Militär und Kopten in Ägypten

Die Schlacht des Feldmarschalls

Hinter dem Massaker an koptischen Demonstrierenden am vergangenen Sonntag in Kairo steckt kein religiöser Konflikt, sondern die Angst des ägyptischen Militärrats vor einem Machtverlust.

Keinen Monat ist es her, da griffen Protestierende die israelische Botschaft an, und das Militär in Ägypten setzte daraufhin die Notstandsgesetze, die eigentlich endgültig der Vergangenheit angehören sollten, wieder in Kraft. Der Angriff war jedoch vom Militär nicht nur gebilligt, sondern, wie Videos zeigen, initiiert und begleitet worden. Er hatte die gewünschte Wirkung: Die Weltöffentlichkeit schrie erschrocken auf, Politiker von Barack Obama bis Guido Westerwelle forderten die Regierung in Ägypten auf, entschlossen durchzugreifen und die Verantwortlichen zu bestrafen. Die Militärregierung konnte sich sicher sein, keine ernsthafte Kritik zu ernten, als sie in den darauffolgenden Tagen Protestierende verhaftete und missliebige Fernsehsender stürmen ließ.
Am vergangenen Sonntag kamen bei heftigen Straßenschlachten vor dem staatlichen Fernsehsender im Maspiro-Gebäude in Kairo mindestens 26 Menschen ums Leben. Die westlichen Medien schreiben zu einem großen Teil von religiös motivierter Gewalt, von Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen. Die Agenturen beziehen sich bei ihrer Berichterstattung auf die Bilder des Staatsfernsehens – und kopieren damit die Propaganda der Regierung. Wenn es an diesem Tag religiös motivierte Gewalt gab, dann von Seiten des Staates. Der herrschende Militärrat unter Feldmarschall Hussein Tantawi manipuliert, wie bereits die Regierung Hosni Mubaraks, die problematischen Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in Ägypten, um Unruhen zu provozieren. Danach kann er dann ein härteres Durchgreifen sowie seine beharrliche Weigerung rechtfertigen, die Macht wieder abzugeben.

Rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung sind koptische Christen. Sie haben wie die muslimischen Organisationen mit einem heftigen Generationenkonflikt zu kämpfen. Der koptische Papst und die Kirche sind streng orthodox und erlauben noch nicht einmal die Scheidung. Zur Regierung Mubarak pflegten sie beste Kontakte, und auch mit den neuen Herrschern sind sie so eng genug verbunden, dass sie jede Art von Protesten immer wieder verteufeln. Ein großer Teil der jungen und weniger kirchennahen Kopten war hingegen aktiv an der Revolution beteiligt und kämpft jetzt, zusammen mit muslimischen, atheistischen und sonstigen Mitstreitern, gegen das herrschende Militär und die zunehmende Repression gegen Proteste und Streiks. Es waren diese jungen Kopten, die am vergangenen Sonntag zu einer Demonstration aufgerufen hatten. Ihnen hatten sich weitere Protestierende angeschlossen, darunter auch Muslime, Frauen und Kinder. Die Demonstration richtete sich gegen den Angriff auf eine Kirche in Assuan einige Tage zuvor, aber auch gegen das herrschende Militär, dem die Kopten vorwerfen, nichts zu ihrem Schutz zu tun, sondern Spannungen zwischen Muslimen und Christen sogar gezielt zu provozieren. Auf dem Weg zum Maspiro-Gebäude wurde die Demonstration bereits mehrmals von der Polizei und Unbekannten angegriffen, Demonstrierende verbrannten Bilder Tantawis und riefen: »Wir fordern die Absetzung des Feldmarschalls!«
Als die Demonstration gegen sechs Uhr abends vor dem Gebäude des staatlichen Rundfunks am Nilufer eintraf und auf eine dort bereits wartenden Kundgebung stieß, griffen baltagiyyas, bezahlte Schläger, die Demonstrierenden auf einmal mit Steinen an. Sofort brach Panik aus, Videos zeigen, wie Menschen fliehen und Frauen kreischen. Im selben Moment war das Militär überall, Schüsse knallten. Demonstrierende berichteten später, die Soldaten hätten einfach in die Menge gefeuert. Es war der Beginn der gewalttätigsten Auseinandersetzungen seit dem Rücktritt Mubaraks. Stundenlang tobten Straßenschlachten, Steine flogen von beiden Seiten, das Militär schoss scharf, fuhr mit Panzerfahrzeugen in die Menge und überrollte Dutzende. Demonstranten setzten Polizeifahrzeuge in Brand. Baltagiyyas prügelten auf jeden ein, den sie für einen Christen oder Protestierenden hielten. Der Blogger Hani Bushra beobachtete, wie Offiziere diesen Schlägertrupps Anweisungen erteilten.

