Antizionismus in der argentinischen Linken

Hochmütige Halbgötter

Lukas Böckmann geht der Geschichte des Antizionismus in der argentinischen Linken nach.

Eigentlich schildert der argentinische Journalist Jacobo Timerman in »Preso sin nombre celda sin número« die traumatischen Erfahrungen seiner Inhaftierung unter der Militärdiktatur General Jorge Rafael Videlas. Verfasst nach seiner Entlassung und Emigration nach Israel im Jahr 1979, findet sich in dem Buch jedoch ein Ausspruch, der den Leser ins Stocken bringt. Denn Timerman nimmt nicht nur das autoritäre Regime Videlas in den Blick, sondern auch die dem Putsch vorangegangene Phase der sechziger und frühen siebziger Jahre, in der ein Umsturz durch militante linke Organisationen nicht unwahrscheinlich schien. Wäre es zur Machtübernahme durch eine der trotzkistischen oder peronistischen Guerillas gekommen, ist sich Timerman sicher, »hätten sie mich nach einem Schnellverfahren an die Wand gestellt und erschossen. Die Anklage: kontrarevolutionärer Zionist«. Denn wie in vielem anderen, so der jüdische Verleger, hätten sich die linken Weltverbesserer auch in diesem Punkt kaum von ihren autoritären Widersachern unterschieden.
Die sechziger Jahre waren in Argentinien von ähnlich revolutionärer Rhetorik und dem Wunsch nach politischem Umbruch geprägt wie in Europa und den USA. Und ebenso wie im Norden war es am Rio de la Plata insbesondere die Linke, die die staatliche Politik und tra­ditionelle linke Institutionen – allen voran die Kommunistische Partei – in Frage stellte. Analog zur Entwicklung der westlichen Linken wurde die aus diesen Konflikten hervorgegangene argentinische Linke sehr bald als nueva izquierda (Neue Linke) bezeichnet. Nicht nur ideologisch und hinsichtlich der Aktions- und Organisa­tionsformen bestanden Übereinstimmungen, sondern ebenso in ihrer nachträglichen Verklärung. Und in noch etwas ähnelten sich große Teile der westlichen und argentinischen Neuen Linken: in ihrem als antizionistisches Bekenntnis gegen Israel nur schlecht kaschierten Antisemitismus. Für die westliche Neue Linke ist diese Diagnose nicht sonderlich überraschend, für Argentinien hingegen schon. Denn in der damaligen argentinischen Linken fanden sich – gemessen am Bevölkerungsanteil – überproportional viele Jüdinnen und Juden. Als Relikt der Emigration oftmals jüdischer Arbeiter gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestand seither eine enge Verbindung der jüdischen Gemeinde zur Kommunistischen wie auch zur Sozialistischen Partei. Während der sechziger Jahre waren es vor allem jüngere Juden, Schüler und Studenten, die sich von der unkonventionellen nueva izquierda angezogen fühlten. Versucht man diese nueva izquierda zu verstehen, lohnt ein Blick auf ihre historische Genese. Und dabei kommt man – wie so oft im Falle Argentiniens – nicht am Peronismus vorbei.

Erbe des Peronismus

Im September 1955 putschte das Militär gegen Juan Domingo Perón. Orientiert am italienischen Faschismus, hatte Perón seit 1946 ein Regime errichtet, das sich wohl am besten als autoritärer Populismus beschreiben lässt. Die spätere Linke hat Peróns faschistisch-repressive Züge stets zugunsten seines Engagements für soziale Gerechtigkeit und die Arbeiterschaft ausgeblendet. Die nach dem Putsch gegen ihn von der neuen Junta ausgerufene Revolución Libertadora setzte sich nicht nur zum Ziel, die angeschlagene argentinische Wirtschaft zu beleben, sondern auch den Peronismus aus Politik und Gesellschaft zu verdrängen. General Aramburu ließ die peronistische Partei auflösen, reprivatisierte die peronistische Tageszeitung La Prensa, unterstellte die Gewerkschaft Confederación General del Trabajo (CGT) strikter Beobachtung und verbot alle öffentlichen und privaten Bezugnahmen auf den Peronismus.
Der Partido Comunista (PC) begrüßte den Putsch gegen Perón zunächst, denn anders als die sowjetische Mutterpartei hatten die argen­tinischen Genossen die arbeitenden Massen bislang nicht für ihre Sache gewinnen können. Die Vorherrschaft des Peronismus war nahezu unumstößlich. Nach dessen Sturz versuchten die Kommunisten die Politik jenseits der bisher alles bestimmenden Antinomie von Peronismus und Antiperonismus neu zu ordnen. Die Partei konzentrierte ihre Bemühungen auf Ak­tionen innerhalb des sich demokratisierenden politischen Alltags. Vor allem aber vertraute sie darauf, dass die sich wandelnden Umstände zu einer Entperonisierung der Arbeiterschaft führen und diese sich der »Kommunistischen Partei als einziger politisch organisierter Avantgarde der Arbeiterklasse« (1) zuwenden würde.
