Der Osten der Ukraine kommt nicht zur Ruhe

Schluss mit Maidan

Nach den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine bleibt die Macht vor allem im ­Osten weiterhin umkämpft. Die Maidan-Opposition hat mittlerweile kaum noch ­etwas zu sagen.

Besser hätte es für den Schokoladen-Oligarchen Petro Poroschenko gar nicht laufen können. Mit seinem klaren Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine am 25. Mai, als er gleich im ersten Durchgang fast 55 Prozent der Stimmen errang, sieht die politische Konkurrenz alt aus. Allen voran Julia Timoschenko, die mit knapp 13 Prozent weit abgeschlagen die Riege der Verlierer anführt. Zu ihnen zählt insbesondere der Teil des Maidan, der als außerparlamentarische Opposition in den Wintermonaten vorübergehend eine relevante politische Größe erreicht hatte. Dessen Vertreterin, die Ärztin Olga Bogomolez, blieb unter zwei Prozent. Gemeinsam ergatterten der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Swoboda, Oleh Tjagnybok, und Dmytro Jarosch vom Rechten Sektor ebensowenige Stimmen. Dabei lag die Wahlbeteiligung mit 60 Prozent unter den Erwartungen, und das nicht nur aufgrund der vehementen Behinderungen der Stimmabgabe in den umkämpften selbsterklärten Volksrepubliken Donezk und Lugansk.
In zweierlei Hinsicht setzten die Wahlen eine Zäsur. Zum einen wurde deutlich, dass die extreme Rechte als landesweite politische Vertretung derzeit über keine entscheidende Basis verfügt, wenngleich ihr Potential bei einem Zehntel der Wählerstimmen liegt, wenn man auch die acht Prozent berücksichtigt, die der Rechtspopulist Oleh Ljaschko bekam. Zum anderen gehört der Maidan nun endgültig der Geschichte an. Vitali Klitschko, am Tag der Präsidentschaftswahlen zum Kiewer Bürgermeister gekürt, macht sich nun daran, die Reste der Straßenpräsenz einer Opposition zu beseitigen, ohne die seine politische Karriere einen anderen Verlauf genommen hätte. Optimismus versprühen die Wahlergebnisse dennoch nicht, eher stehen sie für den Wunsch nach Herstellung einer wie auch immer gearteten Normalität anstelle der Unsicherheiten unter einer Übergangsregierung. Zumindest existiert in Kiew nun ein Akteur, mit dem die russische Führung bereit ist zu verhandeln.

Russland erkannte den Wahlsieg Poroschenkos an und selbst der ehemalige Präsident Viktor Janu­kowitsch fand sich mit dem Resultat ab und geistert somit nicht mehr durch die Köpfe als eigentlich legitimer Präsident der Ukraine. Poroschenko mag nicht der Wunschkandidat gewesen sein, ist der russischen Regierung in seiner Funktion als Außenminister aus Zeiten der »orangenen« Regierung in Kiew jedoch bekannt. Nachdem die ukrainisch-russischen Beziehungen in den vergangenen Monaten arg gelitten hatten, was sich unter anderem in dem deutlich reduzierten wirtschaftlichen und selbst wissenschaftlichen Austausch manifestierte, signalisiert die russische Führung nun ein Entgegenkommen, vorausgesetzt die ukrainische Regierung lässt sich auf einige Grundbedingungen ein. Dabei stehen an oberster Stelle nicht die Streitpunkte Krim oder russische Gaslieferungen, sondern der Umgang mit den separatistischen Gruppen im Osten der Ukraine. Russland besteht darauf, den Militär­einsatz zu beenden, während Poroschenko beabsichtigt, die Antiterroroperation auf effektivere Art und Weise weiterzuführen.
Seit Poroschenkos Wahlsieg haben sich die Kämpfe ausgeweitet. Bewaffnete Auseinandersetzungen finden an etlichen Orten statt, wobei die Stellungen der Separatisten in Lugansk derzeit stärker sind als in Donezk. Der Rückzug der russischen Truppen von der Grenze ermöglicht es der ukrainischen Armee härter vorzugehen. Ein schneller Sieg der ukrainischen Nationalgarde scheint dennoch unwahrscheinlich. Am Sonntag erklärte der Kommandeur des vom »Rechten Sektor« gebildeten Donbass-Bataillons, Semjon Sementschenko, die Antiterroroperation könne sich noch über ein ganzes Jahr hinziehen.
Bislang kann sich die ukrainische Regierung jedenfalls nur mit zweifelhaften Erfolgen rühmen. Bei heftigen Schießereien am von Separatisten kontrollierten Flughafen in Donezk gab es am Tag nach den Präsidentschaftswahlen Dutzende Tote, darunter unbewaffnete Zivilisten, bis die ukrainische Armee schließlich Oberhand gewann. Auch in der Innenstadt kamen Menschen beim Beschuss des Bahnhofs ums Leben. Am Samstag zuvor wurden in der Nähe der Separatistenhochburg Slawjansk der italienische Fotojournalist Andrea Roccelli und sein Übersetzer, der russische Journalist und Menschenrechtler Andrej Mironow, durch Mörserbeschuss getötet. Über entsprechende Waffen verfügen sowohl die ukrainischen Antiterroreinheiten als auch separatistische Gruppen, doch will keine Seite die Verantwortung für den Tod der beiden Journalisten übernehmen.
Von »Genozid an der Zivilbevölkerung« zu sprechen, wie es der Sprachgebrauch der selbsternannten Führung der Donezker Volksrepublik vorsieht, dient allein propagandistischen Zwecken. Dennoch stellt sich die Frage nach dem Sinn der immer mehr Tote fordernden Antiterroroperation. Die Befriedung der Region, die seit längerem eine schwierige Beziehung zur Kiewer Zentralmacht hat, in der etliche Konfliktparteien versuchen, das Beste für sich herauszuholen, ist jedenfalls allein mit militärischen Mitteln nicht zu erreichen. Die ukrainische Regierung stuft einen militärischen Sieg als Voraussetzung für weitere Schritte ein, ihr harsches Vorgehen verschafft indes ihren Kritikern gute Argumente, etwaige Verhandlungen in Zukunft zu torpedieren.

