Subcomandante Marcos hat sich als Sprecher des zapatistischen EZLN verabschiedet

Das Hologramm dankt ab

Der langjährige Pressesprecher der zapatistischen Armee im mexikanischen Chiapas, Subcomandante Insurgente Marcos, ist zurückgetreten, um dem Personenkult um ihn ein Ende zu bereiten. Der Kampf der Zapatistas geht weiter.

In der Nacht des 25. Mai verlas Subcomandante Marcos seinen letzten Brief mit dem Titel »Zwischen dem Licht und dem Schatten«, in dem er erklärte, dass durch seine Stimme »nicht länger die Stimme der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) erklingen wird«. Umringt wurde er dabei von sechs Comandantes des Revolutionären Indigenen Klandestinen Komitees, wie sich die Leitung des EZLN nennt, und vom Subcomandante Insurgente Moisés, der von Marcos im Dezember die Aufgabe des Sprechers übernommen hatte.

Eine knappe Stunde lang schlug Marcos einen Bogen vom zapatistischen Aufstand am 1. Januar 1994, dem Aufbegehren und der Würde der Rebellion der Habenichtse, an die dabei Gestorbenen erinnernd, über die auf ihn projizierte Rolle des Leiters beziehungsweise »Verführers« der Indigenisierten von Chiapas bis hin zur Übergabe der Verantwortung an eine neue Generation von Zapatistas und den mit ihnen Solidarischen weltweit, die keine Anführer mehr brauchen. »Es ist unsere Überzeugung und unsere Praxis, dass man für Rebellion und Kampf keine charismatischen Anführer oder Chefs braucht, keinen Messias und keinen Erlöser. Um zu kämpfen, braucht man nur ein wenig Anstand, etwas Würde und viel Organisation. Alles Weitere nutzt dem Kollektiv oder eben nicht«, sagte Marcos.
Metaphorisch sprach er die rassistische Arroganz vieler Mexikanerinnen und Mexikaner an: Sie hätten die rebellischen indigenen Riesen nicht sehen können, sondern nur einen kleinen Weißen wie sie. Nachdem sich die Kämpfenden des EZLN am 1. Januar 1994 erhoben hatten, wurde überall gefragt, wer diese Indios denn lenke. Denn kaum jemand traute der indigenisierten kleinbäuerlichen Bevölkerung im hintersten Zipfel im Südwesten Mexikos zu, selbst Subjekt der Revolte zu sein. »Sie waren es gewohnt, die Indigenen von oben herab zu betrachten, sie waren gewohnt, uns erniedrigt zu sehen, ihr Herz hat unsere würdevolle Rebellion nicht verstanden«, so Marcos. In der Leitung des EZLN wurde registriert, dass die Medien sich für einen maskierten Kämpfer interessierten, den sie für einen weißen Mexikaner hielten. So wurde zur Außendarstellung die Kunstfigur Marcos geschaffen: »Wenn Sie mir erlauben, die Figur Marcos zu definieren, dann sage ich Ihnen ohne Umschweife, dass es ein Karnevalskostüm war.« Marcos beschrieb seine Rolle als die eines Hologramms, das für die jeweilige Zielgruppe veränderbar gewesen sei, um Aufmerksamkeit für den zapatistischen Aufstand zu erreichen.