Nur ging diese Rechnung nicht auf. Denn die Zurückdrängung des Peronismus bewirkte weit über die Regierungszeit der Revolución Libertadora hinaus das Gegenteil des Intendierten: die Mystifikation Peróns als Hoffnungsträger der Nation. Kaum drei Jahre nach dem Putsch ließ das Regime Präsidentschaftswahlen zu, die Arturo Frondizi dank der Unterstützung weiter Teile der Linken wie auch des exilierten Perón für sich entscheiden konnte. Wohl auch, weil sich Frondizi offen für eine Aussöhnung mit dem Peronismus, die Fortführung der von Perón begonnenen Verstaatlichungen und eine dezidiert antiimperialistische Außenpolitik aussprach. Damit rehabilitierte er zwar teilweise den Peronismus als legitime politische Kraft. Doch die an seine Präsidentschaft geknüpften Erwartungen konnte er nicht erfüllen. Es gelang ihm nicht, die in Peronisten und Antiperonisten gespalten Gesellschaft zu versöhnen und Formen politischer Legitimation zu schaffen, die für die Mehrheit der Bevölkerung akzeptabel waren. Kurz nach Frondizis Amtsübernahme befand sich die parlamentarische Demokratie in einer Krise. (2) Denn gerade die weniger begünstigten Teile der Bevölkerung sahen in Perón das Allheilmittel für die Lösung ihrer politischen Misere. Diese vielbeschworenen »Volksklassen« wandten sich nun allerdings nicht ihrer politisch organisierten Avantgarde zu, sondern nahmen die Sache selbst in die Hand. Die traditionelle Linke blieb verdutzt zurück.
Die Entstehung der nueva izquierda ist letztlich ein Ergebnis der linken Orientierungslosigkeit angesichts dieser Ereignisse. In der Auseinandersetzung zwischen China und der Sowjetunion hatte der argentinische PC deutlich Stellung für letztere bezogen. Angesichts der siegreichen algerischen Unabhängigkeitsbewegung und der Kubanischen Revolution erschien weiten Teilen der argentinischen Linken die auf dem XX. Kongress der KPDSU 1956 formulierte sowjetische Strategie von friedlicher Koexistenz, Entwicklung und friedlicher Transformation als überholt. Und mit ihr die Position des PC.
Im Verlauf der sechziger Jahre verschärfte sich die innenpolitische Situation Argentiniens zusehends. Frondizi wurde 1962 abgesetzt. An seine Stelle trat zwar der demokratisch gewählte Arturo Illia. In den vorangegangenen Wahlen waren jedoch gut 20 Prozent der Wähler Peróns Aufruf gefolgt und hatten leere Stimmzettel abgegeben. Während der folgenden drei Jahre seiner Amtszeit war Illia kaum in der Lage, den polarisierenden Effekt des Peronismus auf die Gesellschaft zu mildern. Und ebenso wenig hatte er 1966 dem Putsch konservativer Militärangehöriger entgegenzusetzen. Die sich daraufhin formierende Junta um General Juan Carlos Onganía präsentierte sich als Vorhut eines neoperonistischen Neuanfangs. Die Berufung auf den großen Mann war scheinbar Legitimation genug, um gegen politische Gegner und Gewerkschaften ins Feld zu ziehen. Vor allem aber versuchten die Generäle, direkten Einfluss auf die Universitäten zu bekommen.
Was in den fünfziger Jahren in der organisierten Arbeiterschaft begonnen hatte, erfuhr durch die erneute Rückkehr zum Autoritarismus eine entscheidende Wende: Studentische Bewegungen und junge Intellektuelle der urbanen Mittelschicht engagierten sich in der argentinischen Linken. Für sie hatten sich die traditionellen Ansätze linker Politik angesichts der Einschränkung demokratischer Freiheiten und der Repression gegen Peronismus und Gewerkschaften in Argentinien als wirkungslos erwiesen. Die siegreichen Revolutionen, vor allem jene vor der eigenen Haustür, erschienen demgegenüber als Beispiele alternativer politischer Partizipation. Der PC hingegen erfuhr statt des erhofften Zulaufs revolutionärer Massen zahlreiche Abspaltungen, aus denen eine Vielzahl neuer Gruppen hervorging. Und die vertrauten weniger auf Theorie als auf Praxis und fetischisierten die politische Aktion.

