Das »Festival der direkten Demokratie« in Thessaloniki

International handeln

Im griechischen Thessaloniki diskutierten linke Gruppen auf dem »Festival der direkten Demokratie« Anfang September vor allem die Fragen der Zusammenarbeit und demonstrierten anschließend gegen die internationale Handelsmesse.

Es ist Mittwochabend, die ersten Besucherinnen und Besucher strömen auf das Gelände der Aristoteles-Universität in Thessaloniki. Eine Band spielt laute Rockmusik, es gibt kalte Getränke, Grillprodukte und Infotische sowie Verkaufsstände lokaler Initiativen. Zum vierten Mal feierten Hunderte Menschen das »Festival der direkten Demokratie« in Thessaloniki, dieses Jahr vom 4. bis zum 6. September. Seit 2010 wird es von Alpha Kappa organisiert, einem Zusammenschluss antiautoritärer Gruppen aus Griechenland. Verschiedene Veranstaltungen beschäftigen sich mit Themen wie internationaler Zusammenarbeit, Basisdemokratie und Commons. Vor allem Letzteres scheint derzeit von zentraler Bedeutung für die Politik eines großen Teils der außerparlamentarischen und antiautoritären Linken in Griechenland zu sein. »Es gilt, das Gemeinsame zu entwickeln. Öffentlich und für alle, sozial produziert und verwaltet durch basisdemokratische Prozesse«, heißt es in den einleitenden Worten zur Podiumsdiskussion über Commons.

Beispiele, wie dies in der Praxis aussehen kann, gibt es in Thessaloniki bereits. Zu nennen ist hier vor allem die besetzte Fabrik Viomichaniki Metalleftiki, kurz Vio.Me, die seit Februar 2013 selbst­organisiert und autonom produziert (Jungle World 13/2013). »Der Weg hierher war nicht immer einfach«, versichert Makis Anagnostou. Der stämmige Mann mit vollem Bart ist Vorsitzender der Basisgewerkschaft von Vio.Me und hat die Aneignung der Fabrik von Anfang an mitorganisiert. Sie begann im Mai 2011, als die ehemaligen Besitzer, eine griechische Großfamilie, Konkurs anmeldeten. Die Zahlung noch ausstehender Gehälter an die Arbeiterinnen und Arbeiter von Vio.Me rückte damit in weite Ferne. »Wir haben uns zusammengesetzt und diskutiert, wie es weitergehen kann. Dass es weitergehen muss, war allen klar«, erzählt Anagnostou. Das lag nicht zuletzt daran, dass Vio.Me wirtschaftlich stets funktioniert hatte und letztlich der Mutterkonzern Philkeram Johnson für den Konkurs verantwortlich war. So stimmten 97 Prozent der Belegschaft für die Wiederaufnahme des Betriebs in Eigenregie und die Besetzung und Aneignung der Fabrik samt ihrem Inventar, den Waren aus der Zeit vor der Selbstverwaltung sowie den Maschinen. Die galt auch als entscheidend für die fortlaufende Produktion, schließlich sollte mit dem Verkauf alter Waren Startkapital angesammelt werden.

Das gelang jedoch nur bedingt. Gespräche mit dem griechischen Ministerium für Arbeit waren erfolglos, der Betrieb wurde nicht legalisiert. Da Vio.Me bisher hauptsächlich Baumaterialien für das benachbarte Ausland hergestellt hatte, stand die Arbeiterschaft vor einem Problem: Die Ausfuhr der Waren an die alten Abnehmer war so gut wie unmöglich geworden. Hinzu kam, dass die Aktivität der griechischen Baubranche durch die Krise stark zurückgegangen war. »Wir mussten uns also etwas Neues überlegen«, erzählt Anagnostou. Letztlich begannen die Arbeiterinnen und Arbeiter dann im April 2013 ökologische Reinigungsmittel herzustellen – mit wachsendem ­Erfolg. Die Entscheidung, die Produktion auf Reinigungsmittel umzustellen, war das Ergebnis ­eines Diskussionsprozesses innerhalb der Arbeiterschaft und ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer. »Wir wollten von nun an mehr bedarfs- und bewegungsorientiert produzieren«, so An­agnostou. Bewegungsorientierte Produktion und alternative Distributionsnetze sind auch ein Mittel, die Illegalisierung des Betriebs zu umgehen. Gleichzeitig kann die selbstorganisierte Produktion nicht ohne die Bewegung auskommen. »Ohne die viele Solidarität in all ihren Facetten aus Griechenland, aber auch dem europäischen Ausland, hätten viele von uns schon aufgegeben«, sagt Anagnostou.
Von anderen Teilen der griechischen Linken, wie der kommunistischen Partei KKE und ihrer Gewerkschaft Pame, erfuhr Vio.Me allerdings keine Solidarität. »Unser Chef ist die Vollversammlung, nicht die Partei«, kommentiert Anagnostou die ausbleibende Solidarität seitens der KKE. Wäre es nach den Wünschen von KKE und Pame gegangen, hätte es keine Wiederinbetriebnahme von Vio.Me gegeben. Das Zentralkomitee der KKE sprach sich nach Gesprächen mit der Arbeiterschaft von Vio.Me gegen eine selbstverwaltete Produktion aus und empfahl den Arbeiterinnen und Arbeitern, nach einer ersten Phase des Streiks in die Arbeitslosigkeit zu gehen und sich als Erwerbslose zu organisieren.