Der Auftritt von Marcos schloss dramaturgisch geschickt eine große Versammlung in La Realidad ab, einem wichtigen Dorf der zapatistischen Selbstverwaltung, Zentrum eines der sechs »Caracoles«, wie die Zapatistas und ihre zivile Basis ihre vom mexikanischen Staat autonomen kommunalen Strukturen nennen.
Marcos ritt mit sechs Comandantes zur Gedenkfeier für José Luis Solís López, genannt Galeano, auf dem Versammlungsplatz ein. Galeano war am 2. Mai bei einem Überfall einer paramilitärischen Gruppe auf den zapatistischen Verwaltungssitz La Realidad ermordet worden. 15 weitere Unterstützerinnen und Unterstützer des EZLN wurden zum Teil schwer verletzt. Es war der bislang blutigste Überfall in diesem Jahr. Auslöser war ein Streit um Schotter, den sowohl Mitglieder der Landarbeitergewerkschaft CIOAC als auch zivile Zapatistas als Baumaterial verwenden wollten. Baustoffe sind knapp in Chiapas, aber die Konkurrenz der beiden Gruppen darum war offenkundig nur ein Vorwand für den Überfall vom 2. Mai. Es war ein präzise geplanter Hinterhalt, um zivile Zapatistas zu überfallen.
Zur Gedenkfeier für Galeano führten die EZLN-Mitglieder in zusammengestückelten Uniformen eine Art getanzten Marsch auf, die Arme dabei eingehakt, in den Händen kurze Stöcke statt Gewehre. Sie sind besser ausgerüstet als beim bewaffneten Aufstand im Januar 1994, als viele Zapatistas barfuß in abgenutzter Kleidung kämpften und starben. Jetzt trugen alle zumindest Gummistiefel. Die Gesichter unter schwarzen Sturmhauben verborgen, über der linken Brust eine schwarze Schleife der Trauer um den ge­töteten Genossen. Von den Angriffen paramilitärischer Gruppen wollen sie sich nicht einschüchtern, aber auch nicht provozieren lassen.
Neben den Hunderten Uniformierten nahmen etwa 2 000 zivile Unterstützerinnen und Unterstützer an der Gedenkfeier teil, jede der fünf selbstverwalteten Caracoles hatte eine größere Delegation geschickt. Auch sie waren maskiert, so dass sie sich von den Besuchern von außerhalb und den zahlreichen Vertretern alternativer Medien deutlich abhoben. Eingeladen waren ausdrücklich nur nichtkommerzielle Medien – das ärgerte einige große Medienkonzerne derart, dass sie jenen vorwarfen, sich vom EZLN bezahlen zu lassen und Teil der Guerilla zu sein. Denn anders als ein weiterer Überfall von paramilitärischen Gruppen auf Dörfer der zapatistischen zivilen Basis ist der Rücktritt von Subcomandante Marcos auch für kommerzielle Medien von großem nachrichtlichen Wert.

Außerhalb von Chiapas wird kaum wahrgenommen, dass der Aufstand noch nicht vorbei ist. Die Aufstandsbekämpfung findet weiterhin statt, der »Krieg niederer Intensität« drückt sich in einer andauernden Belagerung der Einflusszonen des EZLN durch Armeeposten aus. Aber auch in halbstaatlichen ökonomischen Programmen, bei denen Fördermittel an kooperationswillige Kleinbäuerinnen und -bauern vergeben werden. Die Summen sind zwar gering, aber angesichts der verbreiteten extremen Armut unter der Landbevölkerung in Chiapas reichen sie für viele nicht-zapatistische Bauern, um sich in einer staatsnahen Organisation kooptieren zu lassen – etwa in der Unabhängigen Gewerkschaft der Landarbeiter und Bauern (CIOAC). Der Name täuscht: Wie so häufig in Mexiko, wo die autoritäre und freihandelsorientierte Partei der Institutionellen Revolution (PRI) regiert, ist die CIAOC eine Agentur des kooperativistischen Klientelismus dieser Staatspartei. CIOAC verteilt staatliche Fördermittel, der EZLN wirft ihr vor, für ein halbes dutzend bewaffneter Überfälle auf Dörfer der zapatistischen Basis allein in diesem Frühjahr verantwortlich zu sein. »Die kriminellen paramilitärischen Mörder, welche unseren Genossen José Luis Solís López ermordeten (…) wurden nicht fest­genommen«, erklärte der EZLN in einem Kommuniqué am 5. Mai. »Sie sind weiter in La Realidad, sie provozieren und werden das weiterhin machen, denn das ist der Plan der obersten und höchsten Paramilitär-Chefs in Chiapas sowie der Chefs der CIOAC-Paramilitärs.«
Auf der Gedenkfeier übernahm es der neue Pressesprecher, Subcomandante Moisés, die nach Ansicht des EZLN Verantwortlichen für die Überfälle auf die zapatistische Basis zu benennen, sich aber gegen Vergeltung auszusprechen: »Unser Zorn richtet sich gegen den Kapitalismus, nicht gegen die von ihm Betrogenen.«
Der EZLN und seine Basis werden ohne Medienstar weiterkämpfen, ohne den teilweise bizarren Personenkult. Denn die politischen Inhalte und das Selbstverständnis des Zapatismus sind nicht davon abhängig, wer Sprecher des EZLN ist. Subcomandante Moisés rief in einem Kommunique vor einer Woche dazu auf, an einem Friedenscamp internationaler Beobachter teilzunehmen, das ab dem 4. Juni in La Realidad stattfinden soll, initiiert vom chiapanekischen Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas. Durch die Schaffung von Öffentlichkeit sollen die paramilitärischen Gruppen daran gehindert werden, ungestraft Überfälle zu verüben.