Das Arabische Filmfestival in Berlin

Alltag im Umbruch

Das Arabische Filmfestival Berlin ist mittlerweile eine Institution geworden. Es versteht sich weniger als politische Plattform denn als cineastisches Forum, das den jungen arabischen Independent-Film und das Genrekino fördert.

Mit Hammer und Meißel klopft Aida Kaabi einen zugemauerten Eingang wieder auf. Sie hofft, in dem leerstehenden Gebäude für sich und ihren behinderten Sohn Faouzi eine Unterkunft zu finden. Von den beiden Wachmännern, die sie beobachten, lässt sie sich nicht aufhalten: Wenn mir sonst niemand hilft, muss ich mir selber helfen, das ist Aidas Credo. Der Dokumentarfilm »It Was Better Tomorrow« der tunesischen Regisseurin Hinde Boujemaa begleitet Aida in der Zeit der Umbrüche nach dem Sturz des Diktators Ben Ali.
Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist katastrophal, ein Sozialsystem existiert nicht. Auch die Vorurteile ihrer Umgebung und sogar der eigenen Familie machen ihr das Leben schwer. Dass ihr ältester Sohn unehelich geboren ist, macht ihn in den Augen der Umgebung zum »Bastard« und seine Mutter zu einer Ausgestoßenen. Zwei weitere Kinder wurden ihr nach der Scheidung weggenommen und leben in einem Heim. Der Film zeigt eine selbstbewusste Frau, die sich nicht einmal von einem Gefängnisaufenthalt einschüchtern lässt und um ihre Kinder und das Recht auf Selbstbestimmung kämpft.
Während die Welt um Aida zusammenbricht und sich neu ordnet, hat sich an ihrer eigenen Situation kaum etwas verändert. Ob unter Ben Ali oder der neuen Interimsregierung, als arbeitslose Frau mit unehelichem Sohn ist in dieser Gesellschaft kein Platz für sie. Vielleicht ist es die Außenseiterrolle, die Aidas offene Kritik an Regierung und Gesellschaft erst möglich macht: Zu verlieren hat sie sowieso nichts.
Die körnigen und verwackelten Bilder des Films sind gewöhnungsbedürftig, passen aber zur Lebenswelt Aidas. Ordentlich ist da gar nichts, und genau das macht »It Was Better Tomorrow« zu etwas Besonderem. Der Film widmet sich einer derjenigen, für die auch im zeitgenössischen Kino kaum Platz ist: Aida hat keine Ausbildung, keinen Job – sie gehört zu den Marginalisierten, die gewöhnlich höchstens als manövrierbare Jubelmasse der einen oder anderen Partei dargestellt werden. Ihr Kampf mit Aufsehern, Straßenwächtern und Hausbesitzern hat mit den Kämpfen zwischen Laizisten und Islamisten wenig zu tun.
Dokumentarfilme wie »It Was Better Tomorrow«, Kurzfilme und Spielfilme aus mehr als zehn verschiedenen Ländern zeigt das »Alfilm«, das Arabische Filmfestival Berlin, vom 19. bis 26. März. Den Veranstaltern zufolge ist es das größte Festival mit diesem Fokus in Deutschland. Und auch wenn einige der gezeigten Filme eine explizit politische Thematik haben, wird der Darstellung alltäglicher Themen viel Raum geschenkt. Wegen des stark gewachsenen Medieninteresses nach den Umbrüchen in der arabischen Welt im Jahr 2011 habe man zwar über eine mögliche Neuausrichtung des Festivalprogramms diskutiert, erzählt Claudia Jubeh, die zu den Organisatoren des Festivals gehört. Dass sie sich dagegen entschieden haben, sei jedoch ein bewusster Schritt gegen die einseitige Wahrnehmung arabischer Länder in Deutschland. Denn meist würden nur Probleme in den Fokus genommen und die immer gleichen Klischees reproduziert.
