren, und irgendjemand hat in dieser Zeit über seinen Anschluss Filesharing betrieben. Die IP-Adresse seines Internetzugangs wurde mitgeschnitten und der Beklagte wurde abgemahnt. Er hat aber gesagt, dass er das nicht war – und das konnte er auch beweisen, weil er in dieser Zeit im Urlaub war. Das ist auch der Grund, warum dieser Fall in eine so hohe In­stanz gekommen ist, weil er definitiv nachweisen konnte, dass er es nicht war. Davor hat das Landgericht Frankfurt gesagt, das macht nichts, er werde trotzdem verurteilt. Das Oberlandesgericht Frankfurt hingegen hat die Klage abgewiesen.
Aber man muss hier zwischen zwei Haftungsinstrumenten unterscheiden: Das eine ist die Schadensersatzhaftung, da kann der Rechteinhaber Schadensersatz vom Beklagten verlangen. Aber derjenige, gegen den man vorgeht, der muss auch schuldhaft gehandelt haben. Und wenn der, wie in diesem Fall, im Urlaub war, dann war das schon gar nicht schuldhaft. Die zweite Komponente ist verschuldensunabhängig, das ist die sogenannte Störerhaftung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob er’s wirklich war, sondern nur, ob er daran mitgewirkt hat. Und der Beklagte hat mit seinem W-Lan-Router daran mitgewirkt. Daher die Frage: Hat der Beklagte hier seine Prüfungs- und Überwachungspflichten verletzt? Und hier hat der BGH entschieden, er habe sie verletzt, da er nicht das Standardpasswort geändert hat.
Welche Folgen hat dieses Urteil jetzt?
(lacht) Das wissen wir noch nicht. Bisher ist nur die Presseerklärung erschienen, nicht die schriftliche Urteilsbegründung, und bis diese vorliegt, kann es noch mehrere Monaten dauern. Aus der Presseerklärung geht nur hervor, dass der Beklagte verurteilt wurde, weil er das Funknetz nicht ausreichend abgesichert habe. Ob in der Urteilsbegründung stehen wird, dass alle ihre Netze absichern müssen, also Internet-Cafés, Bibliotheken, Unis oder das Freifunk-Netz, das wissen wir bis dahin nicht. Es ist durchaus denkbar, dass wir auch nach dem Erscheinen der Begründung immer noch die gleiche Rechtsunsicherheit haben wie in den Jahren zuvor. Gerichte entscheiden ja immer nur darüber, was ihnen vorliegt, alles andere muss sie nicht interessieren. Wenn sie dann mal mehr sagen, wird das auch groß beachtet, aber es reicht für das Urteil aus, wenn sie den einen vorliegenden Fall entscheiden. Man kann dem BGH da nicht mal einen Vorwurf machen.
Das Urteil hat auch einen erfreulichen Aspekt, da es die Abmahnkosten auf 100 Euro begrenzt, oder?
Das ist ein klarer Gewinn, das ist für viele Fälle richtig. Allerdings versucht die Abmahnindustrie, also die abmahnenden Kanzleien und ihre Anwälte, das Urteil zu ihren Gunsten eingrenzend auszulegen. Denn der BGH hat nur in diesem Fall entschieden, und hier ging es bei den Abmahnkosten um Filesharing von nur einem Lied.
Also hieße das: Zwei Lieder kosten dann 200 Euro und so weiter …
Eher würde das heißen: Zwei Lieder bedeuten volle Kosten. Oder ein Album bedeutet volle Kosten. Der Paragraf 97a Absatz 2 des Urheberrechtsgesetzes besagt, dass die Rechtsanwaltskosten nur in einem einfach gelagerten Fall und bei einer nur unerheblichen Rechtsverletzung auf 100 Euro für den Abgemahnten gedeckelt werden.
Die Möglichkeit der Abmahnung in Deutschland ist weltweit einzigartig – wäre es nicht besser, sie ganz abzuschaffen?