Entnationalisierte Kleinbürger

Innerhalb der nueva izquierda trafen Gruppen von bisweilen widersprüchlicher Herkunft aufeinander: aus Peronismus, Nationalismus, Marxismus und Katholizismus. Doch der ähnliche Politik- und Aktionsstil, die gemeinsame Sprache und Symbolik sowie insbesondere die übereinstimmende Kritik am politischen System schufen eine Zusammengehörigkeit, die da­zu beitrug, dass die verschiedenen Gruppen als Teil ein und derselben Bewegung wahrgenommen wurden: jener des »Volkes« und der Revolution.
Unter dem Eindruck der Kubanischen Revolution wirkten vor allem Antiimperialismus und tercermundismo (3) als Verbindung der heterogenen Strömungen. Der Behauptung eines Antagonismus zwischen imperialistischen, unterdrückenden Staaten und ausgebeuteten Unterdrückten auf internationaler Ebene entsprach in der Neuen Linken die Behauptung einer Teilung der argentinischen Gesellschaft in zwei antagonistische, unvereinbare Gruppen – zumeist Arbeiterschaft auf der einen, Oligarchie auf der anderen Seite. Für den argentinischen Soziologen Carlos Altamirano ist der Imperialismus damit »die zentrale Chiffre für das Verständnis von Dissidenz, wie auch des gesamten linken Diskurses nach 1955«. Altamirano weist auf eine weitere bedeutende Entwicklung hin: Angesichts von Peronismus und Kubanischer Revolution betrieb die Linke eine Versöhnung von Sozialismus und Nation. Im Gegensatz zum Hauptteil der lateinamerikanischen Länder wurde der Nationalismus in Argentinien bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in erster Linie mit der politischen Rechten identifiziert. Auch der Antiimperialismus – klassischer Berührungspunkt zwischen dem Nationalismus und der Linken – entwickelte sich zunächst im Umfeld rechter Gruppen. Während der dreißiger Jahre verbanden diese ihre antiimperialistischen Kampagnen gegen das (am Rio de la Plata seit dem 19. Jahrhundert einflussreiche) Großbritannien und die USA mit antisemitischen Verschwörungstheorien, halluzinierten eine englisch-jüdische Konspiration zum Zweck der Weltherrschaft und agitierten gegen die »jüdisch-amerikanische« Oligarchie der Wall Street.
Unter dem Einfluss des revisionismo histórico (4) beriefen sich im Verlauf der fünfziger Jahre linke und zum Teil auch marxistische Theoretiker entgegen dem alten, elitären Nationalismus der Zwischenkriegsphase ihrerseits positiv auf den Begriff der Nation. Seit den sechziger Jahren wurde diese Gedankenfigur prägend für die gesamte nueva izquierda.
Doch die Abgrenzung gegenüber dem reaktionären Nationalismus entbehrte der Konsistenz. 1960 veröffentlichte der Publizist und Politiker Juan José Hernández Arregui die Schrift »La formación de la conciencia nacional« (Die Entstehung des nationalen Bewusstseins), die zum linksnationalistischen Standardwerk avancierte. Er verbindet darin Gauchomystik mit der Denunziation des englischen oder wahlweise nordamerikanischen Imperialismus. An einer Stelle weist er jedoch deutlich auf einen weiteren, inneren Feind der Nation hin: die Juden. Diese seien in Argentinien – wie er schreibt – aufs engste mit Handel, Banken, Wirtschaft und dem kulturellen Leben verbunden, finanziellen und politischen Einfluss übten sie mittels international agierender Zellen aus. Die argentinische Linke sei durchsetzt von »Individuen dieser Herkunft«, die durch die »internationale Finanzmacht des Judaismus« (5) auf undurchsichtige, darum aber nicht minder reale Weise mit dem Imperialismus – genauer: mit dessen bösartigstem Vertreter, dem nordamerikanischen – verbunden seien.
