François Jost im Gespräch über den Umgang der Medien mit der französischen Rechten

»Heute fehlt die einstimmige Ablehnung des FN«

François Jost ist Professor für Soziologie an der Universität Sorbonne III in Paris. Seit 1997 leitet er das Forschungszentrum für Medienbild und -ton (CÉISME). Er unterrichtete an zahlreichen Universitäten, unter anderem in Montreal, Barcelona, Montevideo, Leuven, Rosario und Buenos Aires. Wie einige seiner Kollegen, etwa der Soziologe Michel Wieviorka, hält er die Darstellung des Front National in den französischen Medien für bedenklich. Mit der Jungle World sprach er über die Akzeptanz rechter Rhetorik in den Medien, Marine Le Pens Marketingstrategie und das Versagen der Pariser »Elite«.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2002 hat es der Front National geschafft, Lionel Jospin zu überholen und zweitstärkste Kraft zu werden. Nun, 2014, gewinnt er fast 25 Prozent der Wählerstimmen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Wiederholt sich die Geschichte?
Der Unterschied ist, dass dies das erste Mal ist, dass der Front National sich bei den Europawahlen in Frankreich an die Spitze gesetzt hat. Wenn man seine Gewinne auf die Anzahl der Wähler umrechnet, haben 2002 mehr Menschen für den Front National gestimmt als heute. Allerdings ist das derzeitige Wahlergebnis deshalb so stark, weil die Partei damit zum ersten Mal eine Wahl anführt. Das bedeutet aber nicht, dass der FN die »erste Partei Frankreichs« ist, wie er selbst von sich sagt. Da es eine so geringe Wahlbeteiligung gab, haben etwa zehn Prozent der Franzosen für den Front National gestimmt.
Sie sehen ein Problem auch in der Berichterstattung über den Front National. Warum?
Das halte ich in der Tat für das wichtigste Problem. Der Front National verfolgt eine Marketing­strategie, die sich darin zeigt, dass faschistisches Vokabular zunehmend beschönigt wird. Es begann damit, dass das Label »Front National« im Bezug auf seine Vorsitzende, Marine Le Pen, in »Bleu Marine« umgewandelt wurde. Weiter wurden negativ besetzte Worte ersetzt – wie »nationalistisch« durch »patriotisch«. Dieser Wortschatz wird von den Medien kritiklos hingenommen und wiederholt. Das führt dazu, dass viele Journalisten behaupten, bei dem Front National handle es sich nicht um eine rechtsradikale Partei – es wird davon gesprochen, er sei die »erste Partei am rechten Rand«. Der Front National hat es damit geschafft, seine kommunikative Strategie an Journalisten zu verkaufen, die diese widerspruchslos als Tatsache wiedergeben.
Was ist Ihre Erklärung für diese mediale Annäherung an die Sprache des Front National?
Vielleicht ergibt sich eine Erklärung aus der Soziologie der Profession. Journalisten sind es gewohnt, die Wortwahl von Pressemitteilungen und Pressesprechern zu wiederholen und sie, ohne zu kritisieren, weiterzugeben. Es gibt eine Tendenz, vorhandene Muster und Bezeichnungen zu verwenden, anstatt sie zu hinterfragen. Daher scheint es mir im Fall des Front National ein Reflex zu sein, dass einige Journalisten sich in Marine Le Pens Sprachraum bewegen, ohne dass es ihnen auffällt. Es ist für sie normal, mit den Worten anderer zu sprechen.
Sind nun also die Medien schuld, die falsch über den Front National berichten?
Es geht nicht nur darum, den Front National in der Berichterstattung anders zu behandeln, sondern insgesamt seine Sprachwahl nicht durch Wiederholung zu festigen. Als Marine Le Pen begann, den Ausdruck »Le Bleu Marine« einzuführen, habe ich in einem Artikel in Le Parisien gewarnt, dass dies nur eine Verkaufsstrategie ist. Es gibt genügend linguistische Studien, die zeigen, dass die geschickte Wortwahl Marine Le Pens einen Einfluss auf die Popularität ihrer Partei hat. Dabei geht es nicht um intellektuelle Spitzfindigkeiten, denn diese Wortwahl beeinflusst die Menschen in ihrem Wählerverhalten immens.