Dieser Vorschlag ist sinnbildlich für den Bruch zwischen der antiautoritären Linken und der KKE. Dieser Bruch wurde auch auf der Demonstration am 7. September in Thessaloniki gegen die internationale Handelsmesse deutlich, die zudem den Abschluss des »Festivals der direkten Demokratie« bildete. KKE und Pame auf der einen und Alpha Kappa, die Arbeiterinnen und Arbeiter von Vio.Me und soziale Bewegungen gegen den Betrieb der Goldminen in Chalkidiki auf der anderen Seite demonstrierten in getrennten Blöcken. Die jährlich stattfindende Demonstration hat sich inzwischen zu einem festen Termin der griechischen Linken entwickelt.
Auf der internationalen Handelsmesse in Thessaloniki bewerben mehr als 800 Aussteller, davon etwa ein Fünftel aus dem Ausland, ihre Produkte. Das Stelldichein der Wirtschaft wird tra­ditionell von einer Rede des griechischen Ministerpräsidenten zur Lage der Nation begleitet. In seiner Ansprache versprach Antonis Samaras, dass die griechische Wirtschaft »wieder konkurrenz­fähig« und im nächsten Jahr erstmals wieder wachsen werde. Tatsächlich gibt es einige Anzeichen, dass die Wirtschaft Griechenlands sich im kommenden Jahr erholen könnte. Die Rezession in Griechenland ist dieses Jahr nicht so stark wie zunächst erwartet, da vor allem die Tourismusbranche gute Umsätze erzielte. Die vermeintlich guten Nachrichten aus der Wirtschaft, die nicht nur Samaras auf der internationalen Handelsmesse zu verkünden hatte, überzeugten die Demons­trantinnen und Demonstranten allerdings nicht. Denn die Wiederherstellung der griechischen Wettbewerbsfähigkeit bringt derzeit vor allem einen massiven Abbau staatlicher Sozialausgaben mit sich.
Während die griechische Gesellschaft unter den finanziellen Kürzungen zu leiden hat, rüstet der Staat zwecks Aufstandsbekämpfung auf. Durch die enge Zusammenarbeit mit anderen euro­päischen Sicherheitsbehörden werden neue Formen der Repression erprobt. So wurden in den vergangenen Monaten Dutzende besetzte Häuser und soziale Zentren in ganz Griechenland geräumt. Auch auf der Demonstration gegen die Handelsmesse zeichnete sich ein Wandel der griechischen Polizeitaktik ab: Erstmalig wurde die Demonstration zeitweise von einem Spalier begleitet. Nach der Demonstration kam es, für griechische Verhältnisse ebenfalls untypisch, zu insgesamt 129 Ingewahrsamnahmen. Hier zeigt sich Griechenland einmal mehr als »Krisenlabor«, wie es der griechische Autor John Malamatinas treffend nennt. Doch nicht nur die staatliche Repression funktioniert länderübergreifend. Erfreulicherweise organisieren sich auch linke Gruppen international, wie das »Festival der direkten Demokratie« und die Demonstration zeigten, auf der auch ein Transparent des »Beyond Europe – Antiauthoritarian Network against Capitalism« zu sehen war, an dem sich unter anderem das »...Ums Ganze!«-Bündnis aus dem deutschsprachigen Raum beteiligt.