Einerseits bedient Hernández Arregui damit das antisemitische Stereotyp der auf ökonomischer Übermacht beruhenden jüdischen Weltverschwörung. Andererseits warnt er vor dem Einfluss der geheimen Macht des Zionismus auf die argentinische Linke und identifiziert Israel wie auch den Zionismus als künstliche Gebilde des nordamerikanischen Imperialismus. Und er geht noch weiter: Den »Juden« beschreibt er als »entnationalisierten Kleinbürger«, der nur durch Assimilation an die argentinische Nation, also durch die Aufgabe seiner jüdischen Iden­tität, seine conditio humana zurückerlangen könne. An die Stelle dieses in den Juden verkörperten antinationalen Internationalismus müsse, so Hernández Arregui, ein Nationalismus mit internationalistischer Perspektive treten. Über die izquierda nacional erhielt so eine Denkweise Eingang in die argentinische Neue Linke, die Thomas Haury anhand ihres deutschen Pendants als klassische Form des marxistisch-­leninistischen Antiimperialismus analysiert hat: personifizierende Erklärungen mit verschwörungstheoretischen Anklängen, offener Nationalismus und ein manichäisches Weltbild. (6)

Rechte Nationalisten, linke Guerilleros

Es besteht eine weitere Ähnlichkeit zwischen den vorgeblich antagonistischen Fronten der reaktionären Rechten und nationalistischen Neuen Linken. Betrachtet man die Biographien einiger führender Personen der nueva izquierda, insbesondere der Anfang der siebziger Jahre aktiven peronistischen Guerilla Montoneros, aber auch des bereits in der vorhergehenden Dekade agierenden castristischen Ejército Guerillero del Pueblo (EGP), so weisen viele von ihnen eine Gemeinsamkeit auf: eine politische Vergangenheit in einer der beiden wichtigsten rechtsnationalistischen Organisationen, der Alianza Libertadora Nacionalista (ALN) oder der Tacuara.
In der ALN trafen Mitte der vierziger Jahre der spätere Montonero Rodolfo Walsh, Ricardo Masetti, der in den Sechzigern zum Comandante Segundo des EGP aufsteigen sollte, und Rogelio García Lupo, später Korrespondent der in Uruguay herausgegebenen linken Tageszeitung Marcha in Buenos Aires, aufeinander. 15 Jahre später bauten sie auf Einladung Che Guevaras die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina als Gegengewicht zu den »nordamerikanischen Monopolen« von United Press und Associated Press auf.
Über Algerien und Bolivien gelangte Masetti 1963 mit einer kleinen Gruppe von Männern zurück nach Argentinien und gründete auf Weisung Guevaras im Norden des Bundesstaates Salta die erste castristsiche Guerilla des Landes. Die gesamte Aktion geriet jedoch zur grotesken Verirrung. Ohne eine nennenswerte Aktion durchgeführt zu haben, wurde der EGP nach nur einem Jahr durch die Grenzpolizei zerschlagen. Die Spur Masettis verliert sich in den Bergen Saltas. Fatal waren nicht nur der blinde Aktionismus und die Selbstüberschätzung der Gruppe, sondern auch die gegen die eigenen Genossen gerichtete Aggression Masettis, der während des Bestehens der Guerilla drei interne Todesurteile verhängen und vollstrecken ließ. Noch während der Vorbereitungen in Algerien wurde Miguel, der Masettis autoritären Führungsstil kritisiert und entgegen der strikten Guerillaordnung Kontakt mit seiner Familie aufgenommen hatte, auf Drängen des Comandante von der Gruppe zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung Miguels sollte vom algerischen Militär durchgeführt werden, das ihn noch am selben Tag verhaftete. Jahre später erst stellte sich heraus, dass er gar nicht hingerichtet wurde. (7) In Argentinien selbst ließ der Comandante Segundo am 5. November 1963 Adolfo »Pupi« Rotblat und im Februar des folgenden Jahres Bernardo »Nardo« Groswald von ihren Kameraden erschießen. Laut den internen Urteilen wurde beiden zum Verhängnis, dass sie der zermürbenden Situa­tion in den Bergen Saltas – das tropische Klima, mangelnde Ernährung und fehlende Unterstützung durch die ansässige Bevölkerung hatten die Truppe an ihre physischen und psychischen Grenzen gebracht – nicht standhielten. Unter dem Druck der jeweiligen Situation entwickelte Masetti geradezu eine Paranoia vor Deserteuren und Verrätern. Henry Lerner, der sich mit dem EGP in Salta befand, spricht davon, dass Masetti sich gezielt einzelne der Guerilleros aussuchte, sie schikanierte und so zum Ventil der kollektiven Frustration machte.
Die Hinrichtungen hat Masetti explizit als Maßnahmen zur »Gesundung des Gruppenwohls« gerechtfertigt. Das ist an sich schon zynisch genug. Doch ruft man sich Masettis Vergangenheit in Erinnerung, erhalten die Todesurteile noch eine andere Qualität. Denn bei allen drei Verurteilten handelte es sich Juden. Als Masetti militärische Befehlsgewalt ausüben konnte, entlud sich in ihnen offenbar sein Antisemitismus. Lange bevor Héctor Timerman seine Befürchtung über die Guerillas der siebziger Jahre äußerte, hatte Masetti sie bestätigt. Ungeachtet dessen erfuhren der Comandante Segundo und sein EGP posthum die ungeteilte Verehrung der nueva izquierda als – wie sein ehemaliger Kamerad aus der ALN, García Lupo, schrieb – »Helden unserer Zeit«.
