Über das britisch-türkische Verhältnis

Camerons neuer Charme

Energisch setzt sich der britische Premierminister David Cameron für einen EU-Beitritt der Türkei ein. Bei seinem Besuch in Ankara übte er heftige Kritik an Israel.

Die Außenpolitik der neuen britischen Regierung hat bereits für einige Überraschungen gesorgt. Vizepremierminister Nick Clegg von den Liberaldemokraten verblüffte deutsche Journalisten, als er in Berlin mit Guido Westerwelle in fehlerfreiem Deutsch über die »Berliner Luft« scherzte. Der Außenminister Willam Hague von den Konservativen, eigentlich ein strammer Anti-Europäer, verstand sich nicht nur blendend mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Er erklärte bei seinen Antrittsbesuchen auch, dass Großbritannien ein vitales Interesse an einer starken Europä­ischen Union und einem starken Euro habe.
Die ersten diplomatischen Schritte des Premierministers David Cameron mögen hingegen etwas unbeholfen erscheinen. Bei seinem Antrittsbesuch im Weißen Haus verkündete er, dass Großbritannien der Juniorpartner der USA im Zweiten Weltkrieg gewesen sei, was gerade bei konservativen Briten nicht besonders gut ankam.

In der vergangenen Woche besuchte Cameron Ankara und sagte, dass seine Regierung die Türkei gern in der EU sehen möchte. Er kritisierte die »Doppelmoral« der deutschen und der französischen Regierung, den Türken einerseits Beitrittsverhandlungen anzubieten, aber einen türkischen EU-Beitritt andererseits offen abzulehnen. Sarkozy etwa hatte erklärt, er wolle nicht derjenige sein, der französischen Schulkindern erklären müsse, dass Europa an Syrien und den Irak grenze. Auch Merkel lehnt einen Beitritt der Türkei zur EU ab. Die Mehrheit der EU-Bürger, einschließlich der Briten, ist ebenfalls dagegen.
Cameron sagte, er sei »verärgert« darüber, dass man in Europa das Engagement der Türkei im Nahen Osten und in Afghanistan zu wenig anerkenne. Es könne nicht sein, dass man »jemanden das Camp bewachen lässt, den man aber nicht ins Zelt lassen will«. Der Premierminister wies auf die wachsende wirtschaftliche und ­demografische Bedeutung der Türkei hin und warf den Gegnern der türkischen EU-Integration vor, sie seien von wirtschaftlichem Protektionismus und Islamophobie motiviert. Überdies kritisierte er Israel und bezeichnete den Gaza-Streifen als ein »Gefangenenlager«, das geöffnet werde müsse. Der israelische Einsatz gegen die Hilfsflotte für Gaza sei »völlig inakzeptabel« gewesen.

Camerons Äußerungen stehen in Zusammenhang mit Gesprächen über die Ausweitung von Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern. Doch in der Befürwortung des türkischen EU-Beitritts folgt Cameron auch der Linie der alten Labour-Regierung. In Brüssel gilt die britische Unterstützung für die Türkei seit langem als Vorwand, um die eigenen Pläne einer auf wirtschaftliche Integration fokussierten EU voranzutreiben. Mit dem Beitritt der Türkei wollen die britischen Euro-Skeptiker sicherstellen, dass sich keine engere politische Union entwickeln kann. Doch anders als für die US-Amerikaner, die auf auf einen EU-Beitritt der Türkei drängen, hätte ein solcher für Großbritannien konkrete Folgen. Ein Journalist fragte Cameron, wie sich eine potentielle Masseneinwanderung von Türken nach einem EU-Beitritt mit den Zielen der Konservativen zur Migrationsbeschränkung vereinbaren lasse. Cameron erwiderte, die meisten Türken würden ohnehin eher in andere europäische Länder wie Deutschland migrieren, in denen es bereits große türkische Minderheiten gebe. Außerdem werde man die Migration auch nach dem Beitritt beschränken.
Vermutlich muss die Rhetorik Camerons auch im Rahmen einer koordinierten europäischen Charmeoffensive gesehen werden, die die Türkei von einem weiteren Abdriften in Richtung arabische Welt und Iran abhalten soll. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle traf zwei Tage nach Cameron in Ankara ein und sagte: »Die Richtung der Türkei ist Europa.« Er hatte diesen Satz auf Türkisch einstudiert.