Zum 50. Jubiläum der Afrikanischen Union

Bob Marley schaffte es besser

Am Samstag hat die Feier zum 50. Jubiläum der Afrikanischen Union in deren Hauptsitz in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, stattgefunden. Im Alltag der meisten Afrikanerinnen und Afrikaner hat die Organisation aber wenig Bedeutung.

Es wäre eine Chance für die Afrikanische Union (AU) gewesen, ihren politischen Einfluss zu stärken. Doch die Kontinentalorganisation ließ sie wieder einmal ungenutzt verstreichen. Als Rebellengruppen aus Islamisten und aufständischen Tuareg sich im Januar auf den Weg machten, um die Hauptstadt Malis, Bamako, einzunehmen, waren es nicht Truppen der AU, sondern der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, die den Vormarsch der Aufständischen militärisch zurückschlagen.
Die AU, die 2002 als Nachfolgeorganisation der seit 1963 existierenden Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) in Durban, Südafrika, gegründet wurde, sollte vieles besser machen als ihre Vorgängerin. Die einheitliche Repräsentation des Kontinents auf internationaler Ebene, die Verbesserung der Lebensbedingungen in Afrika, die Sorge für Sicherheit und Frieden sollten nicht mehr durch die Souveränitäts- und Nichteinmischungsdoktrin sowie die unterschiedlichen politischen Interessen der Mitglieder blockiert werden. 53 Länder – alle Länder Afrikas mit Ausnahme Marokkos – gehören der AU an.

Doch bisher ist die Liste der Fehlschläge und Versäumnisse der AU weit länger als die ihrer Leistungen. Die Organisation, die über ein Parlament, eine Kommission und einen Exekutivrat verfügt, sah im Darfur-Krieg im Sudan seit 2003 untätig zu, wie mit der Regierung verbündete Banden die Bevölkerung im Westen des Landes massakrierten. Erst 2007 wurde eine gemeinsame Truppe der Vereinten Nationen (UN) und der AU mandatiert, die heute UNAMID heißt. Inzwischen ist der Sudan in Norden und Süden geteilt, im Norden regiert weiterhin der Islamist Omar al-Bashir. Der Nordsudan ist natürlich auch Mitglied der AU, während der Internationale Gerichtshof in Den Haag gegen al-Bashir einen Haftbefehl ausgestellt hat.
Auch Joseph Kabila, der Präsident der Demokratischen Republik Kongo (DRC), braucht keine kritischen Stimmen seiner Kollegen in der Kommission der AU zu fürchten. Im fortwährenden Krieg im Osten der DRC ist die Stimme der AU überhaupt nicht zu vernehmen. Drei Länder, drei Konflikte – zu allen schweigt die Kontinentalorganisation. Dabei sollte der offensivere Umgang mit Konflikten sie am deutlichsten von der Vorgängerorganisation OAU unterscheiden.
Optimisten weisen derweil auf die angeblichen Erfolge der AU im Bereich der Friedenssicherung hin. In Somalia, das seit dem Sturz Siad Barres 1990 in drei Teile und im Süden des Landes in verschiedene Einflusszonen von Warlords und Islamisten zerfallen ist, ist die AU mit insgesamt 17 000 Soldaten präsent, die vor allem aus Kenia, Uganda und Burundi kommen. Dem dortigen Krieg konnte dennoch bisher kein Einhalt geboten werden. Das liegt auch daran, dass am fragwürdigen Konzept einer Übergangsregierung festgehalten wird, die keinen wirklichen Rückhalt in der Bevölkerung genießt.
Die größten Schwächen der AU sind nach wie vor ihre Unterfinanzierung, die ungenügende personelle Ausstattung und fehlende realistische Zielvorgaben. Internationale Geber, allen voran die Europäische Union und deren Mitgliedsstaaten sowie China, unterstützen die AU finanziell, ohne diese Hilfen wäre sie nicht überlebensfähig. Deutschland engagiert sich besonders im sogenannten Konfliktmanagement und über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammen­arbeit (GIZ) bei der Festlegung von umstrittenen Grenzverläufen zwischen Ländern Afrikas.

