Die Wahlen in Ägypten

Wahlen ändern nix

Das Wahlspektakel in Ägypten kann nicht über den nach wie vor bestehenden Konflikt zwischen der Revolutionsbewegung und dem Militär hinwegtäuschen.

Jetzt finden sie also doch statt: Am Montag begann planmäßig die erste Runde der Parlamentswahlen in Ägypten, begleitet von zahllosen Unregelmäßigkeiten, aber von weniger Gewalt, als die Tage zuvor hatten befürchten lassen. Und doch sind sie offensichtlich nur ein Spektakel für die Massen. Denn der wirkliche Machtkampf findet zwischen der Revolutionsbewegung und dem Militär statt. Das Militär hat sich nach Mubaraks Rücktritt als der mächtigere Teil des alten Regimes erwiesen. Der Gewinner der Wahl steht bereits fest: Es werden die Muslimbrüder sein. Zwar haben diese in den vergangenen Monaten an Zustimmung in der Bevölkerung verloren, viele Mitglieder sind aus Protest über die Nähe zum Militärrat ausgetreten. Doch die Muslimbrüder werden gewinnen, weil sie von Anfang an auf ­einen Deal mit dem Militärrat gesetzt haben: bedingungslose Loyalität gegen eine hohe Anzahl an Sitzen im Parlament.
Der Militärrat wird nun alles Nötige tun, um seinen Verbündeten an die Regierung zu bringen. Die Muslimbrüder werden gewinnen, weil viele andere Kräfte – liberale, linke, unabhängige – sich längst aus Protest gegen die Gewalt aus dem Wahlprozess zurückgezogen haben. Und weil der wichtigste Teil der Revolutionsbewegung, die unorganisierten, zumeist aus armen Familien stammenden jungen Menschen, ohnehin nie auf Wahlen und Regierungsmacht gesetzt haben. Die Revolution hatte ihr Leben verändert, hatte ihnen ihre Würde und die Hoffnung auf ein besseres Leben zurückgegeben. Das wollen sie sich nicht wieder nehmen lassen. Sie trauen keinem Politiker und noch weniger dem Militär, sie haben, wie ein junger Aktivist sagt, »genug davon, belogen zu werden«. Aber die Entschlossenheit und Radikalität der jungen Protestierenden kollidiert nun mit den Institutionen, die mit denselben Methoden reagieren wie das alte Regime.
Die Wahlen sind ein Schachzug im Machtkampf zwischen Revolutionsbewegung und Militär, nicht weniger, nicht mehr. Sie können eine Rolle spielen, wenn dadurch die Muslimbrüder als Verbündete des Militärs an die Regierung kommen und es damit stärken, oder wenn ein offensichtlicher Wahlbetrug das Militär auch bei der breiten Masse der Bevölkerung in Misskredit bringt. Vielleicht spielen die Wahlen auch kaum eine Rolle – die wirkliche Konfrontation findet ohnehin auf der Straße statt. Der Militärrat hat seine Rhetorik gegen die Proteste verschärft, die Protestierenden haben angekündigt, nicht aufzugeben, bis dieser sich auflöst.
Alles spricht dafür, dass der Militärrat den Konflikt nicht noch einmal aussitzen wird wie in den vergangenen Monaten, zu unversöhnlich ist die Stimmung nach den zahllosen Toten der vergangenen Wochen. Doch die Protestbewegung ist, trotz aller Enttäuschung über den Militärrat, isoliert, die Verbindungen zu den Arbeitern, die im Februar entscheidend zum Rücktritt Mubaraks beigetragen haben, sind derzeit schwach. Der Traum einer kurzen, unblutigen, erfolgreichen Revolution ist verflogen. Der Kampf gegen die wirkliche Macht im Land, das Militär, wird weitaus schwieriger sein. Von einer Stimmung des »Märtyrertums« auf dem Tahrir-Platz hat ein Journalist geschrieben. Man möchte Ägypten wünschen, dass der Aufbruch des Tahrir-Platzes nicht in einen syrischen Herbst mündet.