Die Bildungspolitik der Jamaika-Koalition im Saarland

Wenig Grün in Jamaika

Die Jamaika-Koalition im Saarland gilt als Modellprojekt. Von den Ambitionen ihres grünen Bildungsministers würden sich die Koalitionspartner jedoch gerne verabschieden.

»Das ist Politik!« rief ein sichtlich gereizter Klaus Kessler (Grüne) im vergangenen Jahr empörten Studierenden zu, als sie die Saarbrücker Parteizentrale der Grünen stürmten. Der gerade ins Amt berufene saarländische Bildungsminister hatte einige Mühe, den Studierenden die Vorzüge einer »Jamaika-Koalition« begreiflich zu machen. Das Argument, das bildungspolitische Programm der Grünen sei doch viel näher an dem von SPD und Linkspartei als an dem von FDP und CDU, war auch schwer zu entkräften. Doch Kessler hatte eine eigentümliche Begründung parat: Eine der Hauptforderungen der Grünen sei die Zusammenlegung von Real- und Gesamtschulen zu Gemeinschaftsschulen und die Einführung eines fünften Grundschuljahrs. Dafür benötige man im Saarland aber eine Verfassungsänderung – und für eine Zweidrittelmehrheit brauche man Stimmen von CDU und FDP, die man in dieser Sache eben ausschließlich als Koalitionspartner erhalte. SPD und Linkspartei würden dann schon mitmachen.

Ob dieser gewöhnungsbedürftige Plan jemals in Erfüllung gehen wird, ist mittlerweile mehr als fraglich. Nach der gescheiterten Abstimmung in Hamburg über die Einführung der Gemeinschaftsschule und einer sechsjährigen Grundschule sehen CDU und FDP ihre Chance, das ungeliebte Zugeständnis im Koalitionsvertrag doch noch auszuhebeln. Der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Landesvorsitzende der saarländischen FDP, Oliver Luksic, forderte nach der Hamburger Abstimmung, die geplante Verlängerung der Grundschulzeit prompt »noch einmal neu zu diskutieren«. Und der Fraktionsvorsitzende der CDU im Saarbrücker Stadtrat, Peter Strobel, möchte das Vorhaben in dieser Legislaturperiode aus finanziellen Gründen aufgeben. Bei den Grünen reagiert man auf derlei Vorschläge gereizt: Auf den Vorstoß von Luksic angesprochen, sagte Kessler der Saarbrücker Zeitung, maßgebend sei Christoph Hartmann, der Landesvorsitzende der FDP, und nicht das, »was ein Herr Luksic als Bundestagsabgeordneter mit Profilierungsbedürfnis zum Besten gibt«. Bisher kommen die Demontageversuche des Koalitionsvertrags eher aus der zweiten Reihe von CDU und FDP. Dennoch ist die Tendenz klar, die Grünen stehen in der saarländischen Regierung unter Druck.

Hinzu kommt, dass im Koalitionsvertrag auch die Erleichterung von Volksentscheiden geplant ist. Eine Initiative der Sozialdemokraten zur »Erleichterung von Volksbegehren« wurde von FDP, CDU und Grünen jedoch kürzlich abgelehnt. In einer Pressemeldung ließ der Vorsitzende der saarländischen SPD, Heiko Maas, mitteilen, Ziel der Regierung sei es, die Einführung von Volksentscheiden »auf den Sankt Nimmerleinstag« zu verschieben – »zumindest auf einen Zeitraum weit nach Verabschiedung aller wichtiger Vorhaben, gegen die sich in der Bevölkerung Protest regt«. Nach dem Volksentscheid in Hamburg wird aber auch im Saarland die Forderung nach einem Referendum zu dieser Frage lauter. Von den Jungliberalen einmal abgesehen, halten sich CDU und FDP derzeit jedoch zurück. Die Verlockung, die Reform durch die Einführung von Volksabstimmungen zu stoppen, und die Angst vor einer dadurch möglichen Sabotage eigener Gesetzesvorhaben scheinen sich die Waage zu halten.
Amüsant erscheint die Haltung der Grünen – der Partei, die bei den Koalitionsverhandlungen vehement auf einer verstärkten Bürgerbeteiligung bestand. Bildungsminister Kessler argumentiert, wie gewohnt, skurril: An sich sei er ja eigentlich für Volksentscheide. »Das ist eine urgrüne Position.« Doch gerade hier sei das Ganze zu teuer. Werbekampagnen und das Drucken von Broschüren kosteten zu viel Geld, und die gesellschaftliche Auseinandersetzung sei bei diesem Thema einfach zu heftig. Kesslers Angst vor dem Scheitern ist durchaus begründet. Ähnlich wie in Hamburg stehen im Saarland die Bürger- und Lehrerinitiativen schon in den Startlöchern. Auf der Webseite der Vereinigung der Oberstudiendirektoren der Gymnasien im Saarland wird vor der Einführung des fünften Grundschuljahrs gewarnt, als drohe der Untergang der abendländischen Zivilisation. Dort begrüßt man, dass in Hamburg der »Angriff auf das Gymnasium zurückgeschlagen« worden sei, und betont den breiten Widerstand von Eltern und Wirtschaft gegen die saarländischen Reformpläne. Auch der Verband Deutscher Realschullehrer Saar fordert, »den grünen Unfug« zu stoppen. Tausende Unterschriften gegen die Reform seien bereits gesammelt.
Zudem ist es unwahrscheinlich, dass SPD und Linkspartei die Neuregelung des Schulsystems einfach abnicken werden. Das Reformprojekt wirkt insgesamt wie ein fauler Kompromiss. Im Gegensatz zu Hamburg hat man sich hier auf nur fünf Grundschuljahre geeinigt. Hinzu kommen Zugeständnisse an FDP und CDU, die ihre auf Statussicherung bedachte Klientel besänftigen sollen.

Die bildungspolitische Sprecherin der saarländischen Linkspartei, Barbara Spaniol, hat jedenfalls schon angekündigt, »keine Insellösungen wie das fünfte Grundschuljahr« mitzutragen. Auch die SPD stellt Bedingungen. Sie besteht auf der Gleichwertigkeit von Gemeinschaftsschule und Gymnasium, was CDU und FDP gar nicht Recht ist. Wenn es nach Ministerpräsident Peter Müller (CDU) ginge, bekäme ausschließlich das Gymnasium das verfassungsmäßig garantierte Recht, eine eigenständige Oberstufe zu bilden. Dem wird die Opposition wohl kaum zustimmen.
Für die Grünen und ihr bildungspolitisches Hauptprojekt sind die Aussichten schlecht. Auf der einen Seite bereiten ihre konservativen Koalitionspartner Probleme, auf der anderen Seite die Opposition, der die Pläne nicht weit genug gehen. Nach der Sommerpause wollen die Grünen die Reform in Veranstaltungen öffentlich diskutieren. Der grüne Landesvorsitzende, Hubert Ulrich, signalisiert bereits seit längerem, die Reform »nicht um jeden Preis« durchsetzen zu wollen. Klein beigeben ist eben auch Politik, würde Klaus Kessler vermutlich dazu sagen.