Der Bericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus

Unauffällige Serientäter

Der Bericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus beschreibt die Fehler der Behörde im Umgang mit dem NSU. Auf die Ursache dieser Fehler geht er jedoch nicht ein.

Eingerichtet als Konsequenz aus dem NSU-Desaster, analysierte die Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus (BLKR) die »Sicherheitsarchitektur« der Bundesrepublik. Das Ergebnis, das Ende vergangener Woche in Hannover präsentiert wurde, fällt mager aus. Die Kommission hoffe »zuversichtlich, dass nach Umsetzung ihrer Vorschläge Fehler der Vergangenheit sich zukünftig nicht wiederholen werden«.
Die Zuversicht ist unbegründet. Denn das zentrale Problem des NSU-Komplexes wurde erst gar nicht untersucht. Der Umstand, dass bis zur Selbsttötung von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos weder ein Zusammenhang der Taten untereinander noch deren Verknüpfung mit Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus erkannt wurde, ist nicht nur »bedrückend«, wie es im Bericht heißt, er hat vor allem ideologische Ursachen, denen die Kommission nicht nachgegangen ist. Über Jahre verharmlosten oder leugneten die Geheimdienste und Ermittlungsbehörden die Gefahr durch rassistischen Terror. Darüber findet sich kein Wort im BLKR-Bericht, der gänzlich ohne die Begriffe »rassistisch« und »fremdenfeindlich« auskommt.
Mehr als ein Jahrzehnt lang haben die diversen Ermittlungsbehörden die Möglichkeit eines rechtsterroristischen Hintergrunds ausgeblendet. Obwohl dieser mindestens genauso nahegelegen hätte wie die sogenannte Organisationstheorie. Das hatte zur Folge, dass die Opfer selbst krimineller Verstrickungen verdächtigt wurden. »Viele Fahnder«, so schrieb noch im Februar 2011 der Spiegel, seien »davon überzeugt, dass die Spur der Morde in Wirklichkeit in eine düstere Parallelwelt führt, in der eine mächtige Allianz zwischen rechtsnationalen Türken, dem türkischen Geheimdienst und Gangstern den Ton angeben soll.« Dafür fehlten zwar die Beweise, allerdings nur, weil alle Ermittlungen »irgendwann an einer Mauer des Schweigens« endeten. Es herrsche, so wurden die Beamten zitiert, »Angst vor dem ›tiefen Staat‹, einem Netzwerk aus Ultranationalisten, Militärs, Politikern und Justiz«. Zu befürchten steht, dass auch die Ermittler damals an diese Verschwörungstheorien glaubten. Dabei war die beim Polizeipräsidium Mittelfranken in Nürnberg eingerichtete Besondere Aufbauorganisation (BAO) Bosporus bereits Jahre zuvor nahe dran an den tatsächlichen Motiven. Weil sie mit der Organisationstheorie nicht weiterkam, ließ die Mitte 2005 konstituierte BAO vom Polizeipräsidium München eine Alternativhypothese aufstellen. Im Juni 2006 wurde diese zweite Fallanalyse präsentiert: Sie begründete die sogenannte Serientätertheorie, wonach hinter den Morden »missionsgeleitete männliche Täter« stünden, »die Wut und Abneigung gegen türkisch aussehende Männer entwickelten«, wie der BLKR-Bericht referiert. Sie seien zum Zeitpunkt der ersten Tat im Jahr 2000 zwischen 22 und 28 Jahre alt gewesen, besäßen eine Affinität zu Waffen und seien mobil in der BRD unterwegs. Die Täter verfügten über Kontakte zur rechten Szene, die sie allerdings als zu schwach ansähen. Daher hätten sie sich aus der Szene zurückgezogen, um selbst zu handeln. Es müsse über sie polizeiliche Erkenntnisse aus dem Bereich rechtsmotivierter Kriminalität oder Waffen- und Sprengstoffdelikte geben.

Das Täterprofil passt perfekt auf Böhnhardt und Mundlos. Es gibt nur eine kleine Schwäche: die regionale Verortung. Da in der Alternativfallanalyse Nürnberg als möglicher Ankerpunkt betrachtet wurde, forderte die BAO Bosporus zwar im Juli 2006 eine Liste mit Personen aus der rechtsextremistischen Szene beim bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz an, beschränkte ihre Anfrage jedoch auf den Großraum Nürnberg. Die Liste bekam die BAO im März 2007. »Durch die weiteren Ermittlungen mit dieser Liste ergeben sich keine weiteren Ansätze«, heißt es lapidar im Kommissionsbericht. Was nicht gerade überraschend ist. Die Serientätertheorie wurde mehr als halbherzig verfolgt: Auf den naheliegenden Gedanken, auch jenseits des Großraums Nürnberg nach Personen mit einem entsprechenden Täterprofil zu suchen, kam offenkundig niemand. Darauf geht die Bund-Länder-Kommission aber nicht ein.
Sie erwähnt, dass es schon frühzeitig Hinweise gab, denen zufolge die untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sich »schon auf der Stufe von Rechtsterroristen« bewegten. Entsprechende Angaben machte ein offenkundig mit den »Bombenbastlern« in Kontakt stehender Neonazi bereits im September 1999 gegenüber dem Militärischen Abschirmdienst (MAD). Darüber informierte der MAD sowohl das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Im April 2000 beantragte der sächsische Verfassungsschutz eine sogenannte G-10-Maßnahme, also die höchstmögliche Überwachungsstufe gegen das Trio und vier weitere Neonazis, darunter auch einen der in München derzeit vor Gericht stehenden. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass die Gruppe »schwere Straftaten gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung« plane. Ihr Vorgehen ähnele »der Strategie terroristischer Gruppen«, heißt es in dem Geheimpapier, über das das ARD-Magazin »Report Mainz« vergangene Woche berichtete. Das Dokument sei »der exakte Ausdruck eines Wissens der befassten Ämter um die eminente Terrorgefahr der drei und ihrer Unterstützer«, urteilt der Berliner Politologe Hajo Funke.
Von der G-10-Maßnahme sollen neben dem sächsischen Innministerium zwei Landeskriminalämter und zwei Landesverfassungsschutzämter sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz gewusst haben. Drei Monate wurde überwacht, ohne nennenswerte Ergebnisse. »Auffällig« sei, dass die Observationen zumeist punktuell ansetzten, heißt es im BLKR-Bericht. Auf die Erstellung von längerfristig angelegten Kontakt- und Bewegungsbildern der möglichen Kontaktpersonen zu den Untergetauchten sei »weitgehend verzichtet« worden. Um eine Erklärung für dieses merkwürdige Agieren bemüht sich die Kommission nicht.
Die Innenminister begrüßten den Kommissionsbericht. Er enthalte »wertvolle und bedenkenswerte Empfehlungen«, lobte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Das gelte »ganz besonders für eine intensivere Kommunikation zwischen den einzelnen Behörden«. Ähnlich fällt die Bewertung von Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) aus: »Die Ursache für die tragischen Fehlleistungen lag im Wesentlichen darin, dass alle Sicherheitsbehörden aneinander vorbeigearbeitet haben.« Doch das ist eine zu einfache und zu bequeme Sichtweise, wie das Beispiel der Alternativhypothese zur Organisationstheorie, die nicht ernst genug genommen wurde, belegt. Auch die ausgefeiltesten Vorschläge zur Kooperation sind völlig nutzlos, wenn keine einzige Behörde eine Nazi-Mordserie als solche erkennt.

Der BLKR-Bericht ist im Kern eine Legitimationsschrift des Bestehenden. Zwar habe es im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex sowohl bei den Verfassungsschutzbehörden als auch bei Polizei und Justiz »Defizite« gegeben, »insbesondere in der Zusammenarbeit«, konstatiert die Kommission. Auch hätten nach ihrer Ansicht »eine Reihe von Sicherungsfunktionen im System versagt«. Aber ein »generelles Systemversagen der deutschen Sicherheitsarchitektur« kann die BLKR »nicht erkennen«. Für »nicht geboten« hält sie deshalb auch eine Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden. »Nach der festen Überzeugung der Kommission hat sich der Verfassungsschutz als Instrument der wehrhaften Demokratie grundsätzlich bewährt«, heißt es im Bericht. Der gelegentlich geäußerte Einwand, ein verdeckt operierender Nachrichtendienst passe nicht in ein demokratisches System, sei »in seiner Pauschalität nicht zielführend«.
Auch den Einsatz von V-Leuten hält die BLKR für »unverzichtbar«. Zwar muss sie einräumen, dass »der Einsatz menschlicher Quellen nicht zur Aufdeckung des NSU geführt« habe, trotzdem sei »die Gewinnung wichtiger Informationen selbst aus dem unmittelbaren Nahbereich des Trios mit Hilfe menschlicher Quellen grundsätzlich möglich« gewesen, was zeige, dass es sich hierbei »generell um ein bedeutsames nachrichtendienstliches Mittel zur Erkenntnisgewinnung« handele. Eine krude Logik.
Das aus guten Gründen höchst umstrittene V-Leute-System sollte nach Ansicht der BLKR sogar noch gestärkt werden. »Durch die Gefahr der Verwirklichung von Straftatbeständen wird die Arbeit der Sicherheitsbehörden eingeschränkt«, beklagt sie. Deswegen sieht die Kommission »gesetzgeberischen Bedarf, bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen beim Einsatz menschlicher Quellen zur verdeckten Informationsgewinnung zu schaffen«. Konkret solle Staatsanwaltschaften die Möglichkeit gegeben werden, von der Verfolgung von Vergehen und Verbrechen abgesehen, die V-Leute »in Erfüllung eines nachrichtendienstlichen Auftrags« begehen. Selbst schwere Straftaten wie der Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz oder die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung könnten dann still und leise übergangen werden.