Anlässe zum Feiern, liegen mittlerweile weit in der Vergangenheit. So hatte die OAU ihre größten Erfolge im Kampf gegen die weiße Siedlerherrschaft in Zimbabwe (vor 1980 Südrhodesien) und gegen die Apartheid in Südafrika zu verzeichnen. Auch die Befreiung der portugiesischen Kolonien Angola, Mosambik und Guinea-Bissau unterstützte sie logistisch, ideologisch und finanziell. Der Kampf gegen die weiße Vorherrschaft war das einigende Element, das die jungen Radikalen wie Kwame Nkrumah (Ghana) und Sekou Touré (Guinea-Conakry) mit den konservativen Machthabern etwa in der Côte d’Ivoire oder in Nigeria in den ersten Jahren der OAU verband.
Die Blaupause für die gemeinsame wirtschaftliche Entwicklung Afrikas ist seit 2001 die von Olusegun Obasanjo (Nigeria) und Thabo Mbeki (Südafrika) geförderte »New Economic Partnership for Africa’s Development« (Nepad). Es ist im Gegensatz zum 1980 von der OAU verabschiedeten »Lagos Plan of Action« ein strikt neoliberales Programm, das Marktetablierung und -öffnung mit der gegenseitigen Kontrolle afrikanischer Regierungen in Sachen Menschenrechte (dem sogenannten Peer Review Mechanism) verbindet. Doch seit dem zehnten Jahrestag im Jahre 2011 ist es still geworden um die Initiative, bahnbrechende Ergebnisse hat die Peer Review nicht hervorgebracht.
Für die meisten Afrikanerinnen und Afrikaner hat die AU in ihrem alltäglichen Leben keinerlei Bedeutung. Bei jedem Grenzübertritt haben kleine und große Geschäftsleute nicht etwa freie Fahrt, wie es die Panafrikanisten der ersten Stunde erträumten und die verschiedenen Regionalorganisationen wie die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) oder die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) vorsehen, sondern müssen nach wie vor illegale Abgaben an die schlecht bezahlten Grenzbeamten entrichten, die diese dann an ihre Vorgesetzten weiterzugeben haben.
Im Grenzstreifen zwischen Guinea (Conakry) und Sierra Leone beispielsweise sind zahlreiche Zelte aufgestellt, die offensichtlich nur einem Zweck dienen: Wegelagerei. »This is Africa, you know«, lächelte ein Grenzbeamter mich 2004 dort an. Auf die Frage, was dies bedeute, rieb er unmissverständlich Daumen und Zeigefinger aneinander und antwortete knapp: »Money, money, money.« Da konnten auch die neuen Uniformen, wahrscheinlich gesponsert von der UN oder Großbritannien, nicht darüber hinwegtäuschen, dass es mit dem Traum von der afrikanischen Einheit nicht weit her ist. Die Vorstellung einer gemeinsamen afrikanischen Identität ist unter der Bevölkerung Afrikas zwar weit verbreitet, doch die Institutionen der AU können ihr keine Substanz verleihen. Ein ähnliches Phänomen ist hinsichtlich des Nationalbewusstseins in afrikanischen Staaten zu konstatieren.
Auch die wachsende Fremdenfeindlichkeit beispielsweise in Südafrika, die in den Unruhen vom Mai 2008 deutlich geworden ist, nähren nicht gerade Hoffnung auf eine panafrikanische Einigung in naher Zukunft. Vor allem Einwanderer aus den Nachbarstaaten Zimbabwe, Malawi und Mosambik waren und sind den Anfeindungen der Alteingesessenen in Südafrika ausgesetzt, die ihre mageren Geschäftseinnahmen und die schlecht bezahlten Jobs nicht mit den Migrantinnen und Migranten teilen wollen. Südafrika ist neben Nigeria wegen seiner Größe und Wirtschaftskraft eines der wichtigsten Mitglieder der AU; als derzeitige Kommissionspräsidentin (de facto die Präsidentin der AU) fungiert Nkosazana Dlamini-Zuma, die Innenministerin Südafrikas.