Für solche Fälle – sicherlich. Allerdings hat auch die Abmahnung einen positiven Effekt. Sie stammt ja ursprünglich aus dem Wettbewerbsrecht, sie ermöglicht etwa, konkurrierende Mit­bewerber, die unlauter handeln, kostengünstig und einfach abzumahnen, ohne damit die Gerichte zu bemühen. Das Problem ist, dass dieses eigentlich sinnvolle Instrument missbraucht wird, um zehntausendfache Rechtsverletzungen in ganz, ganz kleinem Ausmaße anzugehen. Das eigentliche Ziel der Abmahnindustrie ist hier, Filesharing uninteressant zu machen und auf der anderen Seite damit Geld zu verdienen. Was wir uns von dem BGH-Urteil erhofft haben, ist, dass die Haftung eingeschränkt wird, denn ohne Haftung gibt es natürlich auch keine Abmahnung. Wir plädieren dafür, dass in diesen Fällen die Störerhaftung nicht mehr greift.
Drohen uns in Zukunft italienische Verhältnisse? In Italien muss man sich ja schon aus­weisen, wenn man im Internet-Café an die Computer will.
Es gibt schon Leute und Gerichte, die dies gefordert haben. Man muss aber wissen, dass das nichts bringt. Ein Beispiel: Ich gehe in ein Café, weise mich aus, bekomme das Passwort. Wenn hinterher ein Rechteinhaber kommt und sagt, jemand habe Filesharing betrieben, kann der Betreiber antworten, alle Kunden hätten sich ausgewiesen, aber er wisse nicht, wer diese Rechtsverletzung begangen hat. Und eigentlich ist auch das Verlangen und Speichern des Namens datenschutzrechtlich verboten, da es keinen Grund gibt, diese Daten zu erheben. Da ich meinen Kaffee schon bezahlt habe, benötigt der Café-Inhaber für die Abrechnung meinen Namen nicht, deshalb darf er mich auch nicht danach fragen.
Es würde ja auch Datenmissbrauch ermöglichen, wenn in den Cafés kopierte Ausweisdaten aufbewahrt werden.
Das ist richtig: Man hätte eine nette Informationsquelle, etwa darüber, welche Leute eigentlich welche Cafés besuchen oder welche Bibliotheken und wie oft. Hier würde eine neue Datensammlung geschaffen, die auch missbraucht werden kann.
Sehen Sie dieses Urteil auch in einem sicherheitspolitischen Kontext? Angela Merkel hat ja das Internet neulich als ein »absolutes Vakuum« bezeichnet. Ist dieses Urteil ein weiterer Schritt zur Einschränkung von Bürger- und Informationsrechten?
Das sehe ich nicht so. Man kann das Urteil so verstehen, dass Leute Angst vor dem Internet haben. Man kann es allerdings – unabhängig von der Sicherheits- und Terrorismusdebatte – in den größeren Kontext des Kampfes gegen Rechtsverletzungen einbetten. Rund um die Welt gibt es eine sehr starke Rechtsinhaberlobby, die Urheberrechte durchzusetzen versucht. Und viele Regierungen folgen ihnen – auf dem einen oder anderen Wege. Das sieht man deutlich an der deutschen Rechtsprechung, wo nach dem Argument vorgegangen wird: »Es ist etwas passiert, und wir müssen jemanden drankriegen.« Und wenn man den, der das Filesharing oder eine andere Rechtsverletzung begangen hat, nicht erwischen kann, dann doch wenigstens den Anschlussinhaber. So urteilt etwa das Landgericht Hamburg.
Was man eigentlich tun kann, um seine Haftung zu vermeiden, ist dabei bis heute nicht klar. Da gibt es nur Einzelentscheidungen, die aber in den letzten Jahren immer weiter gehen. Man muss immer noch mehr machen: Man soll Benutzerkonten auf dem Computer anlegen, um zu verhindern, dass die eigenen Kinder Filesharing betreiben. Dann soll man zusätzliche Kontroll­software installieren oder die Kinder besonders instruieren. Es wird immer enger, das ist die Tendenz, die ich sehe.
