Der Konflikt im Ostkongo

Nur die Uniformen wechseln

An der Lösung des bewaffneten Konflikts im Osten der Demokratischen Republik Kongo haben weder die beteiligten Parteien noch die »internationale Gemeinschaft« größeres Interesse.
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Kämpfe, Friedensabkommen, erneuter Konflikt: Die Kivu-Provinzen entlang der Grenze zu Ruanda in der Demokratischen Republik Kongo durchlaufen seit mehr als 15 Jahren ein immer wiederkehrendes Muster. Daran konnten weder die Stationierung Tausender Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen noch diverse Entwaffnungsprogramme für Rebellenorganisationen noch die wiederholte Finanzierung von nationalen Wahlen etwas ändern. Die internationale Diplomatie, das wird immer deutlicher, hat die Motivation verloren, sich ernsthaft mit den Konflikten im Ostkongo zu befassen. Es fehlt nicht nur an Ideen. Weder die westlichen Mächte noch die mit hohen Investitionen in anderen Regionen des Landes vertretene chinesische Regierung haben hinreichende Eigeninteressen, um sich zu engagieren. Die in der Region vorhandenen Bodenschätze gelangen immer auf den Weltmarkt, ob nun Krieg herrscht oder Frieden: Alle Konfliktparteien finanzieren sich durch die Kontrolle der Handelswege für Coltan, Zinn oder Gold. Die sozialen und politischen Probleme sollen jedoch afrikanische Regierungen lösen.

Die jüngste Eskalation der Gewalt in der Provinz Nord-Kivu begann im April. Ehemalige Rebellen, die aufgrund eines Abkommens vom 23. März 2009 in die kongolesische Armee eingetreten waren, gründeten unter Berufung auf diesen Friedensvertrag eine neue Rebellenorganisation namens M23. Ihrer Ansicht nach hielten sich Regierung und Armeeführung nicht mehr an die damaligen Abmachungen. In dem Abkommen war festgehalten worden, dass die in die Armee eingetretenen Rebellen nicht in andere Landesteile versetzt werden können. Außerdem wurde ihr Anführer, Bosco Ntaganda, zum General ernannt, obwohl er vom Internationalen Strafgerichtshof seit Jahren per Haftbefehl als Kriegsverbrecher gesucht wird. Das Abkommen hatte die Rebellen begünstigt und es ihnen erlaubt, ihre informellen Befehlsketten und die lukrative Kontrolle von Handelswegen zu behalten.

Anfang dieses Jahres versuchte die Armeeführung jedoch, die ehemaligen Rebellen in weit entfernte Teile des Landes zu verlegen. Außerdem kündigte der kongolesische Präsident Joseph Kabila indirekt an, General Ntaganda verhaften zu lassen. Daraufhin verließen die ehemaligen Rebellen die Armee, rekrutierten im kongolesisch-ruandischen Grenzgebiet neue Kämpfer und nahmen seit April große Gebiete ein. Seit Juli stehen ihre Einheiten wenige Kilometer vor Goma, der Metropole des Ostkongo. Während die verbliebenen kongolesischen Armeeeinheiten fast ohne Widerstand flohen, flogen Kampfhubschrauber der UN-Friedensmission Monusco Angriffe auf Stellungen der Rebellen, um sie vom Einmarsch in die Millionenstadt abzuhalten. Seither herrscht ein informeller Waffenstillstand.

Derweil beschuldigen sich die Regierungen des Kongo und des Nachbarlands Ruanda gegenseitig, für die Entwicklung verantwortlich zu sein. »Wir haben es mit einer ausländischen Aggression zu tun«, behauptete der kongolesische Außenminister Raymond Tshibanda in einem Fernsehinterview mit BBC vergangene Woche. Letztlich sei es die ruandische Armee, die hinter den Rebellen stehe. Bei seinen Vorwürfen berief er sich auf einen Bericht von UN-Experten, der direkte Verbindungen zwischen hochrangigen ruandischen Offiziellen und den Rebellen belegt. Seine ruandische Kollegin Louise Mushikiwabo konterte kurz darauf auf dem Nachrichtensender France 24: »Die Demokratische Republik Kongo hat die Angewohnheit, immer das Opfer zu spielen, wenn es eine Krise gibt. Nichts liegt in ihrer Verantwortung, wenn es Ärger gibt. Immer gibt es jemanden, den man beschuldigen kann.«

