Eine Ausstellung in Sachsen über den Verfassungsschutz

Sachsens neuer Betroffenheitsperformer

Beim sächsischen Verfassungsschutz reiht sich eine Panne an die andere. Der neue Leiter der Behörde sieht derweil seine Hauptaufgabe darin, Reklame zu machen.

»In guter Verfassung« heißt eine Ausstellung des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, die im Dezember für ein paar Tage im Leipziger Rathaus gastierte. Bürgerrechtler und Antifaschisten hielten diesen Titel für einen schlechten Scherz. Ausgestattet mit Schlapphüten, Augenklappen und lärmendem Reißwolf trieben sie – zum Teil versteckt hinter Zeitungen, die mit Gucklöchern versehen waren – diese Groteske während einer Podiumsdiskussion zur Ausstellung auf die Spitze.
Es war der neue Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes selbst, Gordian Meyer-Plath, der daraufhin »mehr Ernsthaftigkeit« forderte. Er war als Podiumsgast nach Leipzig gekommen, um über, wie er meinte, eines der größten Probleme im Zusammenhang mit dem Geheimdienst zu sprechen: das verbreitete Unwissen über die Behörde. Meyer-Plath wurde erst im August nach Sachsen gerufen, um die Interimsnachfolge von Reinhard Boos anzutreten. Der hatte seinen Posten im Juli räumen müssen, als zufällig Akten des sächsischen Verfassungsschutzes zum neonazistischen Netzwerk »Blood & Honour« auftauchten, die angeblich längst hätten vernichtet werden müssen. Das galt der sächsischen Regierung einerseits als Ärgernis – hatte sie doch immer beteuert, alle Akten an die zuständigen Gremien und Behörden geleitet zu haben – und anderseits als »eklatantes Fehlverhalten«, wie sich der sächsische Innenminister Markus Ulbig damals ausdrückte, das als Dienstvergehen geahndet werden sollte und Boos zum Rücktritt zwang.