»Es gibt gute und wichtige Filme, die sich mit Problemlagen beschäftigen, etwa mit Frauenrechten«, so Jubeh. »Diese Filme wollen wir zeigen.« Es sei aber zu einfach, die Probleme der arabischen Welt den wohlsituierten Bürgern im Westen vor die Nase zu halten. Zu den aktuellen Umbrüchen habe es zudem erst wenige hochwertige Filmproduktionen gegeben, so Fadi Abdelnour, der gemeinsam mit Claudia Jubeh das Programm koordiniert. Neben Filmen wie dem ägyptischen Spielfilm »Winter of Discontent« zeigt das Festival Melodramen, Horrorfilme und Action genauso wie politische Dokumentationen. »Wir zeigen Dokumentarfilme, die herausfordernd sind, aber auch nordafrikanische Komödien, die einfach nur unterhalten«, so Jubeh. Damit soll ein breites Publikum angesprochen werden – Cineasten ebenso wie Menschen mit Interesse am arabischen Raum, die arabischsprachige Community ebenso wie ein internationales Publikum.
Dass diese Vielfalt keine Absage an politische Werke bedeutet, zeigt beispielsweise »Winter of Discontent« deutlich. Der ägyptische Regisseur Ibrahim El-Batout erzählt die Geschichte von drei Personen, die in Kairo in die Aufstände gegen Hosni Mubarak verstrickt werden. Dass die einzige Frau unter den Hauptpersonen eine furchtbar naive Nachrichtenmoderatorin ist, die erst spät ihre Rolle als Handlangerin des Regimes reflektiert, ist etwas ärgerlich. Immerhin ist sie aber mutig genug, um eigenständig die Seiten zu wechseln – und zeigt damit beispielhaft, wie uneindeutig die Fronten oft verlaufen. El-Batouts Figuren überstehen brutale Folterszenen und glücklicherweise nur angedeutete »Jungfrauentests« durch das Militär und erleben schließlich den Sturz des Diktators. Dass die Geschichte damit längst nicht beendet ist, konnte der Regisseur nicht ahnen. Aus heutiger Sicht endet der Film dort, wo auch die meisten Hollywood-Schnulzen enden: Die Hochzeit als Happy End – was danach kommt, kann sich jeder selbst ausmalen.
Die Auswahl der Filme kann das Team inzwischen fast komplett aus Einsendungen treffen, das Festival fördert damit aktiv Filme aus der arabischen Welt. Denn auch im arabischen Raum seien einheimische Filme kaum noch zu sehen, stellt Claudia Jubeh fest. Es gebe zwar Initiativen wie die libanesische Metropolis Art Cinema Association, doch in den meisten Ländern würden Produktionen aus Hollywood und Bollywood den Großteil der gezeigten Filme ausmachen. Neben dieser Konkurrenz – und natürlich auch dem Satellitenfernsehen mit etwa 200 arabischsprachigen Kanälen – sei auch die Zerstörung der Infrastruktur an dieser Entwicklung schuld, so Jubeh: »In Ägypten zum Beispiel gibt es wunderschöne Kinos, die aber zum Teil völlig heruntergekommen sind.«
Neben Spielfilmen und Langdokumentationen zeigt das Festival unter dem Titel »Frauen und Arbeit« eine Reihe von Kurzfilmen aus Ägypten, Tunesien und Marokko, die Frauen im Rahmen einer Initiative der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit produziert haben. Unter dem Titel »Aus Fleisch und Licht – der Körper im arabischen Film« fragt zudem die Reihe »Spotlight« nach Repräsentationen des Körpers. Gerade in der Darstellung von Körperlichkeit werden die gesellschaftlichen Brüche und Umbrüche besonders deutlich.

Alfilm. Arabisches Filmfestival Berlin. Vom 19. bis 26. März im Kino Babylon Mitte, im Eiszeit Kino Kreuzberg und in der Galerie B/B Multiples. http://www.alfilm.de