Gier ist geil

Boris Johnson ist bekannt für seine Tölpelhaftigkeit und dafür, häufig Witze zu reißen. Als Londons konservativer Bürgermeister in seiner Rede zur Ehrung der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher am Dienstag voriger Woche Gordon Gekko als positives role model anführte, reagierten seine Zuhörer­innen und Zuhörer zunächst mit Verblüffung. Der von Michael Douglas im Film »Wall Street« von 1987 gespielte Gordon Gekko gilt als Inbegriff des skrupellosen, geldgierigen Finanzinvestors und Börsenmaklers. Wie Gordon Gekko in dem Film selbst hob Johnson in seiner Rede Gier und Neid als positive Eigenschaften hervor, die als Motor für ökonomischen Fortschritt dienten, und machte der »Eisernen Lady« alle Ehre, indem er sagte, diese seien für die aufsteigende Elite unverzichtbar. Ganz so skrupellos wie Gekko gab er sich allerdings nicht. Die »Gordon Gekkos Londons«, forderte er, sollten neben guter Gier auch etwas Gönnerhaftigkeit gegenüber dem Rest der Britinnen und Briten zeigen, von denen viele in den vergangenen fünf Jahren unter sinkenden Einkommen zu leiden hätten. So sieht für den Publizisten und Politiker im Geiste Thatchers eben soziale Gerechtigkeit aus. Gleichheit kann es ihm zufolge sowieso nicht geben, die ökonomische Ungleichheit in London erklärte er sozialdarwinistisch: Zwei Prozent der Bevölkerung hätten einen IQ über 130 und würden es an die Spitze schaffen, während die unteren 16 Prozent »unserer Spezies« mit einem IQ von unter 85 verständlicherweise nicht weit kommen würden.
Es lässt sich kaum eine zynischere Weise finden, die Ungleichheit und wachsende Armut zu rechtfertigen, die zum großen Teil auch eine Folge der Sparmaßnahmen der Regierungskoalition sind, von denen hauptsächlich arme Familien, Arbeitslose und Menschen mit Behinderungen betroffen sind. Johnson will sich als Nachfolger David Camerons profilieren und sich mit der Rede die Unterstützung des rechten Flügels der Konservativen sichern. Das sollte ihm ohne Weiteres gelungen sein, als er seinem elitären biologistischen Ausleseprinzip auch noch etwas Rassismus hinzufügte. Die neuen EU-Regelungen für den Zuzug von Menschen aus Bulgarien und Rumänien, die am 1. Januar in Kraft treten, kommentiert er damit, London könne nicht »die gesamte Bevölkerung Transsilvaniens« davon abhalten, hier »ihre Zelte aufzuschlagen«.