Veilchen und Antifa: der Berliner Fußballverein Tennis Borussia

Schnösel spielen kein Tennis

Der Fußballverein Tennis Borussia Berlin ist außergewöhnlich: wegen seines Namens, seiner Geschichte, seiner Fans und seiner »Stadionbuletten«. Wenn da nur nicht diese Abstiegssorgen wären. Ein Besuch im Westberliner Mommsenstadion.

Die Sonne scheint zaghaft durch den bedeckten Berliner Aprilhimmel, es riecht nach Gegrilltem und aus dem Lautsprecher kommt lateinamerikanische Cumbia-Musik. Während sie die Treppen zum Charlottenburger Mommsenstadion hinaufklettert, schreit die zweijährige Marie aus voller Kehle: »Fußball, Fußball!« Mit entsprechenden Winkelementen und der Delikatesse des Hauses, einer frischen »Stadionbulette«, in den Händen machen sich auch weitere Leute auf den Weg in den Fanblock der Lila-Weißen. Das sind die Farben des legendären Vereins Tennis Borussia Berlin. Seine Geschichte ist ebenso aufregend wie wechselhaft. Gegründet wurde Tebe, wie der Verein bei seinen Anhängern schlicht heißt, im Jahr 1902, als die beiden Clubs »Kameradschaftliche Vereinigung Borussia« und die »Berliner Tennis- und Ping-Pong-Gesellschaft« fusionierten.

Im ersten Jahr nach der Gründung wurde noch Tennis gespielt, doch bald entdeckte man den Fußball als einen Sport, den man auch im Winter gut ausüben konnte. So wurde der Tennisclub zu einem Fußballverein, der in den zwanziger Jahren zu den erfolgreichsten in Berlin gehörte. Die Tatsache, dass ein Fußballverein das Wort »Tennis« im Namen trägt, sorgt auch 110 Jahre nach der Gründung noch manchmal für Verwirrung. Die Fans von Tebe machen sich daraus einen Spaß. In einem ihrer Gesänge heißt es: »Das geht über eure Vorstellungskraft: Tennis ist ’ne Fußballmannschaft.« Die Geschichte des Vereins hat jedoch auch überaus tragische Seiten. Der Machtantritt der Nazis war einschneidend für Tebe. Um einem Zwangsausschluss zuvorzukommen, verließen die jüdischen Mitglieder, die etwa ein Drittel ausmachten, den Verein. Eine Gedenktafel im Vereinsgebäude erinnert an sie. Nach dem Ende der Naziherrschaft zählte Tennis Borussia bald wieder zu den besten Mannschaften in Berlin.

In den Siebzigern spielte der Verein sogar kurzzeitig in der Bundesliga. Der größte Erfolg der letzten Dekaden kam dann Ende des vergangenen Jahrhunderts: Bis in die zweite Bundesliga schafften es die »Veilchen«, wie die Mannschaft auch genannt wird, im Jahr 1998. Den seither nicht mehr enden wollenden Abstieg und sogar die drohende Insolvenz des Vereins stehen Spieler, Fans und Funktionäre jedoch unverzagt miteinander durch. Und auch heute müssen sie einiges verkraften. Ihre Mannschaft ist häufiger in Ballbesitz, gewinnt die Zweikämpfe und beherrscht das Spiel. Doch nach nicht einmal einer halben Stunde Spielzeit kassiert Tebe an diesem Sonntag ein Tor durch Elfmeter wegen eines Handspiels, das der Schiedsrichter gesehen haben möchte. Es steht 0:1 für den TSV Rudow. Die Spieler der gegnerischen Mannschaft müssen sich alleine freuen. Der Gästeblock steht leer, obwohl er heute ausnahmsweise geöffnet wurde. Sogar ein Bierstand wurde aufgebaut. Doch Block F bleibt unbesucht, die Anhänger aus Rudow sind nämlich wieder nach Hause gefahren. Rassistischen und antisemitischen Provokationen der Rudower während des Hinspiels im vergangenen Oktober waren Angriffe auf Fans von Tebe gefolgt. Der Neuköllner Ortsteil Rudow gilt seit einigen Jahren als wichtiger Sammelpunkt für autonome Nationalisten und Neonazis. Der Verein hat bisher jede Verbindung zu Nazis dementiert. Für das Rückspiel in Charlottenburg hat die Berliner Polizei dennoch die »Gefahrenstufe zwei« ausgerufen. Das Spiel wurde als »bedingt störanfällig« eingestuft. Separate Eingänge und ein fest installierter Zaun sollten die Fangruppen trennen. Bereits am S-Bahnhof waren Polizisten in schwerer Montur postiert. Die Ankunft der Rudower Fans wurde von der Polizei überwacht. Unter ihnen befanden sich auch Mitglieder des NPD-Landesverbands und der »Freien Kräfte Neukölln«. Die gut informierten Ordner von Tebe hatten jedoch einzelne Personen schon auf dem Weg vom S-Bahnhof zum Stadion erkannt. Der Verein machte von seinem Hausrecht Gebrauch und verweigerte diesen den Einlass. Da die anderen angereisten Anhänger den Nazis die Treue hielten und das Fußballspiel nicht ohne sie ansehen wollten, begleitete die Polizei die Rudower Fangruppe noch vor dem Anpfiff zurück zur S-Bahn. Der Halbzeitpfiff ertönt.