Hintergrund des diplomatischen Streits ist der mit der Krise verbundene Bruch der Allianz zwischen den beiden Regierungen, die seit 2008 bestand. Damals erlaubte die kongolesische Regierung der ruandischen Armee, einige Wochen lang auf kongolesischem Gebiet gegen die Kämpfer der FDLR vorzugehen, eine Nachfolgeorganisation der Milizen, die 1994 den Genozid in Ruanda organisiert hatten und anschließend in den Kongo fliehen mussten. Die Erlaubnis zum Einmarsch der ruandischen Truppen war damals für alle Beobachter überraschend, schließlich hatten sich die beiden Regime zuvor zehn Jahre lang direkt und durch die Unterstützung der jeweiligen Gegner bekämpft. Für die kongolesische Regierung bedeutete die ruandische Armeepräsenz implizit die Teilung der staatlichen Souveränität.

Vorige Woche berichteten ruandische Staatsmedien ausführlich über den Abzug der angeblich letzten ruandischen »Spezialtruppen« aus dem Kongo, die dort die FDLR bekämpft hätten. Dies kam überraschend, denn bislang hatten beide Regierungen stets bestritten, dass solche Truppen noch immer im Kongo sind. Nun hieß es aus Ruanda sogar, es habe ein »Geheimabkommen« gegeben, dass es den Ruandern erlaubt habe, kongolesische Uniformen zu tragen. Noch dazu waren diese Truppen ausgerechnet an der Frontlinie zwischen den Kämpfern der M23 und der kongolesischen Armee stationiert gewesen. Für die kongolesische Opposition verdeutlichten diese Berichte, dass ihre Regierung ein doppeltes Spiel spielt: einerseits demonstrative Feindschaft zu Ruanda, andererseits opportunistische Zusammenarbeit mit dem verfeindeten Nachbarland. Nun bezeichnet die nationalistische Opposition den Präsidenten als Landesverräter. Die Regierung Kabilas bestreitet die ruandischen Angaben, kann über die eigene politische und militärische Schwäche aber nicht hinwegtäuschen.

Obwohl die Regierung von Präsident Kabila seit 2006 über eine absolute Mehrheit im Parlament verfügt, schafft sie es nicht, die grundlegenden Probleme im Grenzgebiet anzugehen. Die kongolesische Armee ist, trotz international finanzierter jahrelanger Reformen, nicht in der Lage, ein paar hundert Rebellen in Schach zu halten. Für Offiziere und Politiker ist es lukrativer, am informellen Handel mit Bodenschätzen und Agrarerzeugnissen mitzuwirken, als Soldaten zu trainieren. Zudem müsste dem in knapp zwei Jahrzehnten Krieg entstandenen soldatischen Prekariat eine Perspektive jenseits der Rebellengruppen und der desorganisierten Armee geboten werden. Hierzu müssten der Abbau und der Export der Bodenschätze so reguliert werden, dass die Profite der Bevölkerung zugutekommen und attraktive Arbeitsplätze entstehen. Außerdem bedürfte es einer Landreform, um die vielen kleinen Konflikte zwischen einzelnen ethnischen Gruppen zu befrieden und Anreize für Investitionen in die Agrarproduktion zu schaffen. All diese Schritte werden seit Jahren diskutiert, doch die militärischen Auseinandersetzungen verhindern jeden Fortschritt.

In ihrer militärischen Not plädiert die kongolesische Regierung nun für eine Verstärkung der bestehenden UN-Blauhelmmission oder aber für die Stationierung einer zweiten, afrikanischen Eingreiftruppe. Die internationalen Soldaten sollen nicht nur die Kämpfer der M23 entwaffnen, sondern auch die ruandisch-kongolesische Grenze kontrollieren. Allerdings wollen sich angesichts der verworrenen Lage weder die Afrikanische Union noch der UN-Sicherheitsrat auf militärische Abenteuer einlassen. Derzeit gibt es wenig Bereitschaft, der kongolesischen Regierung militärisch oder auch politisch zu helfen. Die Konfliktlösung wird den Staaten der International Conference on the Great Lakes Region überlassen, einem regionalen Forum zur Beilegung von Grenzstreitigkeiten. Die Beratungen, die vorige Woche im ugandischen Kampala fortgesetzt wurden, könnten zu einem neuen Abkommen führen. Dies wäre allerdings kaum mehr als die Fortsetzung eines alten Musters.