Noch während der Kämpfe stürmte das Militär zwei Fernsehender, Al-Hurra und TV25, um die Berichterstattung zu unterbinden. Später in der Nacht kappte es den Strom- und Internetzugang der großen Tageszeitung Al-Shorouq, vermutlich um sie am Druck von Bildern der Gewalt zu hindern. Das Staatsfernsehen berichtete hingegen live auf allen Kanälen. Dort wurde behauptet, die Kopten seien mit Maschinengewehren bewaffnet gewesen. Es wurden Bilder von verwunderten Soldaten gezeigt, die schreiend erzählen, wie aus der Demonstration urplötzlich auf sie geschossen worden sei. Insbesondere der staatliche Sender Nil-TV tat sich bei der Hetze gegen die Kopten hervor – er ging soweit, die Bürger dazu aufzurufen, bewaffnet auf die Straße zu gehen, um »ihre Armee« gegen den Angriff zu verteidigen. Ob die berichte der Wahrheit entsprachen oder ob die Angreifer Trupps von baltagiyyas waren, bleibt unklar. Die ganze Nacht über zogen prügelnde Horden mit Rufen wie »Wo sind die Christen? Hier ist der Islam« und »Armee und Volk – Hand in Hand« gemeinsam mit Einheiten des Militärs durch die Kairoer Innenstadt. Baltagiyyas griffen, möglicherweise unterstützt von aufgebrachten Anwohnern, das koptische Krankenhaus an, in das die Verletzten gebracht wurden. Es gelang ihnen jedoch nicht einzudringen.
Wie beim Angriff auf die Botschaft reagierte das Militär mit einer Verschärfung der Gesetze. Ab sofort gelte in der Kairoer Innenstadt, in der Maspirostraße und im anliegenden Abbaseya zwischen zwei und sieben Uhr wieder die Ausgangssperre, verkündete der Militärrat um Mitternacht. Er kündigte an, eine Kommission zur Aufklärung der Ereignisse einzusetzen und mahnte, die Bevölkerung solle sich auf keinen Fall vom Militär trennen lassen. Premierminister Essam Sharaf machte einmal mehr »feindliche Kräfte aus dem Ausland« für die Gewalt verantwortlich. Der koptische Papst Shenouda III. schloss sich ihm in gewissem Sinne an: Fremde Elemente hätten sich unter die Kopten gemischt und das Militär angegriffen. Er rief alle Kopten auf, drei Tage lang zu beten und zu fasten, »damit wieder Frieden im Land einkehren kann«.

»Was für eine Idee«, schimpft eine Aktivistin, »fasten als Antwort auf diesen Angriff?« Von einem »Massaker« an den Protestierenden spricht schockiert auch der bekannte Blogger und Aktivist Hossam Hamalawy. Eine Aktivistin kommentiert auf Twitter: »Hier geht es nicht um Religion. Hier geht es darum, dass das Militär brutal seine eigene Bevölkerung umbringt.« Andere fragen entsetzt: »Was will das Militär bloß?« Einen Bürgerkrieg? Sicher ist, dass es für Unruhe sorgen will, um ein hartes Durchgreifen gegen Kritiker und Medien zu rechtfertigen und in der Bevölkerung den Wunsch nach der starken Hand der Armee wachzuhalten, die im allgemeinen Chaos in nachrevolutionären Zeiten für Halt sorgen kann. Womöglich strebt der Militärrat auch eine Verschiebung der Wahlen an. Sie sollen im November beginnen, doch da das Militär so lange zögerte, einen Wahltermin bekanntzugeben, ist es offensichtlich, wie schwer es sich mit diesen Wahlen tut. Es ist nicht so, dass es die Macht nicht wieder an eine zivile Regierung abgeben möchte, es sollte nur eine Regierung wie die derzeitige sein, die unter den Fittichen des Militärs steht - und die auf jeden Fall verhindern kann, dass die Wut der jugendlichen Revolutionsbewegung, die sich inzwischen offen und ungeniert gegen das Militär richtet, dessen dominante wirtschaftliche und politische Stellung im Land gefährdet.
Unter dem derzeitigen politische Personal regt sich jedoch Kritik. Finanzminister Hazem al-Beblawi trat aus Protest gegen den Militäreinsatz am Sonntag zurück. Meldungen, denen zufolge auch andere Minister ihr Amt aufgeben wollen, dementierte der Militärrat am Dienstag.
Dass das Militär den Termin für die Präsidentschaftswahl auf Ende 2012 oder 2013 hinausgeschoben hat und Tantawi sich vor kurzem zum ersten Mal in Zivil gezeigt hat, haben viele Beobachter als Indiz gewertet, dass das Militär selbst versuchen könnte, den Präsidentenposten für sich zu ergattern. Tantawi hat dies dementiert, doch nach den Straßenschlachten wurde im Staatsfernsehen auf einmal wieder darüber debattiert. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob der Wahltermin unverändert bleibt oder ob die Wahlen wegen der »Sicherheitssituation« erneut verschoben werden.