Nach einer parlamentarischen Anfrage der Grünen stellte sich Ende November jedoch heraus, dass es dieses sogenannte Dienstvergehen nicht gegeben hat und die Gründe für den Wechsel an der Spitze des sächsischen Verfassungsschutzes folglich unklar sind. Was zu Spekulationen anregt: »Hat Boos die letzte Ausfahrt genommen, um angesichts weiterer, noch unbekannter Pannen, Versäumnisse und Skandale halbwegs glimpflich aus der NSU-Affäre zu entkommen? War der sächsische Verfassungsschutz doch tiefer in das Umfeld des NSU eingedrungen als bisher angenommen?« fragt der Abgeordnete Johannes Lichdi (Grüne) in einer Pressemitteilung.
Eine Antwort ist auch von Meyer-Plath nicht zu erwarten. Obwohl er aus Brandenburg geholt wurde, um »verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen«, wie Ulbig erklärte: »Was er im Besonderen auch kann, ist, zu kommunizieren.« Mit freundlichem Gesicht und nettem Lächeln stünde Meyer-Plath als Vizepräsident des Brandenburger Verfassungsschutzes für eine »Politik der Öffnung«, meint der Tagesspiegel. Bei seinem Amtsantritt in Sachsen hatte er mehr »Transparenz« versprochen, auch beim Thema NSU. Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und vierzehn Banküberfälle sollen die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zwischen 1998 und 2011 in ganz Deutschland begangen haben. Nach einem mutmaßlichen Raubüberfall in Chemnitz tauchten Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos 1998 unter und lebten jahrelang unerkannt im sächsischen Zwickau. Die sächsischen Sicherheitsbehörden wollen von der Existenz des Neonazi-Trios nichts gewusst haben.
Fast ein Dreivierteljahr lang gibt es dazu nun auch in Sachsen einen Untersuchungsausschuss, der bis heute nicht ansatzweise eine Antwort auf die drängendsten Fragen hat: Warum hat das Landesamt für Verfassungsschutz Hinweise ignoriert, denen zufolge ein Rechtsextremist aus dem Umfeld der sächsischen »Blood & Honour«-Szene die drei Flüchtigen mit Waffen versorgen wollte? Erhielt Zschäpe wirklich etwa 20 Anrufe vom sächsischen Innenministerium, nachdem sie die Wohnung in Zwickau in Brand gesetzt hatte, wie es in Medienberichten hieß? Warum wurden, wie die Staatsregierung bestätigen musste, ab dem 4. November 2011, also seit Bekanntwerden des NSU, bis zum 19. Juli 2012 insgesamt 5 000 Aktenstücke aus dem Bereich Rechtsextremismus vernichtet? Und wie kann eine Behörde bis heute behaupten, von all dem nichts gewusst zu haben, während Akten des sächsischen Verfassungsschutzes auftauchen, die, wie die Zeitung Die Welt im Oktober berichtete, belegen sollen, dass im Rahmen der Operation »Terzett« von 2000 bis November 2010 Abhörmaßnahmen gegen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt liefen?
Meyer-Plath hat seit seinem Amtsantritt nichts zur Klärung dieser Fragen beigetragen. Nachfragen und Zwischenrufe aus dem Publikum während der Podiumsdiskussion in Leipzig wies er als »verletzend« und »verleumderisch« zurück. Auch die Ausstellung »In guter Verfassung« verliert sich in allgemeinen Phrasen darüber, dass der Verfassungsschutz ein »Frühwarnsystem« zum Schutz der Verfassungsprinzipien sei und so weiter. Der NSU-Terror wird indes mit keiner Silbe erwähnt. Als Imagekampagne steht sie symbolisch für die notorische gezielte Desinformation der Behörden, die bundesweit unter dem Schlagwort »Aufklärung« über die Arbeit des Verfassungsschutzes firmiert und gegenwärtig vor allem das Ziel hat, die Akzeptanz in der Öffentlichkeit wiederherzustellen. »Prävention und Aufklärung« sollen im Rahmen der »Reform des Verfassungsschutzes«, wie sie Anfang Dezember auf der Innenministerkonferenz in Rostock beschlossen wurde, noch verstärkt werden. Die Erstellung einer gemeinsamen Datei hier und ein bisschen Koordination da sind keine »Reform«. Dass die Verfassungsschutzämter von der Innenministerkonferenz noch einmal den Auftrag bekommen haben, verstärkt bildungspolitisch tätig zu werden, verdeutlicht den vorherrschenden politischen Restaurationswillen.

Die Verfassungsschutzämter werden künftig noch mehr in Schulen und Jugendzentren auftreten, Kommunen, Institutionen und andere Behörden »beraten« und auf Diskussionsveranstaltungen ihre Sicht der Dinge vermitteln. Was als Aufklärung und Prävention daherkommt, ist tatsächlich nichts anderes als eine PR-Kampagne. Dafür sind Personen wie Meyer-Plath genau die Richtigen, nicht zuletzt auch deshalb, weil die von ihm aufgeführte Betroffenheitsperformance, wenn es um den NSU geht, eine der glaubwürdigsten ist, die man von einem der Verantwortlichen in Sachsen bisher zu sehen bekommen hat. Mit Aufklärung im eigentlichen Wortsinn hat das aber wenig zu tun.
Spätestens seit der Innenministerkonferenz ist die Forderung nach der Auflösung der Verfassungsschutzämter Geschichte und selbst bei denen vergessen, die sie formuliert haben. Die den Grünen nahestehende Stiftung »Weiterdenken«, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Amadeu-Antonio-Stiftung und der Deutsche Gewerkschaftsbund laden für Anfang Februar zu einer Tagung nach Dresden, um über die »Perspektiven des Verfassungsschutzes« zu diskutieren. Meyer-Plath wird auf dem Eröffnungspodium sitzen und wahrscheinlich das PR-Mantra seiner Amtszeit in Sachsen wiederholen: Von »Offenheit« wird die Rede sein. »Prävention« sei die wichtigste Aufgabe des Verfassungsschutzes, aber geheimdienstliche Mittel und V-Leute blieben unverzichtbar.