Wer überhaupt als Verhandlungspartner in den Konfliktregionen in Betracht kommt, ist unklar. Von einer einheitlichen oder gar straff ausgebauten Führung kann jedenfalls keine Rede sein.Die traditionelle Elite im Donbass hat die Kontrolle längst verloren. Ein Teil der Kommunen im Donezker Gebiet wendet sich Richtung Dnepropetrowsk. Relativ ruhig ist die Lage in jenen Industriestädten, in denen der Oligarch Rinat Achmetow mehrheitliche Anteile an der Produktion hält, mit Ausnahme von Mariupol. Dort, wo die Familie des langjährigen Vorsitzenden der Donezker Gebietsverwaltung und zeitweiligen Ministers für regionale Entwicklung, Anatolij Bliznjuk, über Einfluss verfügt, in Slawjansk und seinem Geburtsort Krematorsk, herrscht weitaus mehr Chaos. Die offiziellen Staatsvertreter haben dort nichts mehr zu sagen, gelegentlich mischen jedoch Angehörige der Partei der Regionen mit, um nicht völlig ins Abseits zu gelangen.

Am schwierigsten gestaltet sich der Machtkampf in Donezk, an dem sich Teile des lokalen Staatsapparats aus dem Stadtrat und die Partei der Regionen beteiligen und wo der Einfluss russischer Kader weitaus größer ausfällt als in anderen umkämpften Städten der Region. Doch beteiligt sich auch die vom politischen Geschehen vormals ausgeschlossene und von der Kiewer Regierung ebenso wie den lokalen Machthabern enttäuschte Bevölkerung an den Auseinandersetzungen. Viele haben die bisherige staatliche autoritäre Misswirtschaft einschließlich der oligarchischen Führungsstrukturen satt, weshalb die volksrepublikanische Rhetorik mit ihren kritischen Anklängen bei nicht wenigen gut ankommt. Ein föderales, weniger zentral gesteuertes Politikmodell findet großen Anklang. Doch sind sich kiewtreue Beobachter sicher, dass die Forderung nach Föderalisierung, wie sie aus den alten Machtkreisen der Partei der Regionen aufgestellt wird, die vormals von der Zentralisierung profitierte, heute allein dem Machterhalt alter Eliten dient.
Wo Russland vom Kiewer Maidan nichts mehr zu befürchten hat, könnte die Nähe zu den Freischärlern im Grenzgebiet allerdings mit der Zeit zu einem Problem werden. Der national-nostalgische Kurs der ostukrainischen Separatisten zeigt Handlungsoptionen auf, die langfristig, neben den Konflikten im Nordkaukasus, zur Instabilität weiterer russischer Regionen beitragen könnten.