In der zweiten großen rechtsnationalistische Gruppe, Tacuara, vollzog sich ein ähnlicher Wandel. Die Gruppe um Alberto Ignacio Ezcurra Uriburu, José »Joe« Baxter und ihren Mentor, den antisemitischen Priester Julio Meinvielle, trat seit 1957 in Erscheinung und kaprizierte sich auf Antikommunismus, die Verherrlichung des Nationalsozialismus und deren gewalttätige Artikulation auf der Straße. Zu Beginn der sechziger Jahre kam Baxter mit Masettis Weggefährten García Lupo in Kontakt, öffnete sich den Ideen der Kubanischen Revolution und gründete mit dem späteren Montonero José Luis Nell den Movimiento Nacionalista Revolucionario Tacuara (MNRT), ihre Variante einer urbanen Guerilla. Politisch gab man sich geläutert. Ideologisch wandelte man sich vom rechtsnationalistischen Antisemitismus zum linksnationalistischen Antiimperialismus und tercermundismo. Für Baxter, darin war er seinen späteren Genossen voraus, folgt daraus logischerweise ein ebenso glühendes Engagement gegen den Zionismus, den es als Imperialismus mit den Waffen der nationalen Befreiungsbewegungen zu bekämpfen gälte.

Solidarität der Völker

Als Teil der argentinischen Delegation reiste Joe Baxter 1966 zur »Primera Conferencia Tricontinental de Solidaridad con los Pueblos de Africa, Asia y América Latina« nach Havanna. Die dort formulierte Position hinsichtlich der Situation im Nahen Osten entsprach nahezu vollständig seinem schon vier Jahre zuvor geäußertem Standpunkt: Der Zionismus wurde als imperialistische Bewegung, die rassistische und f­aschistische Züge trage, verurteilt, das Existenzrecht Israels zurückgewiesen und der israelische Staat als nützliches und fügsames Instrument der imperialistischen Verschwörung bezeichnet.
Durch ihre internationalistische Zusammensetzung und die mediale Unterstützung europäischer Intellektueller fand die Konferenz ein weltweites Echo. Für die lateinamerikanische Linke und ihr Verhältnis zu Israel bedeutete sie eine Zäsur. Als im folgenden Jahr der Sechs-Tage-Krieg ausbrach und sich auch die westliche Neue Linke endgültig gegen Israel wandte, sahen viele der Befürworter der Tricontinental ihre Position bestätigt. Der Antizionismus wurde zu einer unumstößlichen Grundlage weiter Teile der argentinischen nueva izquierda – und ist dies bis heute.
Es gab aber auch Gegenstimmen. Sowohl gegen die antizionistische Resolution der Tricontinental als auch zur Unterstützung Israels im kurz darauf ausbrechenden Krieg bezogen nicht wenige Intellektuelle Position. Innerhalb der Linken wurden die Solidaritätsbekundungen vor allem von jüdischen Publizisten wie José Bleger, David Viñas, Noé Jitrik und der zionistischen Wochenzeitschrift Nueva Sion getragen, mit dem Schriftsteller Ernesto Sábato und dem Philosophen Juan José Sebreli widersetzten sich jedoch auch wichtige Intellektuelle ohne jüdischen Hintergrund der Stigmatisierung Israels.
Der Hauptteil der argentinischen Linken wählte freilich trotz des hohen Anteils jüdischer Genossinnen und Genossen einen anderen Weg. Diesen brachte Jorge Julio Greco im Anschluss an die Konferenz von Havanna auf den Punkt. Im Editorial seiner Zeitschrift Política Internacional schrieb er: »Jene Juden, die hoffen, wie argentinische Bürger, wie Ebenbürtige, behandelt zu werden, sich aber gleichzeitig mit Körper und Geist dem Zionismus widmen, irren sich.« (8) Denn nur wer sich ganz der Sache Argentiniens, also der sozialistischen wie ­nationalistischen Revolution, verschreibe, dem ständen auch entsprechende Rechte zu. Greco, dessen Magazin der nueva izquierda zuzurechnen ist, stimmt darin mit der Kommunistischen Partei überein, als deren Erneuerung die Neue Linke einst entstanden war. Der PC hatte die individuelle Partikularität stets zugunsten der kollektiven Identität zurückgewiesen, auf internationaler Ebene den sowjetischen Antisemitismus geleugnet und auf nationaler die vollständige Assimilation der argentinischen Juden gefordert.