Das ist ein guter Zeitpunkt für die erste Bratwurst des Tages. Am Grillstand tummeln sich vier Generationen von Tebe-Fans in Trainingshosen, Lodenmantel, Kostümchen oder Windel. In Westberlin ist, jedenfalls modisch, noch alles erlaubt. Die T-Shirts mit der Aufschrift »Westberliner Schnösel« gibt es im Fanshop zu kaufen. Ironisch wird damit auf das elitäre Image des Vereins angespielt. »Ein Arbeitersportverein war Tebe ja nie, aber daraus machen die auch keinen Hehl«, sagt ein Fan in der Halbzeitpause. Und als »Westberliner Schnösel« besingen sich die Anhänger des Vereins sogar gern selbst. Nicht nur dafür ist der Fanblock der Veilchen über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Sein Engagement gegen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie ist außergewöhnlich im deutschen Fußball. Banner und Fahnen mit Slogans wie »Kein Mensch ist illegal« oder »Keinen Fußballbreit dem Rassismus« zieren den Spielfeldrand. Die umtriebigen Fans des Vereins verschicken in Kooperation mit dem Projekt »Soccer Sound« des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg ein Banner an Vereine, Fußballprojekte und Fankurven in ganz Deutschland. Auf dem lilafarbenen Transparent mit dem Slogan »Fußballfans gegen Homophobie« sind zwei Fußballer abgebildet, die sich küssen. Zu sehen war das Banner bereits beim HSV, bei St. Pauli, beim Roten Stern Leipzig, beim Wiener Sportclub und auf Schalke.

Mittlerweile haben die Fans ihren Hunger gestillt und stehen wieder in ihrem Block. Und endlich entspannen sich ihre Gesichtszüge: Ein überaus gezielt geschossener Freistoß bringt den Ausgleich. Die Mannschaft von Tebe ist weiterhin überlegen, ein Führungstreffer wäre nicht nur schön, sondern auch verdient. Und nötig: Schließlich geht es auch um den Verbleib in der Berlin-Liga. Noch weiter abzusteigen, hinunter in die siebte Liga, wäre wohl selbst für die hartgesot­tenen Veilchen eine kaum hinnehmbare Schmach. Und langsam müsse man da mal aufpassen, gibt auch der Vorstandsvorsitzende Andreas Voigt zu. Doch an diesem Nachmittag passt vor allem der Schiedsrichter ganz genau auf. Nicht lange nach dem Ausgleich will er ein Foul im Strafraum von Tennis Borussia beobachtet haben. Ein Rudower Stürmer wälzt sich auf dem Rasen und reibt sein Bein. »Steh’ endlich auf, du Schissi«, ruft ein aufgebrachter Fan. Auch andere Tebe-Anhänger sind wütend: ein zweiter Strafstoß gegen ihre Mannschaft, und wieder ist die Entscheidung des Schiedsrichters fragwürdig. Der Rudower Schütze verwandelt auch den zweiten Elfmeter. Und so müssen sich die überlegenen Veilchen tatsächlich mit dem bitteren Endstand von 1:2 abfinden, obwohl sich die Mannschaft aus Rudow in den 90 Minuten keine zwingenden Chancen ­erarbeitet und nicht sicher nach vorne kombiniert hat. Den laut geäußerten Unmut über den Schiedsrichter kann Voigt zwar nachvollziehen. Doch ihn interessieren in erster Linie die spielerischen Defizite. »Rudow hat einfach aggressiver gespielt«, räumt er ein. Beim Bier im Kasino des Stadions wertet er das Spiel aus und formuliert die Prioritäten: »Jetzt konzentrieren wir uns erstmal auf den Klassenerhalt. Es stehen ja noch einige Spiele aus.«