Der Tazlab-Kongress und die Liebe zur EU

Liebe in Zeiten der Troika

Passend zu den anstehenden Europawahlen im Mai veranstaltete die Taz einen Kongress zum Thema Solidarität in der EU.

Er liebe keine Staaten, er liebe seine Frau, meinte vor langer Zeit der deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann. Damit war zu diesem Thema eigentlich alles gesagt. Bis die in Berlin erscheinende Tageszeitung Taz ihren Tazlab-Kongress »I love EU – Solidarität ist machbar« nannte. Soll man die EU wirklich lieben? Nach Bankenrettung, Lampedusa und Energiesparlampen? Diese Frage sollten am Samstag 160 Politiker, Journalistinnen, Aktivisten, Wissenschaftlerinnen sowie Musiker auf 70 Panels und Bühnen im Berliner Haus der Kulturen der Welt klären.

Was nicht ganz einfach ist. Veranstaltungen zur Eurokrise, zur Klimapolitik oder zur »Orbánisierung Europas« eignen sich nicht gerade dazu, Liebesgefühle hervorzurufen. Auch mit der Solida­rität sieht es, folgte man etwa einem Podiumsgespräch zum »Asylrecht, das keiner beanspruchen soll«, schlecht aus. Gerade hat das Europaparlament beschlossen, dass Flüchtlinge auf internationalen Gewässern nicht mehr zurückgewiesen werden dürfen. Dafür sollen sie jetzt gleich auf dem Mittelmeer abgefangen und in angeblich ­sichere Drittstaaten zurückgebracht werden. In Länder also, die wie etwa die Türkei Flüchtlingen kaum Sicherheit garantieren. Solidarität in der EU geht anders.
Die Europaabgeordnete Gabi Zimmer (Die »Linke«) berichtete, wie sich ihre konservativen Kollegen der EVP-Fraktion mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán solidarisieren – einem Mann, der die Pressefreiheit einschränkt, Obdachlose kriminalisiert und die Rechtsextremen der Partei Jobbik offen gegen Juden und Roma hetzen lässt. »Die Glückwünsche an Orbán sprachen für mich Bände«, beschreibt Zimmer die Stimmung bei dessen Besuch im Parlament. Seine Botschaft sei in die Heimat gerichtet gewesen: »Ich kämpfe für euch.«
Warum also die große Aufregung über ein paar Nazis in der ukrainischen Revolutionsregierung? Diese Frage stellte sich folgerichtig Daniel Cohn-Bendit. Auch in der französischen Resistance hätten sich von Stalinisten bis Faschisten alle gegen Hitler zusammengeschlossen, »trotzdem würde wohl keiner hier die Resistance kritisieren«. Und er fragte, weshalb ausgerechnet Linke plötzlich so auf Differenzierung drängten, die doch sonst mit jedem Opfer des Imperialismus mitfühlten. Da war er wieder, der alte Rhetoriker, der im Gegensatz zu manchen seiner grünen Parteifreunde nicht moralisch, sondern politisch erklären kann, warum er den »Euromaidan« unterstützt hat. Den Grünen in Brüssel wird ihr Fraktionsvorsitzender fehlen, wenn er nach den Wahlen im Mai das Parlament nach 20 Jahren verlässt.
Künftig müssen es dann wohl Leute wie Sven Giegold richten. Die Eurokrise hat dem ehemaligen Attac-Vorkämpfer reichlich Auftrieb verschafft. Auf dem Tazlab stritt er mit Sahra Wagenknecht über die Zukunft des Euro. »Deutschland hat den Euro angegriffen«, meinte die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei. Giegold hält dagegen nichts von der »Erzählung«, allein die Agenda 2010 sei für die Krise verantwortlich. Er verweist auf unverantwortliche Kreditvergaben in mehreren Teilen der Welt. Wagenknecht hält indes an ihrem Vorschlag fest, Krisenstaaten sollten gegebenenfalls aus dem Euro aussteigen. Dass sie damit rechten Anti-EU-Kräften in die Hände arbeite, lasse sie sich als Internationalistin nicht vorwerfen.

Aber würde die Rückkehr zu nationalen Währungen nicht auch die Bedingungen für soziale, ökologische und politische Basiskämpfe verschlechtern? In Le Monde Diplomatique beschäftigte sich der französische Philosoph Étienne Balibar mit den Zerfallserscheinungen der EU. Er argumentiert gegen jedes Ausstiegsszenario und setzt sich für »ein Europa des Konflikts zwischen sich widersprechenden Gesellschaftsmodellen und nicht zwischen Nationen auf der Suche nach ihrer verlorenen Identität« ein. Das europäische Projekt sei an den Rand des Abgrunds geraten, weil es als Instrument zur Durchsetzung der Logik des weltweiten Wettbewerbs genutzt werde, anstatt einen Raum der Solidarität zu schaffen.
Aber möglicherweise will die EU ohnehin bald keiner mehr haben. Angesichts der sozialen Folgen der Troika-Politik fragen sich in den EU-Anwärterstaaten immer mehr Menschen, ob sie tatsächlich diesem »Polo-Club«, wie der serbische Autor Vladimir Arsenijević die EU bezeichnete, beitreten wollen.
Rund 70 Prozent der jungen Serben fühlten sich eher Russland zugeneigt, meinte er. Auch in der EU steigt die Ablehnung. Mindestens 20 Prozent der Sitze im Europäischen Parlament dürften von EU-Gegnern besetzt werden. Der französische Front National, Geert Wilders’ niederländische Partei der Freiheit und andere könnten eine Anti-EU-Allianz schmieden, die jene Themen, mit denen die Konservativen schon jetzt hausieren gehen, auf noch gefährlichere Weise ausschlachtet. Zum Beispiel die Hetze gegen Roma oder die Abschottung an den Außengrenzen.

Kommt also alles Schlechte aus Europa? Bankenrettung und Orbán klingen in der Tat nicht sehr sexy. Aber man täte dem Tazlab Unrecht, würde man es darauf reduzieren. Denn dort ging es auch um euroglobale Musik, die Lust am Kampf­sport und »Bruttosozialglück für alle«. Und man hörte alternative Europahymnen mit »Freude ohne Götterfunken«. Tatsächlich hat die EU für Nonkonformisten, Basisdemokraten und eman­zipatorisch gesinnte linke Spinner mehr zu bieten als die autoritären Regimes zwischen Moskau, Kairo und Rabat.
Und was könnte mehr für die EU sprechen als ein Vorwurf, den vorige Woche der oberste Richter des Iran, Sadegh Larijani, erhob: Er beschuldigte das Europaparlament, im Iran Homosexualität und Promiskuität zu verbreiten. Aber Gustav Heinemann hatte trotzdem Recht. Lieben muss man die EU dafür nicht.