Der französische Soziologe Michel Wieviorka geht noch einen Schritt weiter als Sie, indem er die Beziehung zwischen Front National und Medienmachern in Libération als »inzestuös« bezeichnet. Stimmen Sie ihm zu?
Ich würde das Wort »inzestuös« nicht verwenden, allerdings gibt es unter Journalisten eine Vorliebe, sich unter Politikern aufzuhalten, diese ganzen kleinen Anekdoten zu publizieren, man richtet sich miteinander ein. Andererseits suchen sie das Spektakel, die großen Geschichten. Daher kann es dazu kommen, dass einige Meldungen, vor allem die populistischen, eher Eingang in die Medien finden. Ich sehe das Problem darin, dass selbst linke Journalisten diese Meldungen als Wahrheit verkaufen.
Ein Beispiel: Auf Facebook wird zurzeit darüber debattiert, ob François Hollande nach dem Wahldebakel zurücktreten solle. Das ist eine Meldung, wie sie Marine Le Pen sich nur wünschen könnte. Diese Frage wird nun sogar von linken Journalisten ungefiltert veröffentlicht, obwohl sie sich einem demokratischen Verständnis nach eigentlich gar nicht stellt. Hollande ist solange Präsident, bis er abgewählt wird, aber mit dieser Frage wird das in Frage gestellt, zugunsten des Diskurses von Marine Le Pen. Um auf Wieviorkas Begrifflichkeit zurückzukommen: Ich denke nicht, dass das Verhältnis von Medien und Front National ein inzestuöses ist, aber es produziert Polemik.
Zeigt das Wahlergebnis, neben der fragwürdigen Rolle der Medien, nicht auch, dass die Politiker der großen französischen Parteien und die französischen Intellektuellen versagt haben? In Europa spricht man von einer Niederlage der Pariser »Elite«.
Ich sehe hier zwei Probleme. Zum ersten werden französische Intellektuelle in den Medien zu oft nicht ernst genommen. Ich habe das selbst erlebt, als ich im vergangenen Jahr ein Interview gegeben habe, in dem ich sagte, Patrick Sébastien (ein französischer Fernseh-Entertainer, Anm. d. Red.) bewege sich innerhalb desselben Diskurses wie Marine Le Pen. Der Journalist veröffentlichte dieses Interview allerdings nicht einfach so, sondern reichte es an Sébastien weiter, damit der es kommentiere. Sébastien bezeichnete mein Argument als Unfug und mich als unwissenden Pariser Bohemien.
Da beginnt das zweite Problem. Denn allein schon die Unterscheidung zu machen zwischen der Elite hier und dem Volk, den kleinen Leuten dort, spielt dem Diskurs des Front National in die Hände. Zu behaupten, die Intellektuellen eines Landes hätten kein Interesse an der Bevölkerung als Ganzes, das ist Populismus. Es führt zu nichts und hat keinerlei Entsprechung in der Realität.
Der französische Innenminister Manuel Valls sagte zum Wahlerfolg des Front National, es gebe nun »keine Minute zu verlieren«. Was aber bleibt zu tun?
Ich möchte gerne noch einmal auf die Situation 2002 zu sprechen kommen. Damals gab es eine, auch medial, eindeutige Meinung: Jeder muss sich gegen Le Pen positionieren. Es gab aber auch nicht zu viel zu befürchten, denn der Front National hatte trotz allem nicht genügend Zuspruch, um eine realistische Chance auf das Amt des Präsidenten zu haben.
Heute aber fehlt diese einstimmige Ablehnung des Front National. Es heißt, man solle die Partei nicht verteufeln, da man damit auch einen Großteil der französischen Wähler vor den Kopf stoße. Statt sich gegen ein Aufkommen von Antisemitismus und Rassismus auszusprechen, wird argumentiert, die Erfolge des Front National speisten sich aus dem Wählerwillen und man müsse schließlich die Meinung des einfachen Volkes achten. Doch es gibt auch vereinzelte Stimmen, die denen von 2002 gleichen und die vor einem sich verstärkenden Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus warnen. Soll man es zulassen, dass Marine Le Pen sich weiter frei zu diesen Themen äußern darf? Welchen Weg Frankreich im Umgang mit dem Front National gehen soll, bleibt daher ein Streitthema. Diese Debatte werden wir jetzt führen müssen. Ich für meinen Teil werde weiter versuchen, gegen diesen Diskurs zu kämpfen.