Gern wird die AU mit der EU verglichen, an der sie sich im Aufbau orientiert hat. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Organisationen: Während die EU gut finanziert und institutionell entsprechend organisiert ist, entspricht diesem hohen Integrationsgrad noch keine gemeinsame europäische Identität. In Afrika ist es genau umgekehrt. Die gemeinsame Erfahrung des Sklavenhandels, der Kolonisierung und der postkolonialen Regime haben vor und nach der Unabhängigkeit zu einem weitverbreiteten populären Panafrikanismus geführt, der den Kontinent im Guten wie im Schlechten als Einheit betrachtet. Die Institutionen der AU werden dieser Erfahrung jedoch nicht gerecht. Zu Zeiten des Kalten Krieges war es auch die unterschiedliche Ausrichtung der afrikanischen Staaten innerhalb der Konkurrenz der Großmächte, die die Umsetzung der panafrikanischen Ideen verhinderte. Zwar eignete sich der Panafrikanismus immer als große Geste und Herrschaftslegitimation, doch letztlich war der Beweis der eigenen Verlässlichkeit gegenüber dem Westen beziehungsweise dem Osten für die Regime mehr wert als ein tatsächlich geeintes Afrika.
Auch das Parlament der AU, das zweimal im Jahr in Midrand in Südafrika zusammentritt und aus 265 Abgeordneten besteht, dürfte den wenigsten Afrikanerinnen und Afrikanern ein Begriff sein. Jedes Mitgliedsland entsendet aus dem nationalen Parlament fünf Abgeordnete für jeweils fünf Jahre, mindestens eines der Mitglieder muss eine Frau sein. Das Parlament hat keinerlei legislative Rechte, sondern lediglich beratende Funktion. In zehn ständigen Ausschüssen werden die verschiedensten Themen bearbeitet.
Angesichts der schwachen personellen und finanziellen Ausstattung der AU täte die Organisa­tion wohl gut daran, sich thematisch auf wenige wichtige Aufgaben zu beschränken und einen Neuanfang zu wagen. Auch die EU hat ihre Wurzeln in der Montanunion, die den zollfreien Zugang zu Kohle und Stahl für ihre Mitgliedsländer zum Ziel hatte. Ähnlich könnte sich die AU konzentriert den Themen Landreform (vor allem im südlichen Afrika und in Kenia) und land grabbing, generell der Belebung und Modernisierung der Agrarwirtschaft, dem Ausbau der Infrastruktur und der Diversifizierung der Industrien von Rohstoff exportierenden Ländern widmen.
Doch das Grundproblem der Organisation ist und bleibt ihre spezielle Art der Legitimation. Die AU, in der die Staatschefs den Ton angeben, kann eben nur ein Spiegelbild der nationalen Zustände sein. Und die sind geprägt von Klientelismus, indirekten Formen des Regierens und der Privatisierung des Öffentlichen. Das, was im Westen oft als Korruption missverstanden wird, ist zumeist Teil eines neopatrimonialen Systems von Herrschaft, bei dem sich bürokratische und sogenannte private Strukturen mischen. Der einflussreichste Patron an der Spitze dieses Systems ist meist der Präsident oder eine ihm nahestehende Person, und der ohnmächtigste Untertan derjenige, der keinen Patron finden kann.
Unter diesen Umständen fällt es schwer, sich eine institutionell starke und durchsetzungsfähige AU in naher Zukunft vorzustellen. So werden wohl weiterhin Marcus Garvey und Bob Marley die Helden des populären Panafrikanismus bleiben, während in den Kommissionen der AU Hunderte Pläne und Berichte verfasst werden, die schließlich in den Archiven am Hauptsitz Addis Abeba verstauben.