Italien hat einen neuen Ministerpräsidenten

Aus alt mach neu

In Italien ist schon wieder ein neuer ­Ministerpräsident ernannt worden.

Die kurze Ansprache, mit der Matteo Renzi seinen Parteirivalen Enrico Letta am Donnerstag vergangener Woche in einer im Livestream übertragenen Krisensitzung des Führungsgremiums der Demokratischen Partei (PD) aus dessen Amt komplimentierte, war kaum länger als ein Werbespot. Als Florentiner Bürgermeister zum politischen Star aufgestiegen, erklärte der PD-Vorsitzende Renzi, die von den Demokraten geführte große Koalition bedürfe einer »radikalen Wiederbelebung« und er verspüre die »maßlose Ambition«, die Regierungsgeschäfte nun selbst zu übernehmen. Die Parteispitze stimmte der anmaßenden Selbstüberschätzung mit überwältigender Mehrheit zu.

Mit Renzi wird zum dritten Mal in Folge ein italienischer Ministerpräsident vereidigt, ohne sich zuvor in Wahlen um das Amt beworben zu haben. 2011 war Mario Monti an die Spitze einer »Notstandsregierung« berufen worden, um mit dras­tischen Sparprogrammen den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Als aus den Parlamentswahlen 2013 keine Regierungsmehrheit hervorging, wurde Letta mit der Bildung einer »Übergangsregierung« beauftragt, die ein neues Wahlgesetz erarbeiten und weitreichende Staatsreformen einleiten sollte. In den knapp zehn Monaten ihres Bestehens war die Große Koalition jedoch mehr mit sich selbst als mit ihrem Regierungsprogramm beschäftigt. Nachdem der Oberste Gerichtshof Silvio Berlusconi im Sommer rechtskräftig wegen Steuerbetrugs verurteilt hatte, war die rechte Koalitionspartei auseinandergebrochen. Die Mehrzahl der Abgeordneten hatte sich Berlusconis wiederbelebter Partei Forza Italia angeschlossen und war in die Opposition gegangen. Die Regierungsmehrheit beruhte fortan nur noch auf der Unterstützung einer kleinen, aus der Spaltung der Rechtspartei hervorgegangenen Gruppe.
An den Kräfteverhältnissen in den Parlamentskammern hat sich durch Lettas Rücktritt nichts geändert. Doch die gesellschaftliche Stimmung und die Mehrheit des italienischen Unternehmerverbandes drängten auf den Führungswechsel. Allein dem 38jährigen Renzi, der als »Verschrotter« der alten Machteliten angetreten war, wird zugetraut, mit einer »neuen Generation« die vielbeschworenen Reformen durchzusetzen. Das Vertrauen in Renzi ist weniger politisch als biologisch begründet: Er ist jung und gilt als dynamisch. Seine mutmaßliche Vitalität soll das Land aus der Lethargie befreien und die italienische Gesellschaft neu beleben.

Die Propaganda des Neuen gefällt dem Alten. »Ich schätze Matteo, er ist intelligent und kein Kommunist«, so Berlusconi, der in Renzi seinen geistigen Nachfolger erkennt. Der junge Matteo ist aufgewachsen mit den Programmen seiner Fernsehkanäle, er war sogar selbst Kandidat in einer der damals beliebtesten Spielshows. Doch nicht nur Sprache und Gestus bezeugen, wie sehr ihn die kommerzielle Kultur der achtziger Jahre prägte, Renzi hat auch die politischen Imperative des Berlusconismus übernommen: Seinen charismatischen Führungsanspruch sieht er durch die plebiszitäre Abstimmung gerechtfertigt, mit der er sich zum Parteivorsitzenden der Demokraten wählen ließ. Postideologisch nennt Renzi seine Aversion gegen parlamentarische Debatten und Verhandlungen mit den Sozialpartnern. Auch darin weiß er sich mit Berlusconi einig. Nachdem dieser juristisch zu Fall gebracht und aus dem Senat ausgeschlossen worden war, erneuerte Renzi den politischen Einfluss des Oppositionsführers, indem er ihn Anfang Januar zu ­einem Treffen lud, um außerparlamentarisch einen Entwurf für ein neues Wahlgesetz auszuhandeln. In »tiefem Einklang« sei das Gespräch verlaufen, sagte Renzi danach. Die Formulierung wurde von Berlusconi vergangene Woche aufgegriffen. Wenn es dem jungen Aufsteiger ­gelingt, mit einer Lederjacke Vitalität vorzutäuschen und mit dem populistischen Versprechen einer Diätenkürzung von der sozialen Kahlschlagpolitik abzulenken und schließlich noch eine Verfassungsänderung zugunsten einer ­Präsidialdemokratie durchzusetzen, dann lohnt es sich für Italiens Rechte, Renzi bis 2018 durch­regieren zu lassen.