Die Faschisierung der Gesellschaft

Die Sonne scheint nur für Griechen

Ein rechtsextremes Wählerpotential gab es in Griechenland schon lange. Die Diskreditierung der etablierten Parteien verschafft nun der neonazistischen Chrysi Avgi große Popularität.

Als Jean-Marie Le Pen, damals Vorsitzender des Front National, 1997 von der Sonntagszeitung To Vima gefragt wurde, ob es seines Erachtens in der griechischen politischen Szene Raum für eine große nationalistische Partei gebe, verneinte er dies. Es fehle der Bedarf, »weil die großen Parteien in Griechenland, einschließlich der KP, nationalistisch genug sind«.
15 Jahre später sind die etablierten großen Parteien noch immer nationalistisch, aber vielen Griechen und Griechinnen nicht mehr nationalistisch genug. Die Diskreditierung dieser Parteien im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise hat den Neonazis einen unvorhersehbaren Aufschwung verschafft. Noch bei den Parlamentswahlen im Jahr 2009 erhielt die Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) nur 0,29 Prozent der Stimmen, bei den letzten Wahlen im Juni waren es bereits sieben Prozent, und die Partei wird immer populärer. Manchen Umfragen zufolge könnte sie bei den nächsten Wahlen sogar zur drittstärksten Kraft nach der Nea Dimokratia und Syriza werden.
In Zeiten der ideologischen Unklarheit, in denen unzählige Menschen ihre Existenzgrundlage verloren haben oder gefährdet sehen, wünschen sich viele Hilfen im Alltag, vor allem aber leicht erkennbare Feinde, an denen sie sich abreagieren können. Da haben die Neonazis eine Lösung anzubieten. Ausländer werden nach althergebrachtem Rezept zu den Schuldigen für alle Übel erklärt und von Schlägern der Partei überfallen, gleichzeitig gibt es soziale Angebote für Arme – aber nur, wenn sie im Besitz des hellblauen griechischen Personalausweises sind. Ähnlich wie die Hamas wollen die griechischen Nazis die Verelendeten und die von Armut Bedrohten mit einer Mischung aus Sozialfürsorge und demonstra­tiver Gewalttätigkeit gewinnen.
Besondere Besorgnis erregt die Tatsache, dass die Neonazis offenbar in dem festen Glauben leben, sie seien nun unbesiegbar geworden. Migrantische Gegengewalt gibt es kaum, und die antifaschistische Szene wird mit dem rasanten Anstieg rechtsextremer Gewaltaten nicht fertig. Die Chrysi Avgi gibt sich sogar den Anschein, dass sie die staatliche Gewalt offen herausfordern kann. Politologen haben anhand der sehr hohen Ergebnisse, die die Chrysi Avgi in Wahllokalen in der Nähe von Polizeidirektionen erzielte, errechnet, dass jeder zweite Polizist für die neonazistische Partei gestimmt habe. Die für ihren Rassismus berüchtigte griechische Polizei kann jedenfalls kaum als entschiedener Gegner der Neonazis gelten. Die alte Anarchisten-Parole »Bullen, TV, Chrysi Avgi – alle Bastarde arbeiten zusammen« bewahrheitet sich einmal mehr. Immerhin klingt es sehr eindrucksvoll für die Anhängerschaft, wenn ihr Anführer Nikos Michaloliakos, seit den sechziger Jahren ein Idol der Rechtsextremen, auf die An­kün­digung des selbst rechtskonservativen Ministers für öffentliche Ordnung, Nikos Dendias, er wolle die griechischen »Sturmabteilungen« bekämpfen, mit einer Drohung antwortet: »Wir sind die Sturmabteilungen. Und wir warten auf euch!«

