Über de Maizière und die Drohnen

Ein Minister in der Fähigkeitslücke

Gerne hätte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière die Bundeswehr mit Drohnen ausgestattet. Doch daraus wird erst einmal nichts. Nun muss er um sein Amt fürchten.

Barack Obama hat nur wenig gesagt, als »historische Kehrtwende« wurden seine Worte in der National Defense University am 23. Mai trotzdem gefeiert: Drohneneinsätze seien zwar grundsätzlich »effektiv und legal«, doch mit den unbemannten Flugzeugen werde ab jetzt nur noch getötet, wer nicht verhaftet werden könne und eine »unmittelbare Gefahr« für die USA darstelle. Zudem versprach der amerikanische Präsident: »Wir werden die Souveränität von Staaten respektieren.« Nach Zahlen der New America Founda­tion haben die USA seit 2004 allein in Pakistan insgesamt 354 Mal Kampfdrohnen eingesetzt. Dabei sollen bis zu 3 300 Menschen getötet worden sein, darunter bis zu 800 Zivilisten. Pakistan bezeichnet die Einsätze als illegal, fast 90 Prozent der Angriffe fallen in Obamas Amtszeit.

Während der Friedensnobelpreisträger die unbemannten Kampfflugzeuge künftig also etwas sparsamer nutzen will, versucht die Bundeswehr, kräftig aufzurüsten. Es gebe eine »Fähigkeitslücke«, ließ die deutsche Luftwaffe immer wieder verlauten, weil sie anders als die Armee der USA bislang keine Kampfdrohnen besitzt. Um diese vermeintliche Lücke zu schließen, war Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) im April nach Washington geflogen. »Wenn ich eine unbemannte Drohne in den Einsatz schicke statt einem bemannten Flugzeug, dann dient das auch dem Schutz unserer Soldaten«, sagte er. Die USA stimmten zu, Deutschland drei Kampfdrohnen vom Typ »Reaper« (»Sensenmann«) zu liefern, bewaffnet mit Raketen vom Typ »Hellfire«, zum Stückpreis von 17 Millionen Dollar.
Und auch Aufklärungsdrohnen sollte die Bundeswehr künftig ihr Eigen nennen können. Zurzeit lässt sie nur drei von Israel geleaste »Heron«-Drohnen in Afghanistan fliegen. Sie wurden 2010 für 110 Millionen Euro gemietet, kommendes Jahr läuft der Vertrag aus. Danach sollte der US-Konzern Northrop Grumman der Luftwaffe fünf Spionagedrohnen vom Typ »Euro Hawk« liefern. Wozu sie diese braucht, erklärt die Luftwaffe so: Bis 1990 seien »Konflikte nach klassischem Verständnis zwischen zwei stehenden Armeen ausgetragen« worden. Heutzutage gehe es hingegen immer unübersichtlicher zu, Einsätze fänden gleichermaßen in ländlichen Gebieten wie in dicht besiedelten Städten statt; oft seien »unterschiedlich motivierte Konfliktparteien, von staatlichen Machtorganen über militante Splittergruppen, terroristische Vereinigungen bis zur organisierten Kriminalität« in die Kampfhandlungen verstrickt. Da brauche es Lagebilder, die das Wirrwarr durchdringen. Drohnen könnten solche Bilder schon wegen ihrer langen Flugfähigkeit besser liefern als bemannte Flugzeuge.
In der Tat kann der »Euro Hawk« 40 Stunden lang in 20 Kilometern Höhe bleiben und ohne Zwischenlandung bis zu 6 000 Kilometer zurücklegen. Das EADS-Tochterunternehmen Cassidian hat die Drohne mit Spionagesensoren ausgestattet. Die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte die Entwicklung angestoßen, den Kaufvertrag schloss 2007 der damalige Verteidigungsminister der großen Koalition, Franz Josef Jung (CDU). Doch am 14. Mai stornierte de Maizière die Bestellungen. »Wir ziehen die Reißleine«, ließ sein Ministerium wissen. »Wir haben keine Hoffnung, dass wir dieses Aufklärungsflugzeug zu einem geregelten, zuverlässigen Flugbetrieb in Deutschland führen können.«

Soweit bekannt ist, sperrt sich das Luftfahrtbundesamt aus mehreren Gründen gegen die Inbetriebnahme. Zum einen weigert sich Northrop Grumman, der Behörde alle Konstruktionsdetails des »Euro Hawk« offenzulegen. Zudem haben Drohnen kein Kollisionswarnsystem, wie es bei Verkehrsflugzeugen Vorschrift ist. Unklar ist, ob der Kollisionsschutz im ursprünglichen Kaufvertrag enthalten war oder nicht. In den USA dürfen Drohnen deswegen nur in speziellen, abgesperrten Lufträumen aufsteigen, sie fliegen dann meist doppelt so hoch wie Verkehrsflugzeuge. Schließlich soll es Pannen gegeben haben, als das Testexemplar der Drohne im Juli 2011 aus Kalifornien ins bayerische Manching flog. Die Bundeswehr nannte den Flug damals einen »Meilenstein der Luftaufklärung«. Tatsächlich jedoch soll der Fernsteuerungspilot zweimal für etwa zehn Minuten den Satellitenkontakt zur Drohne verloren haben, diese kam vom Kurs ab. Dem Bundestag hatte das Verteidigungsministerium diese Zwischenfälle verschwiegen, der Prototyp absolvierte Testflüge über Deutschland.
Für den Bund wird die Sache nun teuer. Die Entwicklung des »Euro Hawk« kostete bislang etwa 508 Millionen Euro. Etwa die Hälfte davon wurde allerdings für die Aufklärungstechnik von EADS aufgewendet, die nun in anderen Flugzeugen verbaut werden soll. Bis Ende September muss der Bund offenbar weiterhin 3,3 Millionen Euro monatlich für die Tests bezahlen. Alles in allem beläuft sich der Verlust also auf knapp 300 Millionen Euro. Der Bundesrechnungshof beklagt, er habe das Projekt niemals prüfen können, die Bundeswehr habe zwar Vertragsunterlagen geschickt, mit Hinweis auf eine »Geheimhaltungsklausel mit der US-Industrie« seien entscheidende Stellen jedoch geschwärzt gewesen. Nun Protesten sollen die Rechnungsprüfer nun einen ungeschwärzten Bericht bekommen.
Der Bundeswehrverband fiel dem Minister in den Rücken. »Wir nehmen in der Tat Schaden«, sagte der Vorsitzende Ulrich Kirsch. Zwar habe de Maizière ein »schwieriges Erbe angetreten«, doch auch er selbst habe »viele Fehler gemacht«. Das sieht die Opposition ähnlich. »Die Regierung hat Parlament und Öffentlichkeit getäuscht«, sagte der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold. Einem als Verschlusssache eingestuften Bericht an den Verteidigungsausschuss zufolge räumen Beamten aus de Maizières Ministeriums ein, schon Ende 2011 gewusst zu haben, dass »eine reguläre Musterzulassung für die ›Euro Hawk‹-Serienflugzeuge nur mit erheblichem Mehraufwand« zu haben gewesen sei. Nach Angaben von Arnold hätte der Haushaltsausschuss 2011 die Millionen für die »Euro Hawk« niemals bereitgestellt, wenn de Maizière diese Schwierigkeiten benannt hätte. »Wenn man bei komplizierten Beschaffungsvorhaben bei jedem Problem die Reißleine zieht, kann es gar keine Rüstungsprojekte mehr geben«, sagte de Maizière am Freitag zu den Vorwürfen. Die SPD erwartet nun den Bericht des Bundesrechnungshofs sowie den Bericht, den de Maizière am 5. Juni dem Bundestag vorlegen will.

Bislang fordert noch niemand offen den Rücktritt des Verteidigungsministers. Gleichwohl macht sich die Opposition durchaus Hoffnung, ihn stürzen zu können, wenn ihr der Nachweis gelingt, dass er in der Sache gelogen hat. So kurz vor der Wahl würde das Angela Merkel erheblich schwächen. Ganz schlecht stehen die Chancen der SPD dafür nicht. Lange galt de Maizière als kaum angreifbar. Nicht nur konservative Medien betonten gern seine Integrität und nannten ihn »Aktenfresser«, um seine Tüchtigkeit zu loben. Merkel, geplagt von ihrem enormen Ministerverschleiß, ersetzte den zurückgetretenen Karl-Theodor zu Guttenberg durch den früheren Kanzleramtschef.
So richtig gut lief es für ihn jedoch nicht. Seine Überlegung zu »ethisch neutralen Waffen« kam ebenso schlecht an wie sein Vorschlag, einen »Veteranentag« einzuführen. Und seit er im Februar den deutschen Soldaten vorwarf, sie seien »vielleicht geradezu süchtig nach Wertschätzung«, und verlangte, sie sollten »aufhören, dauernd nach Anerkennung zu gieren«, ist er für den Bundeswehrverband geradezu eine Unperson. Mittlerweile wenden sich auch konservative Medien von ihm ab. Die Welt erinnerte der vermeintliche »Minister Makellos« mit einem Mal an den glücklosen Rudolf Scharping. Bild fragte hämisch, ob de Maizière womöglich »schneller fliegt als seine Drohne«. Merkel sprach ihm daraufhin das »volle Vertrauen« aus, was SPD-Geschäftsführer Thomas Oppermann mit dem Satz kommentierte: »Wenn es erst so weit ist, steht’s schlecht um ihn.« De Maizière, der seit jeher das Image des rationalen Pflichtmenschen gepflegt hatte, lud Bild am Sonntag zu sich nach Hause ein, um »über seine Gefühle zu sprechen«. Dem Blatt sagte er: »Ich leide unter dem Druck, den ich aushalten muss.« Wenn es so weit ist, steht es schlecht um ihn.