Ein neuer Bericht zum Tode eines palästinensischen Jungen im Jahr 2000

Kassenschlager aus Pallywood

Im Jahr 2000 wurde ein palästinensischer Junge mutmaßlich von israelischen Soldaten erschossen. Deshalb avancierte er zur Ikone der Intifada. Ein neuer Bericht weckt erneut Zweifel an dieser Version der Geschichte.

Die mutmaßliche Erschießung des zwölf Jahre alten Palästinensers Muhammad al-Dura an der Netzarim-Kreuzung im Gaza-Streifen am 30. September 2000 vor laufender Kamera des französischen Senders France 2 ist nach 13 Jahren erneut in die Schlagzeilen geraten. Israels Regierung hat in einem 44seitigen, jüngst veröffentlichten Bericht behauptet, dass auf al-Dura nicht von israelischen Soldaten geschossen worden sei und er womöglich noch lebe. Die Filmaufnahmen hatten fatale Folgen. Hunderte Araber wie Juden wurden seit deren Verbreitung aus Rache getötet. Al-Qaida-Kämpfer köpften in Pakistan den US-amerikanischen Journalisten Daniel Pearl. Ussama bin Laden erwähnte al-Dura, um den Anschlag vom 11. September 2001 zu rechtfertigten. Bilder des Jungen wurden auf Denkmälern in der arabischen Welt und Briefmarken verewigt.

Die Regierung unter Ehud Barak hatte schnell die verheerende Wirkung der Aufnahmen für das Ansehen Israels erkannt. Deshalb gestand General Giora Eiland trotz Zweifel die Schuld für den Tod des Jungen ein und sprach öffentlich sein Bedauern aus. So hoffte die israelische Regierung, die Geschichte zu begraben. Mehrere Journalisten und Forscher haben den Vorfall seither genauer untersucht, darunter Esther Schapira vom Hessischen Rundfunk. Sie konnte nachweisen, dass ein toter palästinensischer Junge, der an jenem Tag gegen 10 Uhr morgens ins Krankenhaus von Gaza eingeliefert worden war, dem erst Stunden später vermeintlich getöteten al-Dura nicht einmal ähnlich war. Weitere Indizien stellten die Glaubwürdigkeit der Filmszene und der Aussagen des Kameramanns sowie des Reporters Charles Enderlin in Frage. Der Forscher Richard Landes bezeichnete Inszenierungen anderer Kamerateams am gleichen Tag und Ort als »Pallywood«.
Der jüdische französische Politiker Philippe Karsenty hat zehn Jahre lang Prozesse gegen France 2 und Enderlin in mehreren Instanzen geführt. Dabei wurden weitere Sekunden Film aus etwa 40 Minuten unveröffentlichtem Rohmaterial freigegeben. Nach der Stelle, an der Enderlin vom Tod des Jungen spricht, hebt der vermeintlich tote al-Dura seine Hand, um nicht von der Sonne geblendet zu werden. Am Boden ist kein Blut zu sehen, und der »Blutfleck« am Bein stellte sich als rotes Taschentuch heraus. Schapira deutete nur an, dass al-Dura noch leben könnte. Karsenty hatte es behauptet. Das trug ihm einen Prozess wegen Verleumdung ein. Zum Abschluss einer dritten Revision des Prozesses sollte am 22. Mai das Urteil verkündet werden. Doch wegen des am Sonntag zuvor veröffentlichten Berichts vertagte das Gericht diese nun auf den 26. Juni.

Neben der Behauptung, dass al-Dura nicht tot sei, enthält der Bericht keinerlei neue Erkenntnisse. Dennoch kam es zu empörten Reaktionen. Enderlin schrieb, er sei von der israelischen Regierung nicht befragt worden. Jamal al-Dura, der Vater des Jungen, erklärte sich zu einer Exhumierung seines Sohnes bereit, um die Wahrheit durch eine internationale Kommission ermitteln zu lassen. Peter Münch schrieb in der Süddeutschen Zeitung: »Dass Israel so spät noch und mit solcher Wucht die Geschichte neu schreiben will, liegt an der Symbolkraft dieses Falls.« Korrespondenten von AP, AFP und anderen Medien sowie Mitarbeiter von Human Rights Watch bezichtigten Israel der Lügen und Verfälschungen.
Wer bei dieser emotionalen Debatte am Ende Recht hat, können weder das französische Gericht noch die Historiker entscheiden, solange weder die Leiche noch die Kugeln vorliegen. Ob al-Dura tot oder lebendig ist, von israelischen Soldaten oder Palästinensern erschossen wurde oder nicht, ändert nichts an der Tatsache, dass eine wenige Sekunden lange Filmszene mit entsprechendem Kommentar verheerende Folgen haben kann. Enderlin hatte unverantwortlich berichtet, indem er weggeschnitten hat, wie der »tote« al-Dura die Hand hebt. Gleichwohl nutzte arabische Propaganda die Szenen mit Erfolg für eine präzedenzlose Hetzkampagne gegen Israel.