Kein Tag vergeht ohne neonazistische Übergriffe, Angriffe in der Nacht ebenso wie bewusst in der Öffentlichkeit inszenierte Gewalttaten. So »kon­trollierten« die Neonazis Anfang September migrantische Kleinhändler auf den Flohmärkten des Athener Vororts Rafina und der westgriechischen Stadt Mesolongi. Anschließend wurden die Stände derjenigen zerstört, die keine Lizenz hatten. Alles geschah am hellichten Tag, die Schläger wurden von Parlamentsabgeordneten und Kameraleuten begleitet. Bei anderen Angriffen wurde unter anderem der Friseursalon eines Pakistanis angezündet. Das Feuer wurde schnell gelöscht, doch ein griechischer Kunde, der sich zur Wehr setzte, wurde mit Messerstichen verletzt. Aus der Stadt Kalamata auf dem Peloponnes wurden alle Migranten vertrieben, die an Straßenkreuzungen gegen Kleingeld die Autoscheiben wischten. Auf der Website der Chrysi Avgi triumphierten die Neonazis: »Die Ampeln von Kalamata sind ab heute sauber!« In der gleichen Stadt versuchten etwa 30 Neonazis, ein von Migranten aus Bangladesh bewohntes Haus anzuzünden. Die alarmierte Polizei nahm fünf Migranten fest und ließ die Täter unbehelligt.
Doch die Partei setzt nicht allein auf Gewalt, sondern auch auf Sozialpopulismus, sie verteilt auf zentralen Plätzen Nahrungsmittel – die selbstverständlich von griechischen Herstellern stammen – an Griechen und organisiert Blutspenden, die allein für Griechen verwendet werden sollen. Diese Doppelstrategie ist nicht neu, schon vor den Wahlen hatte Chrysi Avgi die Rolle des braunen Helfers in der Not übernommen. Hatte ein migrantischer Mieter seine Miete nicht rechtzeitig bezahlt, konnte man in der Parteizentrale um Hilfe bitten. Wenig später hatte der Vermieter die Schlüssel seiner geräumten Wohnung in der Hand. Visitenkarten wurden verteilt, die Parteimitglieder bekundeten die Bereitschaft, ihren Landsleuten in jeder Hinsicht zu helfen.
Der kleinbürgerliche Grieche hat endlich, was er immer wollte: eine Gruppe, die ohne Hemmungen und Rücksicht auf Gesetze mit Messern und Schlagstöcken Erfolg hat, wo der Staatsapparat versagt. Eine Frau erklärte stolz, dass sich die Auszahlung ihrer Rente nicht wie üblich verspätete, weil ein militanter Neonazi den zuständigen Beamten bedroht hatte. Ein Schuldirektor teilte den Eltern mit, er werde sich an die Chrysi Avgi wenden, um mit den Problemen bei der Renovierung des Schulgebäudes fertig zu werden.

Die Popularität der Chrysi Avgi hat historische Wurzeln. Ein faschistoides Wählerpotential war immer vorhanden, doch stimmten die Rechtsextremisten für die etablierten Parteien, von deren Klientelpolitik sie profitieren wollten. Unter der Herrschaft der Militärjunta (1967 bis 1974) stand die Mehrheit der Bevölkerung entweder auf Seiten der Generäle oder schwieg angesichts der Verfolgung und der Folterung von Kommunisten. Heute mögen die Migranten die Kommunisten als Feindbild ersetzt haben, aber auf der Führungsebene herrscht Kontinuität. Die Vorstandsmitglieder gehörten immer schon zum nationalistischen Lager, sie waren Kollaborateure der Nazis während der deutschen Besatzung und Kommunistenjäger im anschließenden Bürgerkrieg, später wurden sie Mitarbeiter der Junta. Ihre Wähler sind von den etablierten Parteien und den Regierungen der vergangenen 40 Jahre enttäuschte Nationalisten voller Ressentiments.

Die spektakulären Überfälle der letzten Zeit haben die Regierung veranlasst – oder gezwungen – einige Maßnahmen gegen die rechtsextreme Gewalt zu ergreifen. Es wird gegen drei Abgeordnete ermittelt, ein Polizeikommissar wurde entlassen, weil er jegliches Eingreifen bei einem neonazistischen Angriff unterlassen hatte, und die mit dem Schutz von Abgeordneten der Chrysi Avgi beauftragten Polizisten wurden zurückgezogen, weil sie bei Straftaten dabei sein mussten. Die Regierung versäumte es jedoch nicht, einmal mehr zu betonen, dass rechter und linker Extremismus gleichermaßen gefährlich seien. Am 10. September wurde ein von Anarchistinnen und Anarchisten besetztes Haus in Thessaloniki auf Befehl des Ministerpräsidenten Antonis Samaras geräumt. Ein Video, das den Einsatz dokumentiert, wurde sogar auf der Website der Polizei präsentiert.
Die Botschaft hat der zuständige Minister Nikos Dendias klar ausgesprochen: keine Toleranz. Weder für Neonazis, die bewaffnete Überfälle begehen, noch für Linke, die sich am falschen Ort aufhalten. Dass er und seine Regierung den rechtsex­tremen Terror ernsthaft bekämpfen werden, kann man ungeachtet der jüngsten Ankündigungen nicht erwarten, aber auch die griechische Linke scheint dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein.