Auf- und Abstieg eines baskischen Fußballvereins

Provinzverein im Wirtschaftsunglück

Der baskische Fußballverein SD Eibar steht als erster Aufsteiger in die Primera División fest. Obwohl schuldenfrei, muss der Club am Saisonende vielleicht in die dritte Liga absteigen.

ota Peleteiros vielumjubelter Treffer in der 61. Minute des 40. Spieltags entsprach ein bisschen der Spielweise von Eibar: raffiniert und rüde zugleich. Mit seinem Tor, das den 1:0-Erfolg gegen den früheren Uefa-Pokal-Finalisten CD Alavés besiegelte, machte der Angreifer zwei Spielrunden vor Saisonende Eibars Aufstieg in die Primera Division perfekt. Nach Abpfiff stürmten die Fans den Rasen und sangen zusammen mit den Spielern: »Real, Barça, wir sind hier.« Und Vereinspräsident Álex Aranzabal kommentierte ungläubig: »Wir müssen uns kneifen, um sicher zu sein, dass wir nicht träumen.«
Sociedad Deportiva, kurz SD Eibar, der Verein aus der baskischen Kleinstadt mit dem kleinsten Stadion – die zwischen zwei Wohnblöcke eingeklemmte Spielstätte »Ipurúa« fasst etwas mehr als 5 000 Zuschauer – und dem niedrigsten Etat aller Zweitligisten hatte den Durchmarsch der dritten Liga in die Eliteklasse bewerkstelligt. Im 75. Jahr des Clubbestehens könnten Los Armeros, wie die Mannschaft wegen der in Eibar ansässigen Waffenindustrie auch genannt wird, erstmals in der ersten Liga spielen. Von einem »Wunder« schrieb die spanische Tageszeitung El País. Trainer Gaizka Garitano dagegen glaubt nicht an Wunder. »Das ist der Triumph der Bescheidenheit und der harten Arbeit«, so der Coach. In Zeiten der vollständigen Kommerzialisierung des Fußballs bis in die unteren Ligen hinein ist es zumindest eine schöne Geschichte für Fußballromantiker, wenn auch eine mit Haken.
Bereits vor neun Jahren stand der Verein schon einmal kurz vor dem Aufstieg in die erste Liga. Beim Stand von 1:1 im Spiel gegen den Klub Lleida Esportiu lief Eibars damals 19jähriger Flügelstürmer David Josué Jiménez Silva in der 92. Minute allein mit dem Ball am Fuß auf den gegnerischen Torwart zu. Doch statt den Siegtreffer zu erzielen, stoppte er plötzlich ab und drosch den Ball ins Seitenaus. Der Grund: Ein Gegenspieler lag verletzt am Boden. Das Unentschieden brachte Eibar im Kampf um den Aufstieg nicht weiter – am Ende sollten genau diese drei Punkte fehlen. Noch heute sprechen die 27 000 Einwohner von Eibar »von dem Tor, das uns in die erste Liga gebracht hätte«.
Jener David Silva verdient mittlerweile bei Manchester City sein Geld und ist mit der spanischen Nationalelf Welt- und Europameister geworden. Neben Silva waren noch andere Prominente beim SD Eibar aktiv: Ciriaco Errasti, José Eulogio Gárate, Garikoitz Uranga Luluaga, Xabi Alonso (heute Real Madrid), Gorka Iraizoz (heute Torwart von Athletic Bilbao), Agustín Guisasola, Joseba Llorente und José Javier Barkero, sie alle haben einmal für den kleinen Club gekickt, der meist in den Niederungen des spanischen Profifußballs unterwegs war – 25 Jahre davon in der Zweiten Liga – sozusagen der SV Meppen Spaniens.
Heute dagegen fehlen der Mannschaft große Namen. Gaizka Garitano, einst selbst Spieler der verhinderten Aufstiegsmannschaft von 2005 und seit 2012 Trainer in Eibar, hat aus von den baskischen Topclubs Athletic Bilbao und Real Sociedad San Sebastián ausgeliehenen Nachwuchsspielern, einigen andernorts aussortierten Veteranen und Spielern aus dem eigenen Nachwuchs eine schlagkräftige Gruppe geformt. »Unser Star ist das Team. Unsere Geschlossenheit ist der Schlüssel zum Erfolg«, so der 39Jährige, der seine aktive Karriere 2009 beendete. »Mir ist wichtig, dass wir hier als Einheit agieren und uns mit dem Verein identifizieren. Wer bloß sich selber profilieren will, hat hier nichts verloren.« Präsident Aranzabal sieht das genauso: »Hier – vorher und jetzt – gibt es einen Stil, der nicht verhandelbar ist: alle sind gleich, es gibt keine Stars, und wer das nicht versteht, der passt nicht hierher.«
Garitano baut auf eine starke Defensive um Raúl Navas, Junioren-Nationalspieler Lillo und Yuri Berchiche, der einst in Tottenham einem Gegenspieler ein Bein brach, mit dem Erfolg, dass Eibar über die beste Abwehr der Segunda División mit den wenigsten Gegentreffern verfügt. In vielen Partien reichte deshalb ein Tor zum Sieg. Dass die defensivstarken Basken aber auch zur Offensive in der Lage sind, musste leidvoll die zweite Mannschaft von Real Madrid erfahren – den Nachwuchs-Ronaldos wurde in der Bombonera, wie das Stadion Estadio Municipal de Ipurúa auch genannt wird, beim 6:0 eine Blamage zuteil.
Am Ende aber könnte der Aufstieg ausgerechnet an den Finanzen scheitern – und das, obwohl Eibar schuldenfrei ist. In Zeiten, in der fast alle spanischen Proficlubs unter ihren Schulden ächzen und sich bereits die Hälfte der Zweitligavereine entweder in einem Konkursverfahren befinden oder dieses gerade hinter sich gebracht haben, steht Eibar beispielhaft für sportlichen Erfolg trotz guten Wirtschaftens. Selbst Liga-Präsident Javier Tebas hatte die Basken in diesem Punkt als Vorbild bezeichnet. Gerade einmal 3,5 Millionen Euro beträgt der Etat von SD Eibar – sämtliche Zweitligisten und selbst einige Drittligisten in Deutschland geben mehr aus. Trotzdem ist der Aufstieg ausgerechnet aus finanziellen Gründen in Gefahr geraten. Schuld ist eine Regel in den Statuten des spanischen Ligaverbandes LFP: Jeder Club der ersten und zweiten Liga muss demnach bis Anfang August mindestens 25 Prozent des Durchschnittskapitals aller Ligavereine aufweisen. Ende Mai verfügte der SD Eibar jedoch lediglich über ein Vermögen von 656 450 Euro. Nötig aber sind 1 724 273 Euro zum 6. August. Die Auflagen der ersten Liga verlangen von den Basken eine Verdreifachung des Kapitals, andernfalls droht der Zwangsabstieg in die dritte Liga, die Segunda B. Eibars Aschenputtel-Märchen könnte also schon wieder vorbei sein, bevor es richtig angefangen hat.
»Und das, obwohl immer vom Modell Eibar die Rede ist«, so Aranzabal, »seit wir uns ein Null-Defizit vorgenommen und auch erreicht haben. Und nun kommt heraus, dass wir ein Gesetz erfüllen und eine Menge an Geld vorweisen müssen, die sich nicht nach unserer vernünftigen Clubführung berechnet, sondern nach dem Verhältnis der Ausgaben von Clubs, die sich vielleicht in anderen Ausgabensphären bewegt haben.« Heißt, nach Clubs, die mit ­einem großen Investitionskapital und hohen Schulden agieren. Eibar würde ausgerechnet für seine zurückhaltende Finanzpolitik bestraft. Nach dem feststehenden sportlichen Aufstieg hat der Verein bereits zu Spenden aufgerufen; Vereinsmitglieder können für 50 Euro Clubanteile erwerben. Ob das Geld auf diese Weise bis zum Stichtag zusammenkommt, ist allerdings zweifelhaft. Die Frage ist: Wie sammelt man mehr als eine Million Euro in knapp zwei Monaten? »Unsere soziale Basis besteht aus vielen Jugendlichen unter 18 Jahren, vielen Rentnern, Arbeitslosen und prekär Beschäftigten«, so Aranzabal. Das klingt nicht, als ob er bereits eine Antwort gefunden hätte.