Rio de Janeiro: Eine Stadt im Wandel

Bilder einer Stadt

Rio de Janeiro bereitet sich auf große Sportveranstaltungen vor und wird komplett umgebaut. Wie die Realität hinter der Inszenierung der spektakulären Bauprojekte aussieht, zeigen die Fotografinnen und Fotografen der Bildagentur Imagens do Povo.

Tränengas, Transparente und Federkronen. Das alles war zu sehen bei der gewaltsamen Räumung des Museu do Índio, direkt neben dem Maracanã-Stadion, Anfang dieses Jahres. Die Räumung des besetzten Museums und die Proteste dagegen hatten weltweit für Aufsehen gesorgt (Jungle World 6/13). Zur Wiedereröffnung von Brasiliens Fußballtempel nach der Renovierung Ende April wollte kaum noch jemand darüber berichten. Nur am Rande war von rund 200 »Unruhestiftern« zu lesen, die das Spiel einiger berühmter Fußballfrührentner störten. Die Sympathie mit den Indigenen und deren Forderung nach einem selbstbestimmten Wohnort und einer eigenen Kulturstätte hat eben doch ihre Grenzen, in diesem Fall sind sie identisch mit zwei Torauslinien.
Die Besetzerinnen und Besetzer des Museums, die das Angebot der Stadtverwaltung angenommen haben, sind auf ein Gelände im Stadtteil Jacarepaguá umgesiedelt worden. An diesem Ort im Westen von Rio, gut 30 Kilometer vom Maracanã entfernt, wird sich das Kunsthandwerk an sportbegeisterte Touristen, die 2014 zur Herrenfußball-WM und 2016 zu den Olympischen Spielen die Stadt besuchen werden, kaum verkaufen lassen.
Weitere Tausende Bewohnerinnen und Bewohner anderer Stadtviertel sind im Zuge der Vorbereitungen für die beiden Sportereignisse zum Objekt ambitionierter Stadtentwicklungsprogramme geworden. Eine Studie des »Comitê Popular Rio Copa e Olimpíadas« (Bürgerkommitee WM und Olympia, CPCO) besagt, dass alle enteigneten Bewohnerinnen und Bewohner in ein 40 Kilometer entferntes soziales Wohnprojekt umgesiedelt werden sollen, obwohl die lokale Gesetzgebung in solchen Fällen eigentlich die Suche von Alternativen in der Nähe des vorherigen Wohnorts vorschreibt.

Doch dieser Gesetzesbruch sei bewusst in Kauf genommen worden, meinen Vertreter des CPCO, um die Armen aus allen Gegenden zu vertreiben, die von der Stadtverwaltung als gut bewertet werden und für die daher öffentliche Investitionen geplant sind. Wer bleibt, wird von den Unidade de Polícia Pacificadora (polizeilichen Befriedungseinheiten, UPP) diszipliniert. Die 33. Unidade wird bald in den kürzlich militärisch besetzten Favelas Cerro-Corá, Guararapes und Vila Cándido errichtet. Bürgermeister Eduardo Paes verkündete, dass damit »praktisch alle Favelas« der touristischen Südzone von Rio de Janeiro »befriedet« seien.
»Rio erfindet sich neu, die Investitionen vervielfältigen sich«, heißt es in der Sonderausgabe des Brettspiels »Monopoly«, das die Stadtverwaltung gerne sogar als Lehrmittel in Schulen eingeführt hätte. Angepriesen werden darin die umstrittene Bau-, Wohn- und Überwachungspolitik, etwa die Errichtung des bereits 2010 eingeweihten »Operationszentrums Rio« – einer stabsmäßig organisierten städtischen Überwachungszentrale –, die Einführung von UPP-Einheiten sowie das »Revitalisierungsprogramm« Porto Maravilha. Dieser im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft entstehende »wunderbare Hafen« umfasst vier Stadtviertel, die von der Stadtverwaltung jahrzehntelang kaum beachtet wurden und in denen nun im Rekordtempo Bürotürme, Wohneinheiten, Fahrradwege und Museen entstehen sollen.

Die Bilder dieser großen Investitionsprojekte ähneln sich, sie sind in Zeitungen und als großflächige Computergraphiken direkt auf den Bauzäunen zu finden. Mit Blick auf die Favelas wird derweil vor und nach den urbanen Schönheitskuren und Polizeieinsätzen auch Tristesse inszeniert. Heute zeigen die Medien einen Bürgersteig voller Crack-Junkies, morgen wird an der gleichen Stelle nur noch eine Polizeipatrouille zu sehen sein. Gern reproduziert wird auch das ewig gleiche Bild winkender Kinder, die eine Runde im Einsatzwagen der Militärpolizei mitfahren dürfen.
Dass diese Repräsentationen die anderen Bilder von Rio dennoch nicht gänzlich ersetzen, ist unter anderem der Agentur Imagens do Povo (Bilder des Volkes, IP) zu verdanken. Die Gruppe ist weitaus mehr als eine alternative Bildagentur. In Maré, einem Gebiet im Norden Rios, das 16 Favelas umfasst, haben Mitwirkende der Initiative in den vergangenen neun Jahren mehr als 260 Fotografinnen und Fotografen ausgebildet und bieten eine professionelle Bilddatenbank im Internet. Die dort festgehaltenen Blicke auf den urbanen Alltag von Rio finden Beachtung, und ausgestellt wird nicht nur in der eigenen »Galerie 535« in Maré, sondern auch in bekannten Museen, wie derzeit im Museum für Zeitgenössische Kunst in Rios Zwillingsstadt Niterói.
Auch wenn es nicht das Ziel von IP ist, Nachrichten zu bebildern, setzen sich die meisten ihrer Fotografinnen und Fotografen mit dem Umbau der Stadt auseinander. Zu nah und allgegenwärtig sind die Veränderungen, und vieles deutet darauf hin, dass auch Maré militärisch besetzt und »befriedet« werden könnte. Solche Pläne allein durch die Sportereignisse zu erklären, greife jedoch zu kurz, sagen die Mitarbeitenden von IP. Gewaltsame Verdrängungsprozesse seien schon immer Teil der Geschichte Rios gewesen und würden derzeit allenfalls eine Beschleunigung erfahren.
Ihre Bilder stellen beispielsweise die Nützlichkeit der 2009 als große Innovation gefeierten Seilbahn in der Favela Complexo do Alemão ebenso in Zweifel wie die einer sich derzeit noch im Bau befindlichen weiteren Strecke auf dem Morro da Providência in der Hafenregion. Gezeigt werden die Häuser, die mit besonderen Zeichen für den Abriss markiert sind. Diese Bilder sind Momentaufnahmen, die eine Politik der systematischen Verdrängung dokumentieren, etwa im Stadteil Manguinhos, wo durch die punktuelle Zerstörung von Infrastruktur und Wohnraum der Widerstand der Bewohner mürbe gemacht werden soll.

Die Fotografinnen und Fotografen von IP versuchen, die Repression gegen selbstorganisiertes Leben zu dokumentieren, und zeigen, wie alternative Stadtentwicklungspläne ignoriert werden. Es sind Szenen von Konflikten in den barrios, visuelle Interventionen, die echte und symbolische Gewalt sichtbar machen und zugleich die inszenierten Favela-Klischees demontieren.

Wir zeigen eine Auswahl mit Kommentaren der Fotografinnen und Fotografen.