Es fällt doch auf, das man sich beim Paket- oder Briefversand nicht als Absender identifizieren muss, selbst wenn man einen anonymen Schmähbrief versendet oder eine kopierte CD.
Ja, da käme niemand auf den Gedanken, dass man sich ausweisen muss. Das ist die richtige Analogie: Ich werde nicht beim Verschicken von Briefen gefragt, auch nicht beim Telefonieren aus der Telefonzelle. Für mich ist ganz klar, eine Identifizierungspflicht kann man kaum begründen. Ich glaube auch nicht, dass dies der Bundesgerichtshof fordern würde – manche Gerichte haben das aber schon getan, und auch einige Rechtsautoren. Es ist diese nicht fassbare Angst vor dem »Moloch Internet«, die dazu führt, dass man Haftung und Regelungen verlangt. Das geht meines Erachtens zu weit.
Völlig absurd wird ja die Sache, da in Deutschland unter anderem bei den Discountern Prepaid-UMTS-Sticks anonym zu haben sind und man sich dann auf falschen Namen übers Internet registrieren kann, oder?
Dazu vielleicht ein kleines Beispiel: Ich bin gerade in den USA, und im Land der Terrorismusgesetze kann ich in Supermärkten Handys kaufen, die absolut anonym erhältlich sind. Die werden hier auch als Wegwerftelefone bezeichnet. Die Ame­rikaner, die sehr strenge Sicherheitsgesetze verabschiedet haben, haben mit anonymen Mobiltelefonen überhaupt kein Problem.
Aber ich möchte auch noch auf einen wirtschaftlichen Aspekt zu sprechen kommen: Überall auf der Welt findet man auf den großen Flughäfen offene W-Lan-Hot-Spots. Nur in Deutschland nicht, hier kostet das wahnsinnig viel Geld. Die Regulierungswut und die rechtliche Unsicherheit, die wir hier haben, ist auch ein wirtschaftliches Problem. Die EU hat in den neunziger Jahren die E-Commerce-Richtlinie erlassen, um einen soliden Rechtsrahmen zu schaffen, um gerade Innovationen im Bereich Internet zu ermöglichen. Die deutsche Rechtsunsicherheit hindert Leute mit interessanten Netzwerk-Ideen daran, diese auch umzusetzen – schlicht weil sie nicht wissen, wer für Rechtsverletzungen haftet.
Was ist denn eigentlich das Freifunk-Netz?
Das Freifunk-Netz ist eine Community, bei der sich Leute zusammenschließen, die eine gemeinsame Netzwerkinfrastruktur aufbauen. In Deutschland ist das Ganze in Berlin entstanden: In Ostberlin wurde nach der Einheit von der ­Telekom Glasfaserkabel verlegt, DSL gibt es aber nur über Kupfer. Das führte zu der kuriosen Situation, dass auf der einen Straßenseite die Leute schnelles Internet hatten, auf der anderen nicht. Als sich Funknetze durchsetzten, kam man auf die Idee, die Anschlüsse zu teilen, daraus ist die Freifunk-Initiative entstanden. Über ihre W-Lan-Router sind viele Leute miteinander verbunden, die sich einige Internetanschlüsse teilen. Das ist unentgeltlich. Warum soll aber jemand, der etwas Gutes tut, indem er Kommunikationsinfrastruktur kostenlos bereitstellt, dafür vom Gesetzgeber bestraft werden und in Haftung genommen werden? Dadurch würde ja etwa auch die digitale Kluft teilweise überwunden. Es können sich ja nicht alle einen Internet-Anschluss leisten, obwohl der Zugang zum Netz etwas ganz Wesentliches ist, um an unserer Gesellschaft teil­haben zu können.

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