John Zorn im Gespräch über seine Musik

»Vor dem Komponieren wasche ich mir die Hände«

John Zorn verrät, wie er künstlerische Blockaden bekämpft, warum sein alter Kinderschreibtisch seine Kreativität fördert und warum er keinen Fernseher braucht.

Bereits Ihre in den siebziger und achtziger Jahren entstandenen Arbeiten scheinen musikalische Formen des Internetzeitalters zu antizipieren. Alle erdenklichen Musikstile existieren gleichberechtigt nebeneinander. Hat das Internet einen Einfluss auf Ihre Kompositionen oder Ihre Art zu spielen?
Technologie hat immer Auswirkungen auf die Art, wie Künstler arbeiten. Aber sie ändert meine grundlegende Vision nicht. Meine Welt existiert außerhalb von Technik. Diese ist für mich nur ein Interface, aber nie Kern des kreativen Prozesses, eher eine Schnittstelle zwischen mir als Musiker und dem Publikum. Sie sind ja auch eine Schnittstelle, wenn ich mit Ihnen spreche und Sie das Gesagte dann einem größeren Publikum zugänglich machen. Aber generell finde ich es interessant, was heute mit digitalen Techniken möglich ist. Es ist toll, dass der Aufnahmeprozess im Studio oder das Design für CDs heute wesentlich einfacher ist.
Verwenden Sie auf der Bühne oder für Ihre Kompositionen digitale Geräte?
Für meine Kompositionen benötige ich nur Stift und Papier, das ist alles. Im Studio nutze ich natürlich digitale Technik. Zwischen 1984 und 1985 habe ich eine sehr komplizierte Serie von Stücken wie »Spillane« (eine Klangcollage und musikalische Hommage an den Krimiautor Mickey Spillane; d. Red.) produziert. Zu dieser Zeit konnte ich nur Tapes verwenden. Ähnliche Dinge lassen sich heute viel schneller und detaillierter verwirklichen.
Der Stift ist Ihre historische Schnittstelle für das Hier und Jetzt.
Ja, und ich werfe meine Vergangenheit ja nicht weg, im Gegenteil: Ich füge neue Dinge hinzu, die dann in den alten Ideen mitschwingen. Zum Beispiel lerne ich immer wieder neue Musiker kennen. Mit Arditti (Irvine Arditti, Leiter des Arditti-Streichquartetts, Anm. d. Red.) habe ich zum Beispiel noch nie zusammengearbeitet. Ich habe Irvine letztes Jahr kennengelernt und mittlerweile ist er ein neues Mitglied meiner musikalischen Familie. Es ist wichtig, einerseits loyal gegenüber seiner Vergangenheit zu sein und andererseits die Zukunft im Blick zu haben, um Raum für neue Erfahrungen zu schaffen.
Für Ihre Arbeit spielt die künstlerische Isolation eine große Rolle. Fällt Ihnen das in Zeiten der potenzierten Zerstreuungsmöglichkeiten schwerer als vor 20 Jahren?
Ich begegne dieser Problematik seit jeher auf zwei Arten. Erstens habe ich gelernt, keinerlei Ablenkungen zuzulassen, die unsere Welt beherrschen. Das ist gar nicht so schwierig, wenn man sehr diszipliniert ist. Ich lese keine Zeitungen oder Magazine, ich höre kein Radio, ich besitze keinen Fernseher und bleibe sehr viel zu Hause, um mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Und ich habe in all den Dekaden gelernt, auf was ich mich konzentrieren muss. Und was ich heute, mit 60, wirklich sehr gut beherrsche, ist, nicht mehr daran zu zweifeln, was man tut, und dabei immer zu wissen, was wirklich wichtig ist. Ich weiß genau, was für den kreativen Prozess hilfreich ist und was nicht.
Die andere Sache ist die Isolation, wobei mir das Wort etwas zu stark ist. Denn selbst wenn ich alleine zu Hause bin wie gerade, bin ich das nie wirklich. Denn wenn ich komponiere, schreibe ich nicht einfach abstrakte Musik, vielmehr habe ich bestimmte Personen und Musiker im Hinterkopf, für die das jeweilige Stück gedacht ist. Allein dadurch bin ich nicht isoliert, sondern Teil einer Community. Es ist mir aber wichtig, alleine zu sein, um meine Batterien aufzuladen.
Komponieren Sie immer schon mit Blick auf bestimmte Musiker oder Bands?
Es ist sehr unterschiedlich. Aber ich schreibe selten einfach so, sondern immer für bestimmte Musiker oder Bands. Whatever works!
Hatten Sie jemals eine Schreibblockade?
Nein, eigentlich nie. Denn ich habe gelernt, damit umzugehen. Ich habe da eine sehr interessante Methode. Zum Beispiel: Du befindest dich in einem Raum mit zehn Türen und versuchst, eine der Türen zu öffnen, und sie ist verschlossen. Würdest du immer wieder an derselben Tür klopfen oder eine andere ausprobieren? Wenn ich an einem Stück arbeite und gerade nicht weiterkomme, nehme ich einfach eine andere Tür. So vermeide ich Schreibblockaden. Aber eigentlich kommt so etwas bei mir gar nicht vor. Es gibt immer Phasen zwischen Kompositionen, in denen ich einfach recherchiere und nach Ideen suche. Man könnte auch sagen: sich in Friedenszeiten auf den Krieg vorbereiten. Ich arbeite eigentlich die ganze Zeit. Picasso hat einmal gesagt: »Die Inspiration existiert, aber sie muss dich bei der Arbeit finden.«
