Der nette Typ von der CDU

Berlin Beatet Bestes. Folge 57. Peter Lorenz: Werbesingle der CDU (1971).

Seit zwölf Jahren wohne ich mit meiner Freundin zusammen in Kreuzberg, oder wie wir es nennen: »Kreuzberg-Light«. Im Gegensatz zu Kreuzberg 36 rund um die Oranienstraße und das Kottbusser Tor hat unser Kreuzberg 61 keine offene Drogenszene, keine Jugendgangs und keine Punks mehr. Der Chamissokiez und die Bergmannstraße sind heute eine Flaniermeile für Touristen, und es vergeht kein Monat, ohne dass hier ein Filmteam eine Szene vor den intakten Gründerzeitfassaden dreht. Heute essen, trinken und atmen wir hier nur noch Bio. Vor 30 Jahren hat die Instandbesetzerszene dieses Viertel vor dem Abriss gerettet. Der Film »Berlin Chamissoplatz« (1980) beginnt mit einem Kamera­schwenk über den Platz, auf dem sich einige parkatragende Hippie­typen vor einem offenen Lastwagen versammelt haben, wo eine Punkband spielt. Der Film zeigt das damalige graue, trostlose Arbeiterviertel und den Kampf einer Mietergruppe mit der Gewobag, die das Viertel sanieren will. 30 Jahre später ist die gammelige Markthalle zu einer teuren Wandelhalle voller Delikatessläden geworden. In der Bergmannstraße reiht sich ein Café an das nächste, und ein großer Neubau mit Supermärkten und Tiefgarage zieht viele zum Einkaufen hierher. Obwohl der Chamissokiez geradezu für die Gentrifizierung prädestiniert zu sein scheint, ist es ausgerechnet die Gewobag, die die Vertreibung bis heute verhindert hat. Das städtische Unternehmen besitzt einen Großteil der Häuser, und so sind auch die Bewohner in unserem Haus noch dieselben wie vor zwölf Jahren. Drei türkische Familien wohnen hier seit 1980.
Wie ich an dieser Stelle schon oft geschrieben habe, kaufe ich viele meiner Schallplatten direkt hier im Viertel, in Trödel-, Platten- und Buchläden. Manchmal wird durch so einen banalen Kauf Geschichte lebendig. Die Platte, um die es hier geht, habe ich vor einiger Zeit für 50 Cent bei mir in der Straße gekauft. Es ist eine Single der CDU, auf der Peter Lorenz für seine Partei wirbt. Nur 100 Meter vom Fundort der Platte entfernt, in der Schenkendorfstraße Nr. 7, wurde Peter Lorenz 1975 von der Bewegung 2. Juni gefangen gehalten.
Zur Wahl des Abgeordnetenhauses von Berlin am 14. März 1971 trat er als Spitzenkandidat der CDU an. Peter Lorenz’ freundliche, leicht berlinerisch gefärbte Stimme, die auf dieser einseitig bespielten Schallfolie zu hören ist, und das schlichte Foto auf dem Cover stehen in krassem Gegensatz zu der Wirkung, die er im Frühjahr 1975 auf uns Kinder machte, als wir das berühmte Pressebild des Entführten sahen. Warum hatte der Mann auf dem Foto einen Schlafanzug an, und warum waren seine Haare nicht gekämmt? Ich verstand das nicht. Sogar sie sollen erstaunt gewesen sein, dass ihr böser CDU-Mann ein ganz normaler und angenehmer Mensch war. Sechs Tage hielten die Entführer ihn in einem Kellerraum in der Schenkendorfstraße gefangen, bis fünf inhaftierte Genossen freigelassen und in den Jemen geflogen wurden. Peter Lorenz starb 1987. Auf der Platte sagt er zum Wohnungsbau: »Was nützten Sozialwohnungen, die nicht sozial sind. Wir wollen bessere und menschlichere Wohnungen mit gerechten Mieten.«