In der Tat taugte der Hass auf Israel dazu, die alten Gräben zuzuschütten, zumindest tem­porär. Ging es um den Kurs der nationalen Revolution, um Vietnam, Kuba oder den Konflikt zwischen Sowjetunion und China, gab man sich kompromisslos und gründete lieber eine neue Kleinstpartei, als von seiner Position abzurücken. 1967 hingegen unterzeichneten John William Cooke, Rogelio García Lupo, Jorge Julio Greco und weitere Führungspersonen der nueva izquierda gemeinsam mit Héctor Agosti vom PC in harmonischer Einstimmigkeit den Aufruf »Junto a los pueblos árabes«, in dem Syrien, Ägypten und Algerien als »fortschrittlichste Kräfte in der Welt« gelobt wurden und die israelische Politik als »kolonialistisch, chauvinistisch, aggressiv und proimperialistisch« dämonisiert wurde. Zentral für die hinter dem Aufruf stehende Position ist die Gegenüberstellung der »arabischen Völker« mit dem »künstlichen« Staatengebilde Israel. Die Existenz einer israelischen Linken, aber auch eines »jüdischen Volkes« überhaupt musste dabei konsequent ignoriert werden. Nicht zuletzt, weil, der immanenten Logik des Antiimperialismus folgend, andernfalls auch diesem der Anspruch auf nationale Befreiung und damit auf einen eigenen Staat zugebilligt werden müsste.

Kämpfen für Palästina

Gegen Ende der sechziger Jahre entstand im Umfeld des linksrevolutionären Peronismus mit den Montoneros die bekannteste Stadtguerilla des Landes. Bereits der Name der Gruppe ist ein Hinweis auf die politische Herkunft einiger ihrer Führungskader. Während der Nationalstaatsbildung im 19. Jahrhundert kämpften kleine Gaucho-Milizen, die Montoneras, auf Seiten der Föderalisten gegen die als kosmopolitisch und dekadent empfundenen Unitarier aus Buenos Aires. Ihre charakteristische Waffe war eine hölzerne Lanze, die tacuara.
Den beiden wichtigsten Gründungsmitgliedern, Fernando Abal Medina und Carlos Gustavo Ramus, wird nachgesagt, als Jugendliche in eben jener gleichnamigen antisemitischen Straßenorganisation aktiv gewesen zu sein. Mario Firmenich, einziges überlebendes Gründungsmitglied der Montoneros und während seiner Jugend selbst Präsident der rechtsnationalistischen Juventud Estudiantil Católica, legte dies 2004 in einem Interview nochmals nahe. Bei zahlreichen anderen Montoneros bestehen keinerlei Zweifel.
Ideologisch orientierte sich die Organisation am nationalistischen Antiimperialismus des revisionismo histórico José María Rosas und der izquierda nacional Juan José Hernández Arreguis. Darüber hinaus bestand eine enge Verbindung zu Katholizismus und Befreiungstheologie sowie zum Movimiento de Sacerdotes para el Tercer Mundo. (9) Bis 1973 konzentrierten die Montoneros ihre politischen Anstrengungen geradezu neurotisch auf die Ermöglichung der Rückkehr und Rehabilitation des ihrer Ansicht nach einzig legitimen Führers Argentiniens, Juan Domingo Perón. Ihre Argumentation folgte dabei dem manichäischen Schema des klassischen Antiimperialismus, der antinationalen, imperialistischen Oligarchie stand Perón als Verkörperung des »Volkes« und dessen nationalen Interesses entgegen.
Die Entscheidung darüber, wer Teil des »Volkes«, wer Nation war und wer nicht, folgte auf internationaler Ebene dem gleichen Muster. Die eng mit den Montoneros verbundenen Zeitung Cristianismo y Revolución veröffentlichte im Mai 1969 eine Reportage des kubanischen Journalisten Andrés Zapata über Palästina und die dort aktive »Guerilla« al-Fatah. Zapata führt darin aus, dass Israel mit Unterstützung des Imperialismus wie auch der »großen zionistischen Finanzkraft aus mehr als 55 Nationen« das palästinensische Volk aus seiner Heimat vertrieben habe, um den zionistischen Traum von Eretz Israel zu verwirklichen. Auschwitz und die Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus als historische Ursache für die Staatsgründung erwähnt er in seinem achtseitigen Artikel mit keinem Wort. Stattdessen zitiert Zapata einen Führer der »Befreiungsgewegung« mit folgenden Worten: »Wir kämpfen für unser Land, doch sie (die Israelis) kämpfen für nichts als Geld.« Die Fatah fand auch danach immer wieder Eingang in die Zeitung. Beispielsweise wurde der Organisation Yassir Arafats die Möglichkeit eingeräumt, zum Vernichtungskrieg gegen Israel, den »weltweiten Zionismus und seine Organisationen mit ihren Krakenarmen« aufzurufen. Weder derartige antisemitische Verschwörungsphantasien noch die Leugnung des Existenzrechtes Israels schienen für Cristianismo y Revolución Probleme aufzuwerfen. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass weite Teile der Redaktion diese Positionen teilten. Darauf deutet auch ein redaktioneller Beitrag hin, in dem die Fatah als »führende Organisation des palästinensischen Befreiungskampfes und einzige Garantie dafür, dass es bis zur Vernichtung des Zionismus im Nahen Osten keinen Waffenstillstand geben wird«, gelobt wird. Die Juden, heißt es in einer der folgenden Nummern, fühlten sich wie »hochmütige Halbgötter, ›Zentauren Zions‹«, die von der einst gegen sie gewendeten Vernichtung nun profitierten. Und zwar, indem sie ihre Wissen über Techniken des Genozids gegen die Palästinenser wendeten und diese zu den wahren Juden der Gegenwart machten.
Um die breite Masse der argentinischen Bevölkerung für ihre Sache zu gewinnen, gründeten die Montoneros 1973 unter Beteiligung renommierter Journalisten mit Noticias ihre eigene Tageszeitung. Für diese verfasste Rodolfo Walsh im Juni 1974 die mehrteilige Reportage »La Revolución Palestina«. Die Einseitigkeit von Walshs Berichterstattung lässt keinen Zweifel daran, wen er als Opfer und wen als Täter sieht. Zunächst stellt er die Gründung Israels als Verbrechen des Westens an der arabischen Bevölkerung dar. Die Repräsentanten der jüdischen Oberschicht hätten sich am Ende des 19. Jahrhunderts »auf der Ebene des internationalen Finanzkapitals« integriert und von dort aus den Zionismus gefördert. Sei zunächst England Zentrum der Einflussnahme gewesen, habe sich der »Schwerpunkt des Zionismus« seit 1942 in die USA verlagert, am Ende stehe die Gründung des Staates Israel. Den Zionismus präsentiert Walsh als homogene Vereinigung reaktionärer Kräfte, die einzig durch Massaker und Verbrechen gegen die Palästinenser in Erscheinung treten. Weder finden moderate Kräfte in Israel noch gewalttätige Übergriffe seitens der »palästinensischen Guerilla« Erwähnung. Vielmehr nennt Walsh ebenso wie Cristianismo ­y Revolución die Fatah als einzigen »Hoffnungsschimmer«. Dabei adaptiert er nicht nur die Losung »Der Zionismus ist nicht nur der Feind der Araber, sonder der gesamten Menschheit«, sondern auch die Leugnung des Existenzrechts Israels. (10) Drei Jahre später, 1977, verfasste Walsh seinen »Offenen Brief eines Schriftstellers an die Militärjunta«, die seit 1976 mit äußerster Brutalität gegen die Opposition vorging. Am Tag darauf wurde er bei seiner Festnahme erschossen und posthum zu einer weltbekannten Ikone des Widerstandes gegen die argentinische Militärdiktatur um General Videla.
Bei den Sympathieerklärungen argentinischer Stadtguerilleros für die palästinensischen Kampfeinheiten handelte es sich keineswegs um nur rhetorische Verbrüderungen. Anfang der siebziger Jahre begann Rodolfo Galimberti, der ebenfalls über Tacuara zu den Montoneros gelangt war, direkte Beziehungen zur al-Fatah Yassir Arafats aufzunehmen. 1971 traf er eine Abmachung zur finanziellen Unterstützung der Gruppe mit Saad Chedid, dem Präsidenten des Centro de Estudios Arabes in Buenos Aires, und reiste ein Jahr später in den Libanon. Empfangen wurde er dort von Abu Jihad, dem Verantwortlichen des Militärapparates der Fatah. Sie schlossen eine feste Beziehung zwecks logistischen und militärischen Austauschs. Gemeinsam mit Fernando Vaca Narvaja reiste Mario Firmenich 1977 nach Beirut zu Gesprächen mit Yassir Arafat. Ein Foto der drei sowie ihre gemeinsame Verurteilung von Zionismus, Rassismus und Imperialismus fand anschließend weite Verbreitung.
Die nueva izquierda insgesamt als antisemitisch zu bezeichnen, würde natürlich der Komplexität der einzelnen Organisationen und Biographien kaum gerecht werden. Antisemitismus war nicht Teil des alltäglichen Kampfes, sondern fand vor allem in Form der Denunziation von »Internationalismus« und »Zionismus« Eingang in die Debatten. Allerdings verdeutlichen die individuellen Biographien diverser Protagonisten die ideologischen Überschneidungen zwischen den als entgegengesetzt wahrgenommenen Fronten. Ideologische Gemeinsamkeit war das manichäische Weltbild des Antiimperialismus, das den bruchlosen Wechsel von jugendlichen Anhängern reaktionärer Bewegungen in die Führungsspitze linker Gruppen ermöglichte. So überlebte auch das Ressentiment der Vergangenheit den politischen Seitenwechsel. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Vor drei Jahren entstand ein Foto, das den Piquetero Luis D’Elia und den Wortführer der linksradikalen Gruppe Que­bracho, Fernando Esteche, gemeinsam mit dem ehemaligen Kulturattaché von Iran in Argentinien, Moshen Rabbani, zeigt. Rabbani gilt als einer der Drahtzieher des Bombenanschlags auf das jüdische Kultur- und Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires, dem 1994 85 Menschen zum Opfer fielen. Im August 2013 riefen Esteche und D’Elia anlässlich des al-Quds-Tages zusammen mit ihren iranischen Verbündeten zur Vernichtung des Staates Israel auf. Unterstützung erhielten sie dabei vom ehemaligen Montonero Roberto Perdía. Die Befürchtung Timermans, so scheint es, ist heute ebenso aktuell wie noch vor 35 Jahren.

Anmerkungen
(1) Ernesto Giudici: Neocapitalismo, Neosocialismo, Neomarxismo, in: »Cuadernos de Cultura« 50 (1960)
(2) Claudia Hilb / Daniel Lutzky: La nueva izquierda argentina: 1960–1980, Buenos Aires 1984
(3) Eine ausführliche Kritik am »tercermundismo« hat Juan José Sebreli formuliert. Den »tercermundismo« begreift er – und hierin besteht eine frappierende Ähnlichkeit zur »nueva izquierda« – als uneinheitliche Ideologie. Als »Dritter Weg« während der Blockkonfrontation zwischen Kapitalismus und Kommunismus entstanden, waren die verschiedenen Varianten des »tercermundismo« von Befreiungstheologie, semifaschistischem Nati­onalismus, Sozialismus oder Marxismus beeinflusst. Der antiwestliche Kulturrelativismus, so Sebreli, habe Teile der Linken dazu gebracht, im Namen von nationaler Befreiung ultrareaktionäre Diktaturen zu unterstützen. Siehe Juan José Sebreli: El Asedio a la Modernidad, Buenos Aires 1991.
(4) Der »revisionismo histórico« zielte insbesondere während der vierziger Jahre auf die Rehabilitation Juan Manuel de Rosas als Sinnbild einer authentischen wie volkstümlichen argentinischen Identität. Während der argentinischen Staatswerdung im 19. Jahrhundert wurde Rosas zur protoypischen Verkörperung des gauchesken Caudillos, der als Anführer der Föderalisten die ländlichen Traditionen gegen den Einfluss der Unitarier wie auch Englands verteidigte. Große Resonanz auch in linken Zirkeln fand er durch die Arbeiten José María Rosas.
(5) Juan José Hernández Arregui: La formación de la conciencia nacional (1930–1960), Buenos Aires 1960
(6) Thomas Haury: Zur Logik des bundesdeutschen Antizionismus, in: León Poliakov: Vom Antizionismus zum Antisemitismus, Freiburg, 2006; Thomas Haury: Antisemitimus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg 2002.
(7) Anstatt ihn hinzurichten, sperrten die Algerier Miguel lediglich ein bis zwei Jahre völlig abgeschirmt von der Außenwelt ein. Anschließend wurde er nach Kuba geschickt. Später sollte er die Möglichkeiten eines Befreiungsversuches seiner ehemaligen Kameraden, die bis 1968 in Salta inhaftiert waren, auskundschaften und besuchte sie im Gefängnis. Erst zu diesem Zeitpunkt wurden diese seines Überlebens gewahr.
(8) Jorge Julio Greco: Editorial, in: »Política Internacional« 80 (1966)
(9) Das Zweite Vatikanische Konzil, durch das die Theologie der Befreiung erst möglich wurde, spricht sich explizit für eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Judentum und katholischer Kirche aus, betonte das gemeinsame Erbe beider und beklagte den vergangenen christlichen Antijudaismus. Hermann Brandt hat allerdings darauf hingewiesen, dass der hiermit angestoßene christlich-jüdische Dialog von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie unbeachtet blieb. Stattdessen habe diese »mittelalterliche Verhältnisbestimmungen« aufrechterhalten. Hermann Brandt: Die Benutzung des Judentums in der Befreiungstheologie, in: »Ökumenische Rundschau« 39 (1995)
(10) Sowohl die Botschaft Israels als auch die Redaktion der Zeitung »Nueva Sión« reagierten mit einer Protestnote auf die Reportage, in der sie Walsh tendenziöse Berichterstattung vorwarfen. »Nueva Sión« forderte einen Dialog zwischen proarabischer und proisraelischer Linken in Argentinien, zu dem es freilich nicht kam.