Die Disliker

Manche Menschen müssen ­ihren Job erst lernen, Ausbildungen durchlaufen oder studieren. Andere können ihren Beruf von alleine, wie: der Leserbriefschreiber. Er besitzt eine Gottesgabe, nämlich: eine Meinung zu haben. Diese Gabe kann er nicht brachliegen lassen, ja, er nutzt sie geradezu verschwenderisch. Er hat eine Mission, die mit seiner Gabe verbunden ist. Sie lautet: die Welt vor der Dummheit der Presse bewahren. Denn diese Journalistenmischpoke ist einfach zu dämlich, es ist unglaublich, was für einen Quatsch so ein armer Mensch tagtäglich lesen muss. Dabei wäre es doch so einfach, das Richtige zu schreiben. Das Richtige ist: seine Meinung. Immer. So schwer ist das doch wirklich nicht.
Der Leserbriefschreiber gibt sich viel Mühe, seine Lieblingszeitung auf den rechten Weg zu bringen. Er hofft, dass sich durch seine Belehrungen etwas ändert. Manchmal aber schickt er auch ein Lob: »Klasse Artikel, überraschend gut recherchiert.« Überraschend, weil er eigentlich nichts mehr erwartet, schon gar nicht etwas, das ihm gefällt.
Zum Glück für den Leserbriefschreiber wurde vor ein paar Jahren das Internet erfunden. Wahrscheinlich hat das sogar ein solcher Schreiber ertüftelt. Es war vorher viel mühsamer: Man musste den Bleistift anlecken, einen Brief auf Papier formulieren und die Briefmarke auch noch selber bezahlen. Jetzt ist sein Job einfacher geworden, er heißt nun auch anders: Kommentator. Leider hat das Internet nicht nur gute Seiten für den Kommentator, denn er hat dadurch furchtbar viel Konkurrenz bekommen. Seit er so im Licht der Öffentlichkeit steht, muss er auch die anderen Kommentatoren maßregeln. Ihre Lieblingsthemen sind: Ausländer, alles was mit Frauen oder Schwulen zu tun hat und die zahllosen Verfehlungen der Regierung.
Bei einer linken Wochenzeitung ist es noch schlimmer. Eine linke Zeitung soll ein Bollwerk gegen die böse Welt da draußen sein, ein Hort der Sicherheit, wenigstens da möchte man sich zu Hause fühlen. Wenn dann im eigenen Zuhause etwas irritiert: Das macht sehr traurig, es ist, als wäre einem die Bettdecke geklaut worden. Die Kälte und der Herzschmerz, die man dann spürt, sind nur durch einen Kommentar zu ertragen. Sonst würde der Leserbriefschreiber es einfach nicht aushalten, würde zerbrechen, vielleicht an Kummer sterben. Daran sollte man denken, wenn man verwundert auf Kommentare blickt: Es ist der schiere Schmerz, der sich Gehör verschaffen muss. Jedes Wort eine traurige Kullerträne. Und darum sollten wir Mitleid mit diesen Jobbern haben. Und ganz viel Verständnis. Die liebste Taste der Kommentatoren ist das empörte Ausrufezeichen. Denn als das sehen sie sich: als einsame Rufer in einer falschen Welt. Das liebste Zeichen der Autorin ist übrigens: der Doppelpunkt.