Was inspiriert Sie denn zurzeit?
Jeder Künstler hat andere Arten, mit dem eigenen kreativen Prozess umzugehen. Manche sitzen ja einfach herum und warten darauf, dass die Inspiration kommt. Dafür habe ich jedoch keine Geduld. Wichtig für meine Kreativität ist, die Zerstreuungen dieser Welt auszublenden, sei es Werbung, Pornographie, Nachrichten und Medien im Allgemeinen. Unterhaltung ist für mich keine Unterhaltung, sondern einfach nur Ablenkung. Ein anderer Teil des Prozesses besteht darin, das eigene Talent als eine Gabe zu würdigen. Denn ich bin nicht einfach nur ich, sondern immer ein Bestandteil von etwas Größerem.
Könnten Sie das näher erläutern?
Viele Leute verbringen ihr ganzes Leben damit, nach etwas zu suchen, das größer ist als sie selbst. Für manche Menschen ist es Gott, für andere wiederum die eigene Familie oder die eigenen Kinder, für manche ist es einfach Geld. Für mich sind es Kunst und Musik. Daran glaube ich. Die Tradition von Musik reicht Jahrtausende zurück und ich bin sehr glücklich darüber, ein Teil dieses Kontinuums zu sein.
Auf welche Weise würdigen Sie denn Ihr musikalisches Talent?
Bevor ich komponiere, wasche ich mir stets die Hände. Ich versuche stets so rein wie möglich zu sein, jeden Tag gute Dinge zu tun und eine positive Energie zu verbreiten und mich darauf zu konzentrieren, wozu ich hier bin, nämlich um Musik zu machen. Ich möchte damit die Welt zu einem besseren Ort machen, indem ich der Gesellschaft einen Spiegel vorhalte. Ich verstehe das als meine Pflicht. Und es macht mich glücklich, dass ich damit zurzeit erfolgreich bin. Momentan befinde ich mich auf dem kreativen Höhepunkt meines Lebens.
Haben Sie jemals befürchtet, im Alter keine kreative Energie aufbringen zu können?
Nein, ich habe auch niemals größere Pläne für die nächsten Jahre geschmiedet oder darüber nachgedacht, wie es wäre, 60 Jahre alt zu sein. Ich arbeite Tag für Tag. Genauso wenig denke ich heute darüber nach, was sein wird, wenn ich mal 70 bin.
Pflegen Sie neben dem Händewaschen noch weitere Rituale, bevor Sie mit dem Komponieren beginnen?
Es gibt einen Raum im hinteren Teil meines Appartements, den ich ausschließlich zum Schreiben nutze. Dort stehen ein kleiner Schreibtisch und ein kleiner Stuhl. Beide Möbelstücke besitze ich, seit ich acht Jahre alt bin. Dadurch halte ich stets eine kreative Energie aufrecht.
Wie schaffen Sie es eigentlich, die vielen verschiedenen Projekte unter einen Hut zu bringen? Arbeiten Sie an mehreren gleichzeitig?
Ich versuche immer, ein Projekt bis zum Ende zu verfolgen, bevor ich ein neues beginne. Aber es gibt Zeiten, in denen ich auch mal ausnahmsweise mehrere Stücke gleichzeitig schreibe.
Wie wichtig ist für Sie die New Yorker Szene, die Sie nicht zuletzt als Betreiber des Clubs The Stone wesentlich mitprägen? Nicht zuletzt aufgrund der Gentrifizierung ganzer Stadtteile und der steigenden Mieten scheint sich die Stadt in einer Art kulturellen Rezession zu befinden.
The Stone läuft sehr gut. Seit der Eröffnung vor acht Jahren fanden Tausende Konzerte und Workshops statt. Und kürzlich erst haben wir unsere Richtlinien geändert. Früher haben wir einen Künstler ein ganzes Monatsprogramm zusammenstellen lassen, bei dem er jeweils Musiker nach Belieben buchen konnte. Mittlerweile geben wir unbekannteren Künstlern die Möglichkeit, eine Woche lang täglich zu performen. Letzte Woche hatten wir Steve Coleman zu Gast. Es sind meistens Leute, die sonst kaum Chancen haben, in größeren Locations, wie etwa dem Village Vanguard (berühmter Jazz-Club in New York, Anm. d.R.), zu spielen.
Die Wohnsituation aber ist wirklich sehr problematisch. Als ich 1977 in meine Wohnung, in der ich bis heute lebe, eingezogen bin, hat sie 50 Dollar im Monat gekostet. Heute bezahle ich 2 000 Dollar. Aber das ist der Lauf der Dinge. Es gibt nicht viel, das wir dagegen tun könnten. Entweder du lernst, dich anzupassen, oder du stirbst. Es strömen aber trotzdem immer noch sehr viele junge Musiker in diese Stadt. Sie finden immer Möglichkeiten, indem sie sich Appartements teilen oder in einen der vielen Squats ziehen, in denen man noch günstig wohnen kann. Insgesamt gibt es hier mehr interessante Musiker und Konzerte als je zuvor.