Über einen Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum in Buenos Aires vor 20 Jahren

Cristina Kirchners Kommission

Um die Ermittlungen nach den Urhebern des Anschlags auf das jüdische Kulturzentrum im Jahr 1994 in Buenos Aires voranzubringen, hat die argentinische Regierung die Einrichtung einer sogenannten Wahrheitskommission vereinbart – ausgerechnet mit dem Iran.

Die Calle Pasteur führt mitten durch das kleine Zentrum von Buenos Aires. Eingerahmt von kleinen Geschäften, Cafés und Restaurants findet sich im Haus mit der Nummer 633 die Asociación Mutual Israelita Argentina (Amia). Es ist das größte jüdische Kulturzentrum in Argentinien, die jüdische Gemeinde des Landes ist die fünftgrößte weltweit und die größte Lateinamerikas. Die Bombe, die am Morgen des 18. Juli 1994 vor dem Gebäude explodierte, war aller Wahrscheinlichkeit nach in einem Auto versteckt und wurde möglicherweise von einem Selbstmordattentäter gezündet. 85 Menschen fielen dem Anschlag zum Opfer, 67 von ihnen befanden sich in der Amia, 300 Personen wurden verletzt.
Nach dem Attentat wurde in diverse Richtungen ermittelt. Verschiedene Spuren führten in den Iran und nach Syrien. Der zunächst zuständige Richter, Juan José Galeano, wollte eine Verbindung zur lokalen Polizei ausgemacht haben, wurde im Jahr 2005 jedoch seines Amts enthoben und selbst wegen Verschleppung des Verfahrens und Vernichtung relevanter Beweise angeklagt, während die von ihm Verdächtigten für unschuldig befunden wurden. Eine andere Hypothese vertritt der leitende Staatsanwalt, Alberto Nisman. Mit Unterstützung Israels und der USA kam er zu dem Schluss, dass es sich bei dem Anschlag um ein Selbstmordattentat des libanesischen Hizbollah-Kämpfers Ibrahim Hussein Berro gehandelt habe. Maßgebliche Unterstützung soll er aus dem Iran erhalten haben. Als Motiv zieht Nisman einen geplatzten Deal über eine Lieferung argen­tinischer Nukleartechnik an den Iran in Betracht. Für diese Vermutung hat er viel Kritik geerntet. Dennoch erhoben die argentinischen Ermittler im Jahr 2006, drei Jahre nach dem Regierungsantritt Néstor Kirchners, offiziell Anklage. Unter den acht Beschuldigten befindet sich mit dem iranischen Verteidigungsminister Ahmad Vahidi auch ein hoher Funktionär des gegenwärtigen Regimes. Trotz der kurz darauf von Interpol ausgesprochenen Red Notification, die einem interna­tionalen Haftbefehl ähnelt, wurde bislang niemand für das Attentat zur Verantwortung gezogen. Die Aufklärung des Falls ist seither nicht vorangekommen.

Geht es nach der gegenwärtigen Präsidentin Argentiniens, Cristina Fernández de Kirchner, soll sich das nun ändern. Ende Januar gab die Regierung bekannt, ein bilaterales Abkommen über die Einrichtung einer sogenannten Wahrheitskommission abgeschlossen zu haben – ausgerechnet mit dem Iran. Nach dem Willen beider Regierungen sollen fünf unabhängige Richter sowie zwei weitere, international anerkannte Rechtsspezialisten, die aus keinem der beiden Länder stammen dürfen, von nun an die Ermittlungen leiten. Die zunächst von der Amia und Angehörigenorganisationen geäußerte Zustimmung ist mittlerweile scharfer Kritik gewichen. In einer Stellungnahme warnte die Amia vor der Aufnahme von Beziehungen mit iranischen Behörden, da diese in den vergangenen 18 Jahren zu keinem Zeitpunkt Kooperationswillen gezeigt, sondern die Ermittlungen behindert hätten. Die Arbeit der Wahrheitskommission führe mit der Beteiligung des Iran nicht zur Lösung, sondern der Auflösung des Falles wie auch der interna­tionalen Auslieferungsanträge. »Das Abkommen«, so meint Guillermo Borger, Präsident der Amia, »wird von einigen als Schritt nach vorn betrachtet. Es ist allerdings ein Schritt in den Abgrund.« Der Präsident des American Jewish Committee, David Harris, sagte dem Miami Herald: »Das ist, als würde man Nazideutschland um Hilfe bei der Aufklärung der Verbrechen der Kristallnacht bitten.« Trotz des wachsenden Drucks will die argentinische Regierung an dem Vorhaben festhalten. Außenminister Héctor Timerman versicherte, dass der iranische Verteidigungsminister ­Vahidi anwesend sein werde, wenn der Richter die sechs verdächtigen Iraner vernimmt, und alles zur Aufklärung Nötige beitragen werde.
Kurz nach Timermans beschwichtigenden Äußerungen bezeichnete Ramin Mehmanparast, Sprecher des iranischen Außenministeriums, die Aussagen des Argentiniers als dreiste Lüge. In einem Artikel der staatlichen Nachrichtenagentur Irna sagte Außenminister Ali Akbar Salehi: »Wie es scheint, verbreiten diejenigen der­artige Meldungen, denen das Abkommen nicht genehm ist.« Und weiter suggerierte er, dass is­raelische Einheiten hinter den damaligen Anschlägen stecken würden. Ihr Ziel sei es gewesen, ihren Einfluss auf den damaligen Präsidenten Carlos Menem auszubauen. Die Position des iranischen Außenministeriums bezieht sich, jenseits ihrer Polemik, auf eine Nuance im Text der Abmachung. Dort ist nicht, wie im Zitat von Timerman, von »Vernehmungen«, sondern lediglich von »Befragungen« die Rede.
Möglich, dass Fernández de Kirchner wirklich glaubt, den Fall neu untersuchen und aufklären zu können. Möglich ist aber auch, dass politisches Kalkül dahintersteckt. Die argentinische Wirtschaft befindet sich in der schwersten Krise seit dem Staatsbankrott 2001. Die Inflation, von der Regierung mit knapp zehn Prozent angegeben, dürfte sich mittlerweile auf über 20 Prozent belaufen. Um dem Verfall der Währung etwas entgegenzusetzen, einigte sich die Regierung Anfang Februar mit den großen Supermarktketten des Landes darauf, bis zum 1. April die Preise einzufrieren. Die Gewerkschaften vermuten ein taktisches Manöver dahinter, entspricht doch die Zeitspanne genau der Periode der Lohnverhandlungen. Offenbar sollen die Preise halbwegs stabil bleiben, um den Beschäftigten, die Lohnerhöhungen fordern, nicht noch weitere Argumente zu liefern. Vorige Woche scheiterten bereits die Verhandlungen zwischen der Regierung und den Lehrergewerkschaften. Daraufhin legte die Staatsführung, wie im vergangenen Jahr, eine Erhöhung um 22 Prozent fest. Die Lehrer hatten mindestens 30 Prozent gefordert.
Überdies steht das Land wegen Forderungen ausländischer Gläubiger stark unter Druck. Während der Krise im Jahr 2001 hatten diese Staatsanleihen verbilligt erworben und verlangen nun 1,3 Milliarden Dollar zurück. Nachdem ein New Yorker Gericht die Forderung Ende vergangenen Jahres bestätigt hat, ist für März die Berufungsverhandlung angesetzt. Sollte Argentinien seine Schulden begleichen müssen, könnte dies zum nächsten Bankrott führen.

Möglicherweise braucht Argentinien dann neue Bündnispartner. Mit knapp 1,5 Prozent Exportanteil bleibt der Iran zwar ein eher unwichtiger Partner Argentiniens. Als die argentinische Justiz vor acht Jahren wegen des Attentats Anklage gegen iranischen Funktionäre erhob, sanken die Exporte fast auf Null. Seit dem Amtsantritt von Cristina Fernández de Kirchner im Jahr 2007 haben sich die Ausfuhren von 339 Millionen Dollar auf 1,1 Milliarden im Jahr 2011 verdreifacht. Bereits im März 2011 hatte es Gerüchte gegeben, Timerman habe dem Iran angeboten, gegen eine Aufstockung der ökonomischen Beziehungen die Amia-Ermittlungen einzustellen. Das argentinische Magazin Perfil zitierte Salehi damals folgendermaßen: »Argentinien hat keinerlei Interesse mehr daran, die beiden Attentate aufzuklären, sondern vielmehr seine ökonomischen Beziehungen zum Iran zu vertiefen.«
Dennoch gibt es auch innerhalb der jüdischen Gemeinden optimistischere Positionen. Der Jungle World sagte Gustavo Efron, der Chefredakteur der linkszionistischen Wochenzeitung Nueva Sion: »Trotz aller Bedenken gibt es einen winzigen Hoffnungsschimmer, dass sich ein neuer, unvorhergesehener